Medizin und Wahnsinn (43):Ratlos beim Arzt

Um das System zu schonen, müssen wir erst den Hausarzt konsultieren, ehe wir zum Fachmann gehen. Doch wie fortschrittlich ist das?

Werner Bartens

Sie war nicht wie die Anderen. Sie wollte keine Extrabehandlung, sondern einfach zu einem Arzt. Die anderen Mitarbeiter gaben sich ja nur mit Chefärzten und international führenden Experten zufrieden.

Arzt; iStockphotos

Falls der Doktor vergisst, Herztöne und Blutdruck zu prüfen, erinnern Sie ihn einfach daran.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Wenn es beispielsweise den geschätzten Kollegen mal wieder im Knie zwickte, wollte er mindestens vom Arzt der alpinen Skiläufer behandelt werden. Oder von den Medizinern, die darauf aufpassten, dass den Gewichthebern nicht die Gelenke um und die Trommelfelle aus den Ohren flogen, wenn sie mal wieder ein paar Zentner stemmten.

Ein Kollege ließ sich seinen Schnupfen grundsätzlich nur vom Chefarzt der universitären Hals-Nasen-Ohren-Klinik behandeln. Aber das war sein privater Rotz, da soll man sich nicht einmischen.

Kürzlich hatte eine Kollegin mein gelbes Sofa aufgesucht und einen Stapel Fachartikel dort abgelegt. Sie hatte nächtelang ihre diversen Beschwerden gegoogelt und wollte jetzt einen Arzt, der ihre Verdachtsdiagnose Karpaltunnelsyndrom endlich bestätigte.

"Ich weiß es doch, er muss nur ja sagen", sagte sie immer wieder. Sie wünschte sich aber nicht irgendeine Empfehlung, sondern einen Arzt, der ihre schmerzende Handwurzel "evidenzbasiert" behandelte. Sie hatte den Begriff in der Fachliteratur aufgeschnappt; er bedeutet, dass Ärzte ihre Diagnostik und Therapie nach den besten, wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen ausrichten.

Das wollen natürlich alle. Klappt aber nicht immer. Die Kollegin, die jetzt auf meinem gelben Sofa saß, suchte einfach nur schnelle Hilfe. Ihr war etwas flau im Kopf, etwas flau im Magen, manchmal auch etwas schwindelig. Vor wenigen Tagen sackte sie im Restaurant sogar kurz etwas weg. Im Sitzen war sie ohnmächtig geworden, einfach so.

Ratlos beim Arzt

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Der Witz vom Arzt

Gut, sie war ein zartes Gemüt und auch von ihrem Blutdruck wusste sie, dass er nur selten dreistellige Werte erreichte und meistens träge bei 90 zu 60 dümpelte. Das gemeine Gefühl, dass ihr jederzeit schwarz vor Augen werden könne, beunruhigte sie aber doch.

Ein klassischer Fall für den Hausarzt, aus individueller wie gesundheitspolitischer Sicht. Die Allgemeinmedizin soll schließlich gestärkt werden. Als Lotsen im Gesundheitswesen sollen die Hausärzte stärker als bisher entscheiden, ob ein Patient zum Facharzt muss, ins Krankenhaus oder vom Hausarzt weiterbetreut wird. Das verhindert unnötige Untersuchungen und spart nebenbei erhebliche Kosten.

Sie freute sich, dass sie - gegen den Trend - zum einfachen Arzt auf der Straße ging, während ihre Kollegen sich ausschließlich von Ärztlichen Direktoren und Professoren behandeln ließen.

Nach dem Besuch bei der Ärztin saß sie allerdings weinend auf meinem gelben Sofa, er war auf groteske Weise überflüssig. Die Ärztin hatte zwar ehrlich zugegeben, dass sie erst vor drei Wochen ihre Praxis eröffnet hatte. Allerdings war unklar, was sie zuvor getrieben hatte, Abfahrts-Ski oder Gewichtheben. Sie fragte nichts, sagte wenig - und als sie das EKG abgeleitet hatte, konnte sie es nicht lesen. "Wahrscheinlich unauffällig, aber das hier kann ich nicht erklären", murmelte sie. Das sind die Aussagen, die Patienten so lieben.

Sie gab ihr Überweisungen für den Kardiologen und Neurologen mit und wollte sie verabschieden. Die Patientin erinnerte sie daran, doch noch den Blutdruck zu messen.

Da fällt einem der Arzt im Comic ein, der auf die Patientenfrage "Was hab ich bloß?" antwortet: "Woher soll ich das wissen?" Im Comic lässt der Doktor ein Röntgenbild anfertigen und blättert im Fachbuch. Als der Patient erfahren möchte, was auf seiner Aufnahme zu sehen ist, rätselt der Arzt: "Mmmh, was könnte das sein, vielleicht Krebs?".

Die Ärztin im richtigen Leben hat Zuversicht vermittelt. Sie sagte zur Patientin: "Vielleicht bin ich in zehn Jahren so weit, dass ich erkennen kann, was Ihnen fehlt." Das ist medizinischer Fortschritt.

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