Medizin und Wahnsinn, Folge 148:Krank mit Ansage

1,7 Millionen Deutsche wissen schon jetzt, wann und wie lange sie in der Herbst-Winter-Saison krank werden - wegen einer Grippe oder einem verlängerten Wochenende in den Bergen. Ist das alles nur beruhigende Planungssicherheit?

Werner Bartens

Es ist beruhigend, ein wenig Planungssicherheit zu haben. Kürzlich hat der Kollege eine freie Woche für Ende März beantragt. Da seien keine Schulferien und auch sonst keine spektakulären Ereignisse zu erwarten, teilte er vorsorglich mit. Sechs Monate im Voraus die Büronachbarn auf mögliche Abwesenheiten hinzuweisen, ist einerseits vorbildlich und hilfreich für alle Beteiligten, andererseits kann man von erfahrenen Arbeitnehmern noch mehr Voraussicht erwarten. Sie sollten nicht nur weitläufig ankündigen, wann sie ihren Sommerurlaub und andere freie Tage bis 2014 zu nehmen gedenken, sondern auch wann sie krank zu werden planen.

Fieber

Fieber Mann mit Fieberthermometer in Bett

(Foto: iStockphoto)

Sie sollten sich ein Beispiel nehmen an jenen 1,7 Millionen Deutschen, die jetzt schon genau wissen, wann und wie lange sie in der Herbst-Winter-Saison krank werden. In einer repräsentativen Befragung gaben zwei Prozent an, sich während der drohenden dunklen Jahreszeit für drei Tage krank schreiben zu lassen. Die Begründung irritierte allerdings ein wenig - wenn die Tage kürzer sind, und die Dämmerung das Land und die Gemüter der Menschen fest im Griff hat, falle es weniger auf. Man fragt sich, welche unscheinbaren Arbeitnehmer hier befragt wurden, denn es handelte sich angeblich nicht nur um Nachtwächter, Tunnelbohrer, Mitarbeiter in Dunkelkammern oder von Geheimdiensten.

Weitere zwei Prozent der Befragten haben eigenen Angaben zufolge vor, sich im Herbst oder Winter eine Woche lang krank schreiben zu lassen. Das lohnt sich eher als die mickrigen drei Tage Auszeit, da ist ein Skiurlaub drin oder auch ein verrenkter Wirbel, ja sogar eine kleine Lebensmittelvergiftung. Umgerechnet auf die Bevölkerung würden sich jeweils 684000 Arbeitnehmer für drei oder eben sieben Tage eine Pause gönnen, zumeist ,,wegen möglicher psychischer Probleme oder Konflikte am Arbeitsplatz''.

Termingenaue Fehltage

Ein etwas kleinerer Teil der Arbeitnehmer - hochgerechnet sind das immerhin 342000 Deutsche - würde sich im Winter sogar für drei Wochen krank schreiben lassen. Eine hartnäckige Grippe kann so lange dauern, die Entfernung der Gallenblase mit Anschlussheilbehandlung ist in diesem Zeitfenster ebenfalls unterzubringen. Man muss Respekt vor diesen Menschen haben, sie kennen ihren Körper und ihre Bedürfnisse genau. Als Begründung geben sie zumeist an, sicher zu wissen, ,,dass ich zu dieser Zeit unabhängig von meinem Job immer Depressionen bekomme''.

Das Meinungsforschungsinstitut und erst recht die Arbeitgeber weisen natürlich darauf hin, dass es sich bei geplanten Krankschreibungen um Betrug handele und das Rechtsbewusstsein bei jenen fehle, die davon Gebrauch machen. Das ist richtig - aber zu kurzfristig gedacht. Wer sich oder seinen Chef kennt, weiß, wann man ihm besser aus dem Weg geht und wann man sich selbst anderen nicht zumuten sollte. Langfristig tragen die termingenauen Fehltage wohl viel zur Gesundheit im Betrieb bei und verhindern womöglich sogar Unfälle am Arbeitsplatz.

Auch 20 Jahre nach Vollendung der deutschen Einheit ist die Gleichheit in der Körperwahrnehmung und Selbsterkenntnis aber längst noch nicht erreicht. Während im Osten sieben Prozent der Arbeitnehmer umsichtig ihre Krankheiten für den Winter planen, sind es im Westen nur vier Prozent. Diese positiven Folgen der Planwirtschaft werden gerne vernachlässigt. Womöglich sind gezielte Absencen aber eine Erklärung für die oft zitierte Kuschelatmosphäre, von der viele Ostler bis heute schwärmen. Gesund ist es außerdem, wenn man sich nicht ständig gegenseitig auf die Nerven geht.

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