Medikamente:Auf der Suche nach dem perfekten Placebo

Scheinpräparate wirken bei Depression, Schmerz und Parkinson - Ärzte wollen die Behandlung nun optimieren

Nikolas Westerhoff

Ein Placebo ist eine Pille ohne Wirkstoff. Nur Zucker, Stärke oder Kochsalzlösung sind darin. Dass Placebos bei vielen Leiden helfen, wissen Ärzte schon lange. Ob Depression, Bluthochdruck oder Schmerzen - Mittel ohne Wirkstoff lindern Krankheitssymptome. Jetzt sollen die Scheinpräparate noch besser und gezielter eingesetzt werden. "Wir versuchen nun herauszufinden, wie man die Wirkung von Placebos weiter optimieren kann", sagt Rainer Schneider, Psychologe an der Universitätsklinik Freiburg.

Placebos wirken wie echte Medikamente

"Es zeigte sich, dass das Placebo ebenso effektiv wirkte wie die eigentliche Substanz."

(Foto: Foto: ddp)

Schneider hat in einer Untersuchung festgestellt, dass der Nutzen eines Placebos steigt, wenn der Arzt seinem Patienten eine schnelle Besserung durch das Präparat verspricht, wenn er selbst von einer solchen Behandlung überzeugt ist und wenn er behauptet, dass die Symptome leicht zu kontrollieren sind.

Suggestive Aussagen des Arztes verstärken den Placeboeffekt weiter, etwa: "Dieses Mittel ist bekannt dafür, dass es bei vielen Menschen sehr zuverlässig wirkt." Außerdem gilt: Kleine und farbenfrohe Placebopillen sind weißen und mittelgroßen überlegen. Placebospritzen wirken besser als Placebotabletten.

"Die Placebowirkung hat eine physiologische Basis."

Entscheidend ist die Erwartung, die ein Patient an ein Scheinmedikament knüpft. Diese Erwartung spiegelt sich in biologischen Parametern wider, wie der Neuropsychologe Thomas Weiß von der Universität Jena bei Schmerzpatienten nachweisen konnte: "Je positiver die Erwartung, desto stärker werden bestimmte Regionen des Frontalhirns und des sogenannten anterioren Cingulums aktiviert." In diesen Arealen würden dann körpereigene Opiate freigesetzt, die dem Schmerzmittel Morphin ähnelten. "Die Placebowirkung", so Weiß, "hat eine physiologische Basis."

"Die Erwartung eines Patienten wird durch die Informationen beeinflusst, die ein Arzt gibt", sagt die Ärztin Karin Meißner vom Institut für Medizinische Psychologie an der LMU München. In Studien konnte sie zeigen, dass ein als Magenpräparat getarntes Placebo genau jene Symptome hervorruft, über die der Arzt den Probanden zuvor aufklärte.

"Sagt der Arzt einer Person, dass ein Medikament die Aktivität des Magens erhöht", so Meißner, "dann registrieren Elektroden auf ihrer Bauchdecke tatsächlich eine höhere Magenaktivität." Durch Placebos ließen sich Organe direkt und spezifisch beeinflussen. Andere physiologische Parameter wie Hautleitfähigkeit oder Herzfrequenz würden durch die Placebobehandlung des Magens hingegen nicht beeinflusst.

Eine weitere Möglichkeit, den Placeboeffekt zu vergrößern, besteht darin, Menschen zu konditionieren. Dies gelang etwa in Experimenten mit Patienten, denen über längere Zeit ein Schmerzmittel verabreicht wurde. Irgendwann ersetzten die Ärzte das Medikament durch ein Pseudopräparat, das genauso aussah wie das echte Mittel. "Es zeigte sich, dass das Placebo ebenso effektiv wirkte wie die eigentliche Substanz", sagt Psychologe Schneider.

Koffeinwirkung ohne Koffein

Dieser Konditionierungsprozess wurde mittlerweile gut dokumentiert: Sind Menschen überzeugt, koffeinhaltigen Kaffee zu trinken, stellen sich bei ihnen automatisch die entsprechenden psychischen und physiologischen Reaktionen ein - auch wenn das Getränk gar keinen Muntermacher enthält. "Nimmt ein Patient immer dieselbe Tablette mit derselben Verpackung und demselben Geschmack zur selben Tageszeit ein, dann geht irgendwann ein Teil der eingetretenen Wirkung auf die Konditionierung zurück", sagt Meißner. Das heißt: Die Heilung würde auch eintreten, wenn die Tablette inhaltsleer wäre.

