Medizin und Wahnsinn, Folge 143:Ein Mal Aufladen, bitte

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"Bio", "Vita" oder "San": Medizinische Produkte dieses Namens wollen ein Minus unseres Körpers beheben. Sie sind aber meist nicht mehr als aufgeblähte Wortschöpfungen.

Werner Bartens

Es ist noch nicht lange her, da galt der von Patienten immer wieder bestätigte medizinische Lehrsatz: Nur was weh tut und zu heftigen Nebenwirkungen führt, hilft auch richtig. Großkalibrige Kanülen, die kleine Tunnel im Fleisch hinterließen, sowie bittere Säfte, Dragees und Tabletten, nach deren Einnahme kurzfristig die Sinne schwanden, ließen fast jeden Patienten vergessen, dass es ihm ursprünglich ganz woanders weh tat. Inzwischen scheint ein anderes Kriterium weitaus wichtiger für eine erfolgversprechende Behandlung zu sein: Nur was teuer ist, kann Heilung bringen oder wenigstens die ärgsten Beschwerden lindern. Billige Mittel taugen nichts, Gesundheit hat eben ihren Preis.

Was nicht von Krankenkassen erstatt wird, dessen Nutzen ist nicht belegt. Geschäftstüchtige Ärzte bringen viele Mittelchen aber dennoch an den Patienten. (Foto: iStockphoto)

Besonders teuer wird es, wenn die Mittel sich natürlich geben, was unschwer an den Wortbestandteilen "Bio'', "Vita'' oder "San'' zu erkennen ist, die gerne auch kombiniert werden. Um sich mit einer angeblichen Ladung Natur abfüllen zu lassen, ist eine mehr oder weniger ausgeklügelte Mangelrhetorik hilfreich. Überall fehlt etwas: Anfänger sagen, ihre Speicher seien leer oder sie müssten auftanken. Fortgeschrittene sprechen immerhin schon davon, dass sie ihre Akkus oder Batterien aufladen müssten. Der medizinisch Halbgebildete gibt in seinem Bulletin preis, dass er seine Depots wieder auffüllen müsse.

Was für schiefe Bilder. Der Mensch ist keine Taschenlampe, der langsam der Saft ausgeht und auch kein Trinkwassersprudler, der eine neue Kartusche braucht. Wer solche technischen Vorgänge bei gelegentlicher Erschöpfung vermutet oder weil er mal müde ist, sollte seinen Körper besser kennenlernen und ab und zu früh schlafen gehen. Oder Urlaub machen.

Während überteuerter Unsinn von Verbrauchern oft als solcher erkannt wird, scheint dieses Gespür in gesundheitlichen Dingen immer wieder auszusetzen. Dabei sind manche Anzeichen untrüglich: Bietet eine ärztliche Privatpraxis in städtischer Bestlage Stoffwechseltests, Vitalkuren, Bio-Analysen oder Darmsanierungen an, kann man gleich in griechische Staatsanleihen oder in Opel investieren. Kostet auch viel, ist aber weniger invasiv.

Die entsprechenden Methoden heißen BioVita oder VitaBio, BioSan, SanaVita oder schlicht Vitakur - den aufgeblähten Wortschöpfungen sind keine Grenzen gesetzt. Meist sind gleichnamige Produkte mit im Angebot, die dem Körper angeblich fehlen und unkompliziert beim Arzt zum Vorzugspreis von 49,90 Euro oder 89,90 Euro in der Vorratspackung - weil es günstiger ist - erworben werden können.

Eigentlich ist es ganz einfach: Was in der Medizin nicht von den Krankenkassen erstattet wird, taugt zumeist auch nichts. Der Nutzen ist dann schlicht nicht belegt. Geschäftstüchtige Ärzte schärfen ihren Patienten geduldig immer wieder das Gegenteil ein: Weil Sie es sich wert sein sollten, es lohnt sich, man lebt nur einmal, betrachten Sie es als Investition in Ihre Gesundheit ...

Auf diese Weise werden Patienten sogar Flüssigkeitsanalysen des Stuhlgangs verkauft und die angebliche Abwehrkraft ihrer Darmschleimhaut getestet. Dafür kassiert der Arzt Hunderte, manchmal Tausende Euro. In den Befunden stehen Textbausteine mit Reizwörtern der Epoche: Umweltbelastungen, Stress, defekte Defensine und Mangelversorgung mit Mikronährstoffen - da kann die Schleimhautimmunität schon leiden. Medizinisch ist daran nichts, nur das vermeintliche Fachvokabular - das aber erinnert eher an den Irren aus "Der Name der Rose'', der in vielen Sprachen Unsinn lallt. Der Aufwand dient dem Verkauf von Prebiotika und Probiotika für den Darm. Man sollte sie Trallalabiotika nennen, denn - man muss es so sagen - das ist Medizin, die keiner braucht.

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