Männliche Singles:"Traurige, isolierte, einsame Gestalten"

Frauen können mit dem Single-Dasein umgehen. Sie gehen ins Kino, reisen, treffen sich mit Freunden, machen Yoga und quatschen. Aber die Männer? Hängen vor dem Fernseher, spielen Computerspiele, trinken Dosenbier und essen Fastfood. Das hat Folgen.

Petra Steinberger

Ein gutes Jahrzehnt ist es her, da erkannte die Welt das Problem der "fehlenden Mädchen" Asiens. Vor allem in Indien, China und Korea werden bis heute Hunderttausende weibliche Föten abgetrieben, weil männliche Nachkommen immer noch bevorzugt werden. Asiens Frauen, könnte man meinen, genießen bis heute kein Ansehen, werden unterdrückt und unmündig gehalten. Und doch: Fehlen sie ganz, kann es für solche Gesellschaften katastrophale Folgen haben - 40 Millionen der heute lebenden chinesischen Männer werden ohne eine Frau auskommen müssen. Das sind etwa so viele wie die gesamte männliche Bevölkerung Deutschlands.

Weinender Mann

"Die harte Wahrheit ist, dass das Alleinleben gut für Frauen ist, aber schlecht für Männer", sagt Richard Scase, Soziologieprofessor an der Universität Kent.

(Foto: iStock)

Männer aber, die alleine leben, die nicht mehr in die sozialen Strukturen von Ehe und Familie eingebunden sind, tun sich schwerer mit der sozialen Ordnung. Sie werden eher kriminell, sie sterben früher, werden leichter krank. Dass die Ehe die Kriminalitätsrate bei Männern reduziert und sich positiv auf ihre Gesundheit auswirkt, haben in den letzten Jahren zahllose Studien belegt. Warum das so ist, darüber gibt es mehrere Theorien:

Die Ehe könnte Männer dazu bringen, Verantwortung zu übernehmen, "erwachsen zu werden"; Frauen übten direkten Druck auf Männer aus, delinquentes oder gesundheitsschädliches Verhalten zu ändern; die neuen sozialen Bindungen, auch eine andere tägliche Routine veränderten das Verhalten zusätzlich.

Was passiert, wenn Frauen fehlen?

All diese Ansätze unterstellen eines: Männer werden durch familiäre Einbindung sozialisiert. Frauen hingegen schaffen das von alleine. Doch was passiert mit uns, wenn diese Frauen fehlen wie in Asien? Oder wenn sie, wie inzwischen weltweit zu beobachten ist, immer seltener heiraten? Sich schneller scheiden lassen?

Richard Scase, Soziologieprofessor an der Universität Kent, erklärte in einem Report, den er für die britische Regierung anfertigte: "Single-Frauen zwischen 30 und 50 haben gut ausgebildete soziale Netzwerke und sind in eine große Bandbreite von Aktivitäten eingebunden. Alleinstehende Männer hingegen erscheinen als traurige, isolierte, einsame Gestalten. Die harte Wahrheit ist, dass das Alleinleben gut für Frauen ist, aber schlecht für Männer."

Das Klischee scheint sich zumindest in Teilen zu bewahrheiten: Frauen gehen ins Kino, reisen, treffen sich mit Freunden, machen Yoga und quatschen. Männer hängen vor dem Fernseher oder spielen Computerspiele, trinken Dosenbier, leben von Döner und Macs - und werden krank.

Die postindustrielle Welt mit ihren veränderten Anforderungen scheint es nicht gut mit Männern zu meinen. Denn abgesehen vom Frauenmangel - und damit späteren Ehefrauenmangel - in Asien finden andere Entwicklungen statt, die vielleicht ebenso radikale Folgen haben könnten.

In Amerika, postulierte schon vor zwei Jahren das US-Magazin Atlantic, bevorzugen immer mehr Eltern ein Mädchen, wenn sie wählen können. Im selben Jahr hatten zum ersten Mal in der Geschichte der USA mehr Frauen als Männer einen Job. Und nur einige Zeit davor lebten zum ersten Mal mehr als 50 Prozent aller Amerikanerinnen allein. Frauen sind erfolgreicher an Schulen und Universitäten, sie verdienen immer besser. Sie werden finanziell immer unabhängiger. Zurück bleibt auch hier immer mehr: der Mann. Vor allem der Mann des sogenannten Prekariats.

