Männer-Kolumne:Männer aktuell, diesmal: Harald

Männer-Kolumne: Physiotherapeut Harald - hebt Knochen und die Stimmung.

Physiotherapeut Harald - hebt Knochen und die Stimmung.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Was könnte man nicht alles über Physiotherapeuten sagen? Im Fall Harald: So viel Gutes, dass unsere Autorin nach jeder Sitzung zwei Zentimeter größer ist.

Von Johanna Adorjan

Ich kenne wenige Menschen, die mir bessere Laune machen als mein Physiotherapeut. Was ja schon alleine deshalb seltsam ist, weil ich mit Dingen zu ihm komme, die nerven. Ich möchte Sie nicht mit meinen Krankheitsgeschichten langweilen, obwohl ich dafür nicht mehr zu jung bin, aber Sie vielleicht. Auf jeden Fall verlasse ich seine Praxis jedes Mal mit einer Bombenlaune, selbst wenn er mir Übungen für zu Hause aufgegeben hat, was ich hasse, weil ich jedes Mal in der Hoffnung zu ihm gehe, dass es bestimmt nur was ist, das er einfach einrenken kann, und alles ist wieder gut.

Er ist an die fünfzig, mittelgroß, hat ein nettes Gesicht mit blondem Bart und den schwarzen Gürtel in irgendeiner Kampfsportart, oder jedenfalls einen sehr dunklen. Als er einmal in einer Gruppe in Griechenland Urlaub machte, ist schon lange her, ließ er aus einer Weinlaune heraus einen Aschenbecher aus einer Taverne mitgehen, wofür er sich heute noch schämt, weil ihnen der Wirt, nachdem sie gegangen waren, mit dem Moped nachfuhr, den ganzen Weg bis an den Hafen, um ihm sein Handy zu bringen, das er auf dem Tisch hatte liegen lassen.

Ich habe als Teenager in einem Giesinger Drogeriemarkt einen Labello und Filme für den Fotoapparat geklaut, wurde erwischt und von der Polizei nach Hause eskortiert. Meine Eltern fanden es leider überhaupt nicht halb so schlimm, der Jugendrichter schon, da ich ja beteuerte, dass es das erste und letzte Mal gewesen sei. Noch heute schäme ich mich jedes Mal, wenn ich an diesem Laden vorbeikomme, den es immer noch gibt: Wie konnte ich nur so blöd sein, nicht darauf zu kommen, dass eine verspiegelte Rückwand möglicherweise von hinten durchsehbar ist?

Solche Geschichten erzählen wir uns, während er Teile meines Körpers millimetergenau verschiebt.

Oder neulich sprachen wir fast die ganze Stunde lang über den Tod. Er erzählte von einer Freundin, die an Krebs gestorben war und sich gewünscht hatte, dass um sie herum Abschied gefeiert würde, und genau so hätten sie es dann auch gemacht. Es wurde gefeiert, und sie war dabei, ihre Leiche war mit im Zimmer, und wie merkwürdig und bewegend und traurig und schön das gewesen sei. Und ich erzählte, mal wieder, von meinen Großeltern, die Hand in Hand gestorben sind, selbst gewählt, was man auch traurig finden kann und wunderschön.

Und währenddessen sortiert er irgendwelche meiner Muskelstränge oder Knochen oder Gelenke, manchmal knackt etwas, manchmal soll ich mich aufsetzen oder auf der Stelle laufen, und dann murmelt er Nummern, die wohl Wirbel oder Rippen bezeichnen oder macht kleine Geräusche, an denen ich erkenne, dass etwas noch nicht perfekt oder aber endlich wieder in allerbester Ordnung ist. Und meistens ist auf einmal etwas wieder in allerbester Ordnung. Es ist fast, als habe er Zauberkräfte. Als könne er einen Menschen bis auf die Knochen spüren. Als wisse er schon, was los ist, wenn man nur vor ihn tritt, ohne jede Erklärung.

Ich habe noch gar nicht erwähnt, dass er fast blind ist. Und in dem, was er tut, wirklich außergewöhnlich gut. Ich weiß nicht, ob es da einen Zusammenhang gibt. Ich weiß nur, dass ich nach jeder Sitzung zwei Zentimeter größer bin als vorher und ganz gerade. Und mindestens vier Kilo fröhlicher.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: