Kolumne:Männer aktuell, diesmal: Hotti

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Männerkolumne (Foto: Illustration Jessy Asmus)

Dürre Beine, gestreifte Kapuzenjacke, Turnschuhe, weiße Socken. Hotti, so nennt er sich selbst, unterhält unsere Autorin in der S-Bahn nicht nur mit seinem Äußeren. In seinem Redeschwall setzt er die Pointen wie ein Schauspieler des Burgtheaters.

Von Johanna Adorján

Eines ungemütlichen Sonntagnachmittags macht sich Hotti auf, seine Tochter zu besuchen, denn er hat Hunger. Er hat sogar einen Mordshunger. Mit dem großen französischen Schriftsteller Michel Houellebecq hat er nicht nur das Talent gemein, sein Publikum durch wohlgesetzte Bosheiten zu fesseln, sondern darüberhinaus auch noch das fehlende Gebiss.

Hotti ist schon etwas älter. Er hat eine Perücke auf dem Kopf, die das Haar nachbildet, das er zu Hochzeiten Harald Juhnkes gehabt haben dürfte: mittelblond und auffallend voll. Seine dürren Beine stecken in Shorts, dazu trägt er eine gestreifte Kapuzenjacke, Turnschuhe, weiße Socken. Er zieht außerdem einen karierten Rollkoffer hinter sich her, womit er insgesamt aussieht wie ein alt gewordener kleiner Junge, den man ganz alleine auf eine lange Reise geschickt hat.

Und dann fragt er noch: "Kannst du mal meine Tochter anrufen?"

Ein Redeschwall umgibt ihn wie eine dunkle Wolke. Schon beim Betreten der S-Bahn am Bahnhof Charlottenburg schimpft er, und trotz der fehlenden Zähne versteht das ganze Abteil jedes Wort. Na gut, jedes vierte. Eingangs geht es, warum auch immer, um Steffi Graf, das Wesentliche hat er wohl schon am Bahnsteig rausgelassen, macht aber nichts, denn schon ist er bei Andre Agassi, den er offenbar für einen ehemals schlimmen Schwerenöter hält: "Den Weibern die Fotze lecken, das mochte der." Er spuckt jedes Wort geringschätzig aus. Überlegt kurz. "Ich hab das auch mal gekostet." Pause. Jetzt hat er seine Zuhörer, man könnte in der fahrenden S-Bahn ein Ticket zu Boden fallen hören. "Hat mir nicht geschmeckt." Pause. "Da rauch ich lieber eine. Das schmeckt auch nicht."

Sein Timing ist sensationell, besser könnte kein Burgtheaterschauspieler Pointen setzen.

Weiter geht's, sein Thema bleibt Tennis. "Der Becker ist pleite." Stopp. "Hat alles verballert." Stopp. "So ein Idiot." Kurze nachdenkliche Stille, nur die Unterlippe malmt. "Der sah nie gut aus." Pause. "Mit seinen gelben Haaren."

Zwischen Hottis Fingern steckt eine halb heruntergerauchte, nicht brennende Zigarette, die er nicht weiter beachtet, als hätte er sie irgendwann, lange her, dort vergessen. Nicht ausgeschlossen, dass sie längst angewachsen ist.

Nachdem er ein bisschen unverständlich vor sich hingemurmelt hat, spricht er plötzlich, für alle überraschend, einen Mitreisenden direkt an. "Du." Der Angesprochene, ein junger Mann, guckt seine Freundin an. "Ja, du. Du hast doch bestimmt ein Telefon." Der Gemeinte zieht ganz nett sein Handy aus der Tasche und hält es hoch. "Kannst du mal meine Tochter anrufen?" Und schon steht Hotti vor ihm und knistert ungeduldig mit einem Papier vor seiner Nase herum. "Da steht ihre Nummer. Hab nämlich kein Telefon." Der junge Mann wählt. Und was soll er ihr sagen?, denkt an dieser Stelle das ganze Abteil. "Und was soll ich ihr sagen?", fragt der Mann. "Sag ihr, der Hotti, der Papa kommt gleich und hat Hunger." Der Mann presst das Telefon wieder ans Ohr. Scheint sich nichts zu tun. Immer noch nichts. Schließlich lässt er es sinken. "Geht niemand dran", sagt er. Darauf Hotti, triumphierend: "Ja, meine Tochter geht nie ans Telefon!"

Als er am S-Bahnhof Wannsee aussteigt, begleitet ihn langer, gedachter Applaus.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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