Die Frauen gehen, die Männer bleiben

In Europa ist es nicht viel anders. Der berühmte französische Soziologe Pierre Bourdieu beschrieb in seinem letzten Werk "Junggesellenball. Studien zum Niedergang der bäuerlichen Gesellschaft" 2002, was in seiner Heimat in Südwestfrankreich passiert war: Einst besaßen die ältesten Söhne das Privileg, das väterliche Land zu erben. Aber mit der Zeit wurde daraus eine Belastung. Während die Landwirtschaft immer weniger abwarf, fühlten sich die Männer verpflichtet, das Familienerbe zu bewahren. Die Frauen aber gingen in die Stadt, wo sie mehr verdienten - und mehr Spaß hatten. Manchmal kamen sie zurück, zu eben jenen Junggesellenbällen, aber heiraten wollten sie die Männer, die dort auf sie warteten, nicht mehr.

Eine ähnliche Abwanderung von Frauen findet in vielen ländlichen Regionen des Westens statt, in Norwegen oder Südtirol ebenso wie in Ostdeutschland. Die Frauen gehen, die Männer bleiben. Und bleiben allein. Und manchmal verkommen sie dabei.

Nun könnte man das für Tendenzen allein der westlichen Welt halten, Merkmale einer postindustriellen, liberalen Gesellschaft. Als Auflösungserscheinung und Zeichen westlicher Dekadenz wurde diese Entwicklung in Asien auch lange Zeit angesehen, wo der Wert von Familie und Ehe traditionell als viel höher geschätzt wurde. So verglich der langjährige Premierminister von Malaysia, Mahathir Mohamad, den asiatischen Respekt vor der Ehe mit dem "Zusammenbruch der etablierten Institutionen und dem geringen Respekt vor der Ehe, vor der Familie und den Alten". Und waren es nicht gerade diese konservativen Werte, die Asien dem Westen so überlegen machten, dem Kontinent bald die Weltführerschaft garantieren würden?

Nach unten heiratet man nicht

Nur: Auch Asien verändert sich durch die radikale Modernisierung und Industrialisierung. Frauen sind besser ausgebildet, sie drängen in den Arbeitsmarkt. Und werden so unabhängiger. Zwar heiraten vor allem in China und Südasien immer noch fast alle - irgendwann. Aber der Trend ist eindeutig: Auch Asiaten insgesamt heiraten immer später, lassen sich häufiger scheiden - oder heiraten gar nicht.

Manchmal mag das an Konventionen liegen: Viele der am besten ausgebildeten jungen Frauen, die "golden misses", finden kaum noch Männer in ihrer Einkommensklasse - und nach unten heiratet man nicht. So sind allein in Singapur ein Drittel der 30- bis 34-jährigen Universitätsabgängerinnen nicht verheiratet, in Thailand ein Fünftel der über 40-jährigen Absolventinnen.

Zunehmend sind es die Frauen, die ihre traditionelle Rolle als fügsame Ehefrau und Mutter verweigern und lieber allein bleiben. Und es sind nicht immer die jungen, gut ausgebildeten Frauen. Vor fünf Jahren wurden in Japan die Pensionsgesetze geändert, Frauen bekamen nun die Hälfte der Bezüge zugesprochen und waren damit finanziell unabhängiger. Ein wahrer Scheidungsboom unter Rentnern setzte ein, der weitaus größte Teil von jenen Frauen initiiert, die jahrzehntelang mit Männern gelebt hatten, die fast immer abwesend waren. Diese Männer nun plötzlich den ganzen Tag um sich zu haben - das konnten sie sich nicht vorstellen. Und sie gehen, gehen en masse, denn auch nach einer Ehe sind Frauen besser gerüstet für das Alleinsein. Zurück bleiben konsternierte alte Männer, die oft kaum wissen, wie der Herd funktioniert.

"Männer", meint auch Soziologe Scase, "sind von ihrer Ehefrau viel abhängiger, was emotionale und psychologische Unterstützung angeht - in vielen Fällen aber von einer Ehefrau, die gar nicht mehr da ist. Frauen waren im emotionalen Bereich immer schon viel weniger von nur einer Person abhängig."

Bedeuten weniger Hochzeiten und mehr Scheidungen also das Aus für das Sozialwesen Mann? Werden sich, wie manche Forscher fürchten, marodierende Banden in den Junggesellenslums von Shanghai oder in verwahrlosten Dörfern im Mittleren Westen oder im Osten Deutschlands zusammenfinden, sich radikalisieren nach rechts oder links? Oder werden sie sich besinnen und kochen und nähen lernen?

Spätestens dann könnten es die Frauen es ja noch einmal versuchen mit ihnen.

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