Placebobehandlungen sind dann besonders wirkungsvoll, wenn sie das "Glaubenssystem" eines Patienten stützen. "Vertraut der Patient auf Spritzen, dann sollte man spritzen", sagt Harald Walach, Psychologe an der University of Northampton. Sei er eher von "schweren Geschützen" überzeugt, dann würden Antibiotika besser helfen als homöopathische Mittel.

Aus Sicht von Walach sind Placebobehandlungen manchmal sogar das Mittel der Wahl. "Neue Akupunkturstudien der Krankenkassen zeigen etwa, dass Placebo- oder Scheinakupunktur sogar wirksamer ist als die konventionelle Behandlung", sagt Walach. Deshalb sei zu überlegen, ob man in solchen Fällen nicht gleich auf die Scheintherapie setzen solle.

Auf der Suche nach dem perfekten Placebo

Bei fast jeder ärztlichen Maßnahme, so Walach, würde der Placeboeffekt eine zentrale Rolle spielen. Denn auch die Wirkung des Verums, also des echten Medikamentes, sei zum Teil placebobedingt. Tatsächlich konnte der italienische Arzt Fabrizio Benedetti in mehreren Studien nachweisen, dass ein verdeckt verabreichtes Morphin gegen Schmerzen weniger gut wirkt als ein offen verabreichtes Morphin. Auch im Verum steckt folglich ein Placebo, das sich nutzen lässt. "Nicht nur die Placebotherapie, auch die Verumtherapie lässt sich durch Suggestion oder Konditionierung optimieren", sagt der Psychologe Paul Enck von der Universität Tübingen.

Ob manche Menschen eher für Placebos empfänglich sind als andere, ist unter Forschern umstritten. "Wir wissen jedoch mittlerweile, dass Placebos bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken. Bei Männern wird der Effekt vor allem über Suggestion vermittelt", sagt Enck. Bei Frauen hingegen werde die Wirkung eher über Konditionierung gesteuert. "Placeboempfindlich sind vor allem jene Menschen", so Enck, "die bereits auf eine längere Krankengeschichte zurück blicken."

Bei einem Menschen, der noch nie beim Arzt war, sei es hingegen schwer, einen Placeboeffekt zu erzielen. "Auch haben unsere Forschungen gezeigt, dass Ärztinnen eher im Stande sind, Placeboeffekte hervorzurufen", sagt Enck. Sie seien bessere Placebo-Doktoren als ihre männlichen Kollegen.

Placebos wirken zum Beispiel bei Depressiven, Rheumatikern und Schmerzpatienten. "Auch bei Parkinson-Erkrankten haben sie sich als effektiv erwiesen", sagt der Jenaer Arzt und Psychologe Weiß. Der mögliche Grund: Placebos beeinflussen die Produktion von Dopamin - also jenem Neurotransmitter, der bei Parkinson-Patienten nur noch vermindert ausgeschüttet wird.

Noch nicht auf Rezept

Obwohl es in den meisten Ländern keine Placebos auf Rezept gibt, setzen viele Ärzte Placebotechniken ein. In einer anonym durchgeführten Studie befragte der Mediziner Michael Norup von der Universität Kopenhagen 772 zufällig ausgewählte Ärzte nach ihren Placebo-Erfahrungen. Das Ergebnis: Knapp die Hälfte aller Befragten hatten im Laufe eines Jahres mehr als zehn Placebo-Interventionen durchgeführt.

Als typische Placebomaßnahme stuften die Ärzte auch die nicht ganz harmlose Gabe von Antibiotika bei Virusinfekten ein oder das Spritzen einer Kochsalzlösung. Placebos wurden von den Ärzten vor allem deshalb verabreicht, um einen Konflikt mit dem Patienten aus dem Weg zu gehen. Immerhin 46 Prozent aller Ärzte hielten Placebobehandlungen für ethisch vertretbar. Und jeder Dritte war davon überzeugt, dass sich durch die Placebotherapie sowohl das subjektive Empfinden als auch die objektive Symptomatik gebessert habe.

Eine Studie des israelischen Mediziners Pesach Lichtenberg kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: 62 Prozent der von ihm befragten Ärzte setzen Placebos mindestens ein Mal pro Monat ein. Nach Angaben der Befragten dienten die Placebos dazu, die Patienten zu beruhigen, sie zu vertrösten oder ihre Schmerzen zu mindern. Placebos gehören zum geheimen Repertoire der Medizin - zumindest in Dänemark und Israel. In Deutschland sind Placebos auf Krankenschein verboten. Und Zahlen darüber, wie viele Ärzte hierzulande Placebotechniken einsetzten, gibt es nicht.

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