Medizin und Wahnsinn, Folge 114:Babymoon in Oberbayern

Wellness-Hotels und werdende Eltern: Zwischen Hechelkurs und Pamperskauf sollen Paare kurz vor der Niederkunft nochmal entschlacken.

Werner Bartens

Der medizinische Fortschritt macht nicht Schritte, sondern Sprünge. Diese Entwicklung vollzieht sich allerdings weniger auf dem Gebiet der Arzneimittel, Operationsverfahren und medizintechnischen Innovationen.

Wellness, dpa

Die Wellness-Industrie denkt sich immer was Neues aus - wie das Wohlfühlprogramm für werdende Eltern mit "vitaminreichem Gesundessen".

(Foto: Foto: dpa)

Wenn in der Medizin von einem Durchbruch die Rede ist, kann man vielmehr zu 99 Prozent sicher sein, dass es sich nicht um eine bahnbrechende Entdeckung handelt. Vermutlich hat sich dann der eitrig-entzündliche Inhalt von Magen, Darm oder Wurmfortsatz in die Bauchhöhle ergossen. Umso mehr machen sich PR-Agenturen und Kurkliniken derzeit um den Fortschritt der medizinischen Terminologie verdient. Krise und Kliniksterben fördern offenbar die Kreativität.

Die schönste medizinische Wortschöpfung der jüngsten Zeit ist zweifellos unseren Freunden vom Wellness-Marketing gelungen. Sie bieten Paaren an, "die in freudiger Erwartung auf Nachwuchs sind, beim Babymoon in Oberbayern ihre letzten Tage der Zweisamkeit zu genießen".

Babymoon, die letzten Tage - hier wird in aller gebotenen Dramatik, die zwischen den Themenfeldern High Noon und Honeymoon Platz hat, daran appelliert, zwischen Hechelkurs und Nestbautrieb nicht das eigene Wohlbefinden zu vernachlässigen und sich zum Duell am Salatbuffet einzufinden.

Romantische Pferdekutschfahrt

Geboten wird ein dreitägiges Verwöhnprogramm für werdende Eltern. Dass ein "vitaminreiches Gesundessen" - was immer das genau ist - und eine "romantische Pferdekutschfahrt" Paaren guttun können, die Nachwuchs erwarten, ist verständlich.

Warum werdenden Eltern allerdings die Wellness-Behandlung "Zu zweit nach Afrika" im "African Spa" des Hotels aufgedrängt werden soll, bleibt schleierhaft. Man kann das als Wellness gewordenen Fluchtimpuls interpretieren. Sich in die Weite der Savanne zu phantasieren, mag gerade für manche werdenden Väter attraktiver sein, als sich die Enge vor der Wickelkommode in der zu klein gewordenen Wohnung vorzustellen.

Wahrscheinlich ist die Daktari-Wellness eine subtile Vorbereitung auf den Schrecken der ersten Wochen als Eltern. Den Paaren soll "ein Büffelmilch-Fußbad", "eine Kaffee-Ganzkörperbehandlung" und "ein Büffelmilch-Vollbad" verabreicht werden.

Jenseits-von-Afrika-Gesums

Lässt man Büffel und Jenseits-von-Afrika-Gesums weg, heißt das im Klartext: Werdenden Eltern wird in Wohlfühlatmosphäre - und ohne dass man den Dreck hinterher selbst wegmachen muss - schon mal gezeigt, wie es ist, wenn einem die Kinder später die Milch vor die Füße schütten oder ihr süßes Toben eine Kaffeeverbrühung zweiten Grades nach sich zieht.

Das Hotel droht zusätzlich für die werdende Mutter mit einer "Gesichtsbehandlung" und für den Vater mit einer "aktivierenden Sportmassage". Das klingt unspezifisch, aber vorausschauend, denn die häufigsten Veränderungen, die Paare nach der Geburt eines Kindes bei sich feststellen, sind, dass die Mutter akut Sorgenfalten bekommt und der Vater immer dicker wird.

In Zeiten, da jedes Bettenhaus mit Wellness-Matratzen wirbt und jede insolvente Kurklinik, die noch über eine Badewanne verfügt, ganzheitliche Rosenblütenspülungen oder Kleopatra-Bäder anpreist, müssen neue Zielgruppen unter den Wellness-Kunden angesprochen werden.

Babymoon ist nur der Anfang. Für altgediente Paare könnte man als Dauerangebot Streit-Wellness in getrennten Schlafzimmern anbieten. Statt Masseur käme der Mediator. Mobbing-Wellness könnte nur in Gruppen ab sechs Personen gebucht werden, wobei darauf zu achten ist, dass mehr Teilnehmer mitkommen, als Plätze in Sauna oder Sprudelbecken frei sind. Anmeldungen werden nur vom Arbeitgeber entgegengenommen.

Statt immer kenianische Hochlandrosen für die Waschessenzen auszupressen, gebe es endlich Wohlfühlbäder aus Distelöl und Kaktusmilch.

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