Martin Margiela:Der letzte Schrei

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Am Nullpunkt der Mode: Der Belgier Martin Margiela treibt seine Entwürfe seit 20 Jahren an die Grenzen des Tragbaren - eine Schau in München.

Georg Diez

Im Eingang zur Ausstellung, auf der marmornen Treppe, liegt Konfetti, große silberne Kreise, zu groß für Konfetti eigentlich. Und doch. Es gibt einen Roman von Bret Easton Ellis, der heißt "Glamorama" und handelt von der Mode und vom Terrorismus, von Schönheit und Angst also. Buntes Konfetti zieht sich in ihm wie eine irritierende Spur durch den Alltag, wie die Erinnerung an eine Katastrophe, die erst noch kommt. Der Schlüsselsatz des Buches lautet: "We'll slide off the surface of things", wir rutschen ab von der Oberfläche der Dinge.

Eher für Paarhufer geeignet: die berühmten "tabi shoes" aus dem Maison Martin Margiela. (Foto: Foto: Haus der Kunst / Ronald Stoops)

Anders gesagt: Wie ist das Wetter heute? Heitere Paranoia. Krise mal wieder, überall Krise, und dann stellt das Haus der Kunst auch noch Sakkos aus, die irgendwie nicht fertig genäht sind. Schuhe, die aussehen wie Pferdehufe. Ein schwarzes Hochzeitskleid, das viel zu groß ist und die Braut zu verschlingen droht. Trenchcoats, die in der Mitte auseinandergeschnitten sind und wieder neu und anders zusammengenäht, und der Mensch, der sie trägt, schaut aus, als sei auch er halbiert oder auf perverse Art verdoppelt worden. Die Mode ist die Schwester des Todes? Das Erschrecken ist bei Martin Margiela auf jeden Fall immer auch ein Erwachen. Die Verdrehung, nicht die Veredelung der Wirklichkeit ist das Ziel.

Schwester des Todes

Martin Margiela ist Belgier, und irgendetwas muss es sein, jenseits von schlechtem Wetter und gutem Essen, das in Belgiern den Sinn für das Surreale wachsen lässt. Die Täuschung ist sein Terrain, eine ästhetische Radikalität wie bei Marcel Broodthaers befeuert sein Werk, das Bizarre und das Bekannte verschwimmen wie bei Man Ray, es ist ein Witz ohne Witz, der sich kugelnd vorantreibt und an René Magritte erinnert - das hier ist kein Pullover, könnte man fast sagen. Was Margielas Werk so schön und tröstlich macht, ist dieser Humor nach dem Ende des Lachens.

Die Krise außen also, vor allem aber Krise innen. Verschiedene Systeme, die wir für sicher und gegeben hielten, sind in den letzten Monaten an ihre Grenze geraten, nicht nur das Finanzsystem, auch andere alltäglichere Konstrukte, der Konsum etwa oder die Idee der Zukunft oder eine gewisse Vorstellung von Individualität - die Mode dagegen, das beweist diese Werkschau von Martin Margiela, war schon lange vorher vorbei, erledigt, ermattet, und im Rückblick, vor dem Hintergrund von Margielas dekonstruktivistischen Kreationen, wirken selbst die Silhouettenfetischisten Hedi Slimane und Helmut Lang, die stilprägenden Designer der neunziger und der Nullerjahre, seltsam anämisch und sehr weit weg. Die Mode, könnte man sagen, hat sich in diesen Jahren zu Tode gesiegt. Sie hat die Kunst kolonialisiert, sie hat sich mit Bedeutung aufgeladen und ist gleichzeitig kollabiert. Von nichts anderem erzählen etwa Margielas "Flat Garments", in die Fläche gepresste Kleider, wie von ihrer eigenen Wichtigkeit zermalmt.

Margiela ist der große Unbekannte der Modebranche, seit er 1988 seine Firma gründete, gibt es kein Foto von ihm, er gibt Interviews nur im kollektiven Wir-Stil per Fax, seine Angestellten tragen Kittel in seiner Lieblingsfarbe weiß - ganz im Sinn der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts sucht er in der Zerstörung und gleichzeitig in der Anverwandlung die Kraft für eine Gegenwart, die jedes Gefühl von vorher oder nachher verloren hat. Deshalb mag er Dinge und Orte, die alt sind, deshalb macht er Kleider, die exakte Kopien von Kleidern sind, die es schon einmal gab, alte Fliegerjacken etwa oder Jackets von 1970, deshalb fasziniert ihn die Geschichte der Mode mehr als ihre Gegenwart und das Handwerkliche und Gemachte mehr als das Schicke und das Behauptete. Martin Margiela ist das Gegenteil eines Magiers - er legt alle seine Tricks offen, was natürlich wiederum der verblüffendste Trick von allen ist.

