Michelin-Guide:Eine mächtige Unerkannte

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Die Deutsche Juliane Caspar wird Chefin beim Guide Michelin France. Damit ist sie die erste Frau an dieser Position und die erste Ausländerin. Sie bleibt am liebsten unerkannt.

Marten Rolff

Es gibt Menschen, die Juliane Caspar vorwerfen, der Guide Michelin orientiere sich zu Unrecht immer noch an der klassischen französischen Küche und sei daher etwas verstaubt. Andere wiederum schreiben, dass Caspar für einen neuen internationalen und kreativen Stil stehe und daher zuletzt experimentierfreudige Jungköche mit Sternen bedacht habe.

Juliane Caspar ist nun an der Spitze des Michelin Guides. Von der Bochumerin kennt man nur Fotos, auf denen das Gesicht verdeckt ist - sie arbeitet unerkannt als Testesserin. (Foto: Foto: dpa)

So gegensätzliche Urteile können der Chefkritikerin nur recht sein, beweisen sie doch, dass Caspar auch nach vier Jahren an der Spitze des deutschen, österreichischen und Schweizer Guide Michelin dem obersten Prinzip ihres Hauses treu geblieben ist: Man lässt sich nie in die Karten gucken.

Qualität, Stimmigkeit und Beständigkeit lauten seit jeher die etwas schwammigen Kriterien, an denen der Michelin die Güte eines Lokals misst. Weitere Regeln oder gar das Ausrufen von Trends würden nur das eigene Selbstverständnis als weltwichtigster Gourmetführer bedrohen. Man wolle ja, dass Köche für den Gast und nicht irgendeinem Stern hinterherkochen, wie Juliane Caspar in einem ihrer seltenen Interviews bekundete.

Auch dieser souveränen Strenge dürfte es zu verdanken sein, dass die 38-Jährige nun selbst höchste Weihen empfängt: Als erste Frau und erste Ausländerin wurde sie zur Chefin des französischen Guide Michelin berufen, wie die Redaktion des Gastroführers mitteilte. Damit darf Caspar als mächtigste Gourmetkritikerin Europas gelten.

Die Kürze der Zeit, in der sich ihr Aufstieg im nach wie vor Männer-dominierten Kritikerzirkus vollzog, ist beachtlich. Erst vor sechs Jahren stieß die "Herrin der Sterne", die aus dem Hotelfach stammt und als Restaurantleiterin im Ausland arbeitete, als Testesserin zum deutschen Michelin-Team. Bereits zwei Jahre später stieg sie zur Deutschlandchefin auf. Nun soll sie von Paris aus die gefürchtete rote Bibel lenken, deren Sterne-Diktum Jahr für Jahr Adrenalinschübe in Europas Spitzenküchen auslöst und die Karrieren in der Branche nachhaltig mitbestimmt.

Dass ausgerechnet eine Deutsche den französischen Chefsessel einnimmt, mögen manche als Triumph werten. Als Sieg der Edelküche in dem Land, das lange für Schweinebraten mit brauner Soße verlacht wurde. Caspar ließ sich am Montag lediglich ein paar Artigkeiten über Frankreichs Küche entlocken. Und dass sie Paris als "tolle Aufgabe" betrachte. Von der Bochumerin kennt man nur Fotos, auf denen das Gesicht von braunem Haar verdeckt ist, selbst Starköche wissen nicht, wie die Frau aussieht, die gern unerkannt als Testesserin arbeitet. Lieblingsgericht: unbekannt. Nur langweilig, so sagte sie mal, darf es bitte nicht sein.

© SZ vom 16.12.2008/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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