Mittelalter:Wie vor 542 Jahren

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Für drei Wochen verwandelt sich Landshut in eine Stadt aus der Ritterzeit. Alles, was es damals nicht gab, ist tabu: Kaugummi, Brille, Handy. Mittendrin:Terese, 14 Jahre alt.

Von Christina Waechter

Bis sich Terese Gruber, ein ziemlich normales, 14-jähriges Mädchen in Shorts, T-Shirt und Turnschuhen, in ein mittelalterliches Fräulein verwandelt, dauert es ungefähr eine viertel Stunde. Bis ihre Heimatstadt Landshut zum mittelalterlichen Ort wird, viel länger: Litfaßsäulen werden abgebaut, Lagerstätten aus ungehobelten Holzbalken aufgebaut, Verkehrsschilder mit Jute-Säcken verhüllt. Und schon seit vielen Monaten lassen sich die Männer ihre Haare wachsen. Pünktlich zu den Festwochen im Juli müssen die nämlich bis übers Ohr reichen. Sonst darf man nicht mitspielen. Und Mitspielen gehört dazu. "Ich könnte mir nie vorstellen, da nicht mitzumachen", sagt Terese.

Alle vier Jahre verwandelt sich Landshut in eine Stadt wie vor Hunderten von Jahren, mit Rittern, die mitten in der Stadt um brennende Lagerfeuer hocken und aus Kupferbechern trinken, da wo normalerweise der Bus abfährt. Mit Gauklern, die Flöte spielen, auf den Händen laufen oder sich aufeinanderstapeln. Ganz oben steht ein Junge, der könnte ohne Probleme ins offene Fenster im ersten Stock klettern. Die ganze Stadt feiert eine Hochzeit nach, die vor 542 Jahren stattgefunden hat.

Alles, was es im Mittelalter nicht gab, ist tabu: Kaugummi, Brille, Handy

Wie alle anderen musste Terese sich erst mal richtig bewerben. "Da wurden meine Größe und meine Haarlänge abgemessen, ich musste mich einmal umdrehen. Dann konnte ich wieder rausgehen." Nach zwei Monaten hat sie einen Brief bekommen: Sie darf als Begleiterin der Braut mitmachen. Terese ist eine von 35 Freundinnen der Braut. Schon im April haben sie angefangen zu proben. Wer steht wann wo? Passen die Kostüme? Wie geht der Tanz?

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(Foto: Claus Schunk)

Als Erste ziehen beim Hochzeitszug die Kinder ein. Die Touristen werfen oft Münzen, die die Kinder behalten dürfen.

Am Anfang fühlen sie sich etwas komisch an, weil die Sohlen so dünn sind. Aber am Ende der drei Wochen wollen viele Darsteller ihre Schuhe nicht mehr zurückgeben.

Eine ganze Stadt verkleidet sich. Alle vier Jahre strömen Tausende Touristen ins dann mittelalterliche Landshut. Über der Stadt thront die Burg Trausnitz.

Auf der Landshuter Hochzeit gibt es Essen wie bei den Rittern: Fleisch, Wurzelgemüse und sehr viel Kraut. Drei Wochen lang hält man das schon mal aus.

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(Foto: Armin Weigel/dpa)

Fernsehen oder Handy hatte man 1475 nicht. Zur Unterhaltung gab es Ritterturniere. Bei den Schaukämpfen heute wird zum Glück niemand mehr verletzt.

An den vier Landshuter Mittelalterwochenenden ist dann wenig Platz für anderes. "Feste oder Geburtstage", sagt Terese, "werden in der Zeit nicht gefeiert, weil da kaum jemand Zeit hat." Wenn am nächsten Tag Schule ist, achtet Terese darauf, dass sie gegen 23 Uhr zu Hause ist. Zumindest an den Montagen in der Festzeit werden keine Tests geschrieben.

Ein bisschen außerhalb der Altstadt, neben dem Turnierplatz, auf dem später Ritter auf Pferden mit Lanzen gegeneinander antreten werden, ist das Lager der Landshuter Hochzeit aufgebaut. Dorthin kann Terese gehen, wenn sie Hunger hat oder sich ausruhen will. Sie muss nur aushalten, dass ihr dann Hunderte Leute beim Essen und Ausruhen zuschauen. Da kann man sich schon mal wie ein Zootier fühlen.

Ganz wichtig: Wer im Kostüm unterwegs ist, darf nichts tun oder benutzen, was es damals noch nicht gab. Das heißt: kein Kaugummi, kein Fidget Spinner und keine Brille. Das kann manchmal ganz schön schwierig werden. Die Kinder spielen mit Holzreifen und Hüpfseil. Auch das Essen ist mittelalterlich: Viel Fleisch, Kraut und Wurzelgemüse. Keine Kartoffeln, Tomaten oder Orangen. Denn die kannten die Menschen damals noch nicht. Es war ein einfaches Leben.

Manche Sachen waren viel komplizierter als heute. Wenn Terese im Kostüm ist und ihre Freunde erreichen will etwa, kann sie nicht einfach eine Nachricht in ihr Handy tippen. Handys sind nämlich verboten. Das kann schon nerven. Aber viele ihrer Freundinnen sind eh mit dabei, da ist rufen einfacher als tippen. Und zur Not kann sie schon telefonieren. Auf dem Klo oder an einem anderen Ort, wo sie kein Zuschauer sehen kann.

Was ist die Landshuter Hochzeit?

Vor 542 Jahren heiratete der 20-jährige Herzog Georg der Reiche von Bayern Landshuts Prinzessin Hedwig von Polen. Bei der Hochzeit redeten viele Menschen mit. Um Liebe ging es da weniger. Weil diese Hochzeit so ein wichtiges Ereignis war, wurde viel darüber geschrieben - einige der Dokumente sind erhalten geblieben. Deshalb weiß man, wie viele Pferde dabei waren (über 10 000), welche Gäste mitfeierten (zum Beispiel der damalige Kaiser Friedrich III.) und was die zum Essen bekamen (unter anderem 323 Ochsen, 1133 Schafe und 11500 Gänse). Die Bürger von Landshut bekamen eine Woche lang umsonst zu essen und trinken - jeder hatte Anspruch auf eine Maß Wein und einen Laib Brot - und das zweimal am Tag. Es gab Turniere, Rennen und andere Veranstaltungen zur Belustigung der Gäste. Insgesamt dauerte die Hochzeit eine Woche und kostete den Vater des Bräutigams 60 677 Rheinische Gulden, umgerechnet rund 12 Millionen Euro. Die Festwochen dauern dieses Jahr noch bis zum 23. Juli.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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