Seine Läden sind an merkwürdigen Orten, die man nur schwer entdeckt, sie sind Nichtläden in einem gewissen Sinn, unangetastet von der Glamourgier und fast besinnlich im urbanen Geflecht. Der Münchner Laden, der erste in Deutschland, der nun eröffnet wird, ist zwar am Rand der Maximilianstraße, aber wenigstens im Keller. In anderen Städten wie Paris muss man den Eingang regelrecht suchen - wie bei seiner Mode geht es Margiela dabei weniger um Verweigerung als um das Spiel, das Rätsel, die Suche und das Entdecken, eine Maskenhaftigkeit, die an eine weitere Referenz im referenzreichen Werk von Margiela erinnert: an den flatterhaften Verbrecher Fantomas.

Auch der letzte Schrei, der "dernier cri", von dem die Mode in ihrem Streben nach dem Neuen normalerweise handelt, erhält da eine ganz andere, finale Bedeutung. Die Mode ist die Schwester des Todes? Martin Margielas Kleider sind manchmal eher hinderlich, sie sind zu groß, sie verheddern sich, sie lassen es nur zu, dass man in ihnen schleicht. Sie helfen uns nicht, uns zu finden, sie dienen weniger der Identifikation als der Irritation. Es ist keine Mode, die uns sagt, wer wir sind - sondern die in Frage stellt, ob wir die sind, die wir zu sein glauben.

Das Kopflose, das Wesenlose der Präsentation hat darum in seiner Bedrohlichkeit auch etwas doppeldeutig Sinnhaftes. Es ist eine spielerische Rationalität, die Margielas Werk prägt, eine fast kindlich anarchische Intellektualität - die immer wieder aufgehoben wird durch die Sinnlichkeit von Margielas fabelhaften, verspielten Entwürfe: die Kette aus Sonnenbrillen, die Handtasche aus zwei Stöckelschuhen, die hautfarbenen Frauenstiefel, die Lederjacke aus Sandalen, den Mantel aus der Daunendecke, die Bluse aus silbernen Halsketten, der Pullover aus den Socken von Soldaten, das Jacket aus weißen Elastikstreifen. Margielas führt seinen Dekonstruktivismus wie eine dauernde Suchbewegung vor. Es geht ihm bei seinen Recherchen um das Wissen, das Erkennen und um konkurrierende Bedeutungen.

Die Disco ist vorbei

Wie poetisch und wenig didaktisch seine Mode dabei bleibt, das zeigen die Filme, die Margiela zu seinen Kollektionen gemacht hat, von Alltag und Normalität durchwehte Werke, in denen etwa zwei Frauen durch die Straßen von Paris gleiten, ein bunter Sonnenstrahl berührt sie an der Schulter, ein Hals, ein Rücken, ein Fuß ist zu sehen. Es ist tatsächlich ein Atem von Nouvelle Vague, der hier zu spüren ist, ein Fluss der Bewegungen und eine Zärtlichkeit den Dingen gegenüber und ein Blick auf die Menschen, der nur scheinbar unbeteiligt ist.

Und so ist diese Ausstellung auch eine Meditation darüber, wie wir uns durch die Zeit, durch die Städte, durch unser Leben bewegen. Es liegt ein Netz über all dem, den Models ohne Gesicht, den weiß gepinselten Schuhen, den zusammengenähten und auseinanderfallenden Dingen, ein Netz aus Musik. Im Eingang, direkt über der Treppe, hängt einsam eine silberne Kugel, wie in einem Nachtclub. Die Disco ist vorbei, aber bei Margiela herrscht keine Nostalgie. Es ist ein Abschied ohne Schmerz.

Maison Martin Margiela, Haus der Kunst München, bis 1. Juni. Begleitbuch (engl.) 29,80 Euro. Info: www.hausderkunst.de

© SZ vom 20.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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