Medizin und Wahnsinn (81):Magenspiegelung obendrauf

Manchmal reden Arzt und Patient gehörig aneinander vorbei. Das Resultat: unnötige Untersuchungen und unliebsame Diagnosen.

Werner Bartens

Er hatte so ein stechendes Ziehen zwischen den Rippen. Oder auch ein ziehendes Stechen. Vom Arzt wollte er nur hören, dass er sich die Muskeln zwischen den Rippen gezerrt hatte und es deshalb ein wenig zog und stach.

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Schöne Röntgenaufnahme, aber was ist das für ein Hautausschlag auf der Brust?

(Foto: Foto: iStockphotos)

Stattdessen wurde der Kollege vom Doktor an ein EKG angeschlossen und sein Herz geschallt. Dann kam dieser besorgte, faltenvolle Blick. Der Arzt teilte seinem Gast mit, dass er bei der Untersuchung einen inkompletten Rechtsschenkelblock und einen Mitralklappen-Prolaps entdeckt habe. Der Kollege hörte nur Block, Prolaps, Block, Prolaps. Block, Stop, Tod. Manchmal hallte das Wort Schenkelblock gehässig in ihm nach.

Den Blick des Arztes würde er nie vergessen. Ärzte sollten nicht nur einfühlsamer sprechen lernen, sondern auch ihre Mimik besser kontrollieren. Bei dem Kollegen mit dem Herz sprach allein das Gesicht des Arztes das vernichtende Urteil: Dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht, aber es ist wohl doch Krebs - oder in ihrem Fall: das Herz.

Der Kollege ging in sich. Block, Stop, Tod. Sein Leben zog an ihm vorbei, er sah sich schon auf der Warteliste für eine Herztransplantation und, weil es nicht mehr reichte, ein letztes Mal im Kreise seiner Lieben. In morbide Gedanken versunken, bekam er nicht mit, dass der Arzt nuschelte, dass es sich um einen harmlosen Zufallsbefund handeln würde.

Der Herzinfarkt kommt von hinten

Wahrscheinlich ist diese ungefragte Mitteilsamkeit der Grund für die häufige Klage von Kranken, dass Ärzte nicht zuhören und Patienten zu selten kriegen, was sie wollen. Die Handwurzel schmerzt, aber man bekommt nicht die Hand, sondern die Schilddrüsenhormone untersucht. Statt der Krankschreibung stellt der Arzt Empfehlungen zur gesunden Lebensführung aus. Den Lieblingskollegen zwickt es im Knie - und der Arzt sagt, es ist der Kopf und er solle besser seine psychischen Problemzonen bearbeiten als seinen Meniskus verrückt zu machen.

Besonders hübsch erging es der Kollegin, die immer wieder von lästigen Aphthen in der Mundschleimhaut gepeinigt wird. Die kleinen, entzündeten Stellen schmerzen höllisch und bisher hat kein Arzt ihr helfen können, obwohl sie schon etliche Untersuchungen über sich ergehen ließ.

Ein weiterer Arzt, den sie um Rat fragte, war sehr an ihr interessiert, weniger persönlich, eher als Privatpatientin. Nachdem sie ihre Leiden im Mund ausführlich geschildert hatte, bat er sie um eine Stuhlprobe. Der Arzt ging das Problem entschieden von hinten an und sie alsbald für immer aus seiner Praxis hinaus.

Ein Arzt kann sich zwar immer damit herausreden, dass er ganzheitlich orientiert ist und irgendwie alles mit allem zusammenhängt. Mund und Enddarm sind das A und O des Verdauungstraktes, zugegeben. Und ja, auch ein Herzinfarkt macht sich selten am Herz bemerkbar. Er geht lieber Umwege und strahlt in Kinn oder linken Arm aus. Manchmal zieht es ihn auch in den Oberbauch und er tut so als sei er ein Sodbrennen. Und der Bandscheibenvorfall dehnt sich gern ins Bein aus, statt sich mit der Lende zu begnügen.

Diese Ausnahmen sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass man nie vom Arzt bekommt, was man braucht. Es ist wie im Restaurant. Dort greift auch die Unsitte um sich, dass man mit etwas abgespeist wird, was man nicht wollte.

Aus Versehen landet Pizza Napoli statt Pizza Tonno auf dem Teller? Oh, darf ich Ihnen einen Ramazotti anbieten, geht aufs Haus? Odysseus-Platte statt Naxos-Spieß? Der Retsina ist heute gratis. Was soll das?

Wenn die Werkstatt Sommerreifen aufziehen soll und stattdessen Ölwechsel macht, bin ich auch nicht besänftigt, wenn sie neue Wischblätter montieren. Und wenn ich auf Darmkeime untersucht werde, obwohl ich Salbe gegen juckende Ekzeme in der Leiste wollte, werde ich nicht zufriedener, wenn ich eine Magenspiegelung obendrauf bekomme.

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