Michelin-Führer 2010:Auf kleiner Flamme

Für manchen Geschmack hat der Gourmetführer Michelin bislang zu viele Sterne in Deutschland verteilt. Die neue Ausgabe zeigt: Diesmal ist er seltsam geizig.

Patricia Bröhm

Es ist nun wirklich kein erbauliches Jahr für die deutsche Spitzengastronomie. Die Banken geizen mit Krediten, den Gästen sitzt das Geld nicht mehr so locker in der Tasche - und nun hält sich auch noch der Michelin mit Sternen zurück. Selten hätten Deutschlands Küchenchefs die Motivation, die mit der begehrten Auszeichnung verbunden ist, so dringend gebrauchen können wie gerade jetzt. Doch die Tester des berühmten Guide Rouge geben sich in der jetzt erscheinenden Ausgabe 2010 zugeknöpft - nachdem sie zuletzt Jahr um Jahr für einen Paukenschlag gesorgt hatten.

Guide Michelin, Restaurantführer; Foto: Istockphotos

Spitzenküche in Deutschland: Die Tester des Guide Rouge geben sich zugeknöpft.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Eine regelrechte Flurbereinigung der Drei-Sterne-Landschaft hatte seit 2005 stattgefunden: Während die beiden Altmeister Heinz Winkler und Jean-Claude Bourgueil jeweils den dritten Stern abgeben mussten, stiegen seit der Ausgabe 2005 mit Joachim Wissler, Christian Bau, Klaus Erfort, Juan Amador, Claus-Peter Lumpp, Nils Henkel und Sven Elverfeld eine neue Generation von Küchenchefs an die Spitze auf, die sich durch Weltoffenheit und kulinarische Intelligenz auszeichnen. Auch im Zwei-Sterne-Lager war ordentlich Bewegung - alleine 2007 wurden fünf Häuser neu damit ausgezeichnet.

Nichts dergleichen in diesem Jahr. Ein einziger Küchenchef erhält neu den zweiten Stern: Martin Herrmann vom Restaurant Le Pavillon im Hotel Dollenberg im Schwarzwald, in dem er seit vielen Jahren mit einem Küchenstil, der badische Regionalität mit französisch-mediterraner Haute Cuisine mischt, eine solide Stammkundschaft beglückt, aber nicht gerade zur kulinarischen Avantgarde des Landes zählt.

Wie ist die diesjährige Zurückhaltung des Michelin zu erklären? Stimmen die Gerüchte aus Frankreich, die besagen, einem konservativen Kreis im Mutterland der Gastronomie sei der deutsche Aufschwung zunehmend ein Dorn im Auge gewesen? Oder ist die berühmte Krise mal wieder schuld an allem? Aufschlussreich könnte auch ein Blick hinter die Kulissen des Michelin sein, bei dem der Chefredakteursposten seit Anfang des Jahres neu besetzt wurde.

Juliane Caspar, die seit 2004 auf junge Talente setzte und seither ein Sternenwachstum von 20 Prozent in Deutschland in Gang setzte, wurde zur Frankreich-Chefin befördert. Auf sie folgte ihr bisheriger Stellvertreter Ralf Flinkenflügel. Er beteuert, allerdings eher unverbindlich, den von seiner Vorgängerin eingeschlagenen Kurs fortsetzen zu wollen: "Ich sehe da noch so viele talentierte Köche, auch in der zweiten Reihe, von denen werden wir in den nächsten Jahren noch Einiges hören. Es bleibt weiterhin spannend."

Sparmenüs in Krisenzeiten

Es könne eben nicht jedes Jahr einen neuen Drei-Sterne-Koch geben, meint Flinkenflügel. "Unter den derzeitigen wirtschaftlichen Gegebenheiten ist es ein gutes Ergebnis, den Status Quo zu erhalten." Nach seinen Beobachtungen leidet jedoch eher die Luxus- und Businesshotellerie als die Spitzengastronomie unter der Krise. In den führenden Restaurants des Landes, erklärt Obertester Flinkenflügel, sei der Umsatz nur um etwa fünf Prozent zurückgegangen. Trotzdem setzt der Michelin in Zeiten der Krise vermehrt auf den Bib Gourmand, eine 1997 eingeführte Bewertung für Restaurants mit besonders günstigem Preis-Leistungs-Verhältnis. Insgesamt 362 Häuser, die ein Drei-Gänge-Menü für unter 35 Euro anbieten, sind in dem neuen Führer verzeichnet.

Gatower Rübchen und Müritz-Aal

Die Küchenchefs aber greifen natürlich lieber nach den Sternen. 23 unter ihnen erhalten 2010 diese Auszeichnung zum ersten Mal. Darunter sind vielversprechende junge Aufsteiger wie der Berliner Daniel Achilles, der in seinem erst im März eröffneten Restaurant Reinstoff regionalen Produkten wie Gatower Rübchen oder Müritz-Aal innovative Kochtechniken angedeihen lässt. Zum ersten Mal seit Jahren sind auch wieder zwei Frauen unter den Ausgezeichneten: Erika Bergmann vom Nero in Essen und Caroline Baum vom Amesa in Mannheim. Sie arbeitete zuvor fünf Jahre bei Drei-Sterne-Koch Juan Amador in Langen, der auch Patron des Amesa ist.

Für Gäste besonders lohnend ist immer ein Blick in die Kategorie "Hoffnungsträger". Tim Raue vom Ma Tim Raue in Berlin und Kevin Fehling vom La Belle Epoque in Lübeck dürfen sich berechtigte Hoffnungen auf einen zweiten Stern im nächsten Jahr machen - und werden ganz sicher in den kommenden Monaten noch einen Zahn zulegen. Das trifft auch auf Thomas Bühner vom Restaurant La Vie in Osnabrück zu, der mit seiner kreativen und sensorisch spannenden Küche für viele schon lange als Anwärter auf den dritten Stern gilt. Das sieht nun ganz offiziell auch der Michelin so.

Die Sterne auf einen Blick

Der deutsche Drei-Sterne-Club zählt weiterhin neun Mitglieder: Harald Wohlfahrt (Schwarzwaldstube/Baiersbronn), Helmut Thieltges (Waldhotel Sonnora/Wittlich-Dreis), Joachim Wissler (Vendôme/Bergisch Gladbach), Christian Bau (Schloss Berg/Perl-Nennig), Claus-Peter Lumpp (Bareiss/Baiersbronn), Klaus Erfort (Gästehaus Erfort/Saarbrücken), Juan Amador (Amador/Langen), Nils Henkel (Schloß Lerbach/Bergisch-Gladbach) und Sven Elverfeld (Aqua/Wolfsburg).

Mit insgesamt neun Drei-Sterne-Häusern ist Deutschland nach Frankreich in Europa das Land mit den meisten Adressen der höchsten gastronomischen Auszeichnung. Dazu kommen 18 Zwei-Sterne-Restaurants und 198 Häuser mit einem Stern. Im gastronomischen Städteranking führt Berlin mit insgesamt zwölf Sternen, dicht gefolgt von Hamburg mit elf und München mit zehn.

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