Medizin und Wahnsinn, Folge 154:Gefühlsecht Kröten schlucken

Von "Nie mehr frieren" bis "Nur essen, wenn man Hunger hat" - für jede Situation gibt es inzwischen die passenden Ratgeber.

Werner Bartens

Es ist gut für das seelische Gleichgewicht, hin und wieder grundsätzlich mit sich selbst in Zwiesprache zu treten. Der November ist ein Monat, der sich für entsprechende Übungen und die stillen Momente der inneren Einkehr eignet, zu denen es unweigerlich kommt, wenn man in gefasster Stimmung über sich nachdenkt und die üblichen Größenphantasien einmal beiseitelässt. Während der Selbstbesinnung sollten aber nicht nur die ewigen, überwölbenden Fragen aufgeworfen werden, etwa: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was soll das alles? Und wird morgen der Papiermüll abgeholt oder war das erst letze Woche? Oft ist es auch hilfreich, sich körperlich seiner selbst zu vergewissern und ein paar Grundlinien festzulegen.

Kroeten- und Froschwanderung

Ist man ein Lust- oder ein Frustesser, wenn man sich hauptsächlich von Käfern, Kakerlaken und überfahrenen Kröten ernährt? Ratgeber-Autoren sind noch am Überlegen.

(Foto: ddp)

Glücklicherweise gibt es entsprechende Fachinformationen zum Thema, sonst wäre der Mensch, der sich nur gelegentlich auf seinen Körper einlässt, aufgeschmissen. Zu loben ist hier die Zeitschrift aktiv laufen. Sie ködert ihre Leser schon auf dem Titel der aktuellen Ausgabe mit Verheißungen wie ,,Besser ankommen'', ,,Nie mehr frieren'' und ,,Die besten Stirnlampen''. Das ist zweifellos sehr wichtig, aber noch brennender interessiert unsere sehr sesshafte Redaktion, wie man passiv läuft und ob eine Zeitschrift für diese Klientel die besten Sofakissen vorstellt, mit denen man nie mehr frieren muss und beim Partner am besten ankommt.

Auch in Ernährungsfragen muss offenbar immer wieder an Grundlegendes erinnert werden. Buchautor und PR-Berater Uwe Knop empfiehlt seinen Lesern: ,,Essen Sie nur dann, wenn Sie echten Hunger haben und zwar nur das, worauf Sie Lust haben und was Ihnen gut schmeckt.'' Isst jemand tatsächlich dann, wenn er Hunger hat und zwar das, was ihm schmeckt, attestiert Knop ihm ,,kulinarische Körperintelligenz''.

Ob Rüdiger Nehberg, die alte Hamburger Intelligenzbestie, auch über diese besondere Form der Intelligenz verfügt? Der gelernte Konditor und selbst ernannte ,,Sir Vival'' hat sich ja von den Torten ab- und den Torturen zugewandt. Er rettet bedrohte Völker und ist gerne mal auf Baumstämmen im Atlantik unterwegs. Ist er nun ein Lust- oder ein Frustesser, wenn er sich statt von Marmorkuchen und Lemon-Tarte hauptamtlich von Käfern, Kakerlaken und überfahrenen Kröten ernährt? Sprachwissenschaftler werden einst erkunden, ob der Ausdruck ,,eine Kröte schlucken'' auf Nehberg zurückgeht. Und gibt es eigentlich noch ,,Rennie räumt den Magen auf''?

Die Spielarten der körperlichen Selbstfindung sollten allerdings nicht beim Essen aufhören. Findige Verlage bereiten bereits Titel vor wie: ,,Trinken Sie nur, wenn Sie auch echt Durst haben''. Gerüchten zufolge plant das People-Magazin Psychologie heute ein servicelastiges Schwerpunktheft zum Thema ,,Weinen, wenn man echt ganz traurig ist'', in dem auch die Extrakapitel ,,Schreien, wenn es echt weh tut'' und ,,Schlafen, wenn man müde ist'' Platz finden sollen.

Auch körperlichen Nöten und Bedürfnissen sollten Mitmenschen, die sich ihrer selbst schon länger entfremdet fühlen, unbedingt nachgeben. Das lehrt schon der Blick in die Geschichte. Der Tod des dänischen Astronomen Tycho Brahe ist zwar bis heute ungeklärt. Einer populären Überlieferung zufolge starb der Sternenforscher im Jahre 1601 in Prag an den Folgen eines Harnverhalts. Er hatte an einem Festbankett des Kaisers teilgenommen und sich wohl nicht getraut, während des strengen Hofzeremoniells die Toilette aufzusuchen. Brahe erlitt einen Blasenriss, an dem er zehn Tage später qualvoll starb und zwar in echt.

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