Lustpille "Addyi":Was Frauen wollen

Drug for female sexual dysfunction approved in US

In den USA zugelassen: die Lustpille Addyi.

(Foto: dpa)

Sie haben weniger als dreimal im Monat Sex und auch sonst kein Hollywood-Leben? Vielleicht müssen Sie mal zum Arzt und ein paar Pillen einwerfen. Am besten rosarote aus den USA.

Von Felicitas Kock

Deutscher Alltag: Wir kommen von unserem erfüllenden, gut bezahlten Job nach Hause in unsere mit skandinavischen Designermöbeln eingerichtete Vierzimmer-Altbau-Wohnung. Wir zaubern ein kleines Gourmet-Menü, das wir mit einem Glas Rotwein servieren, unterhalten uns angeregt über die weltpolitische Lage - im Hintergrund läuft ein kenntnisreich ausgewähltes Jazz-Album - und dann fallen wir über unsere Partner her, weil wir alle nach unserem 18-Stunden-Tag so gut aussehen, so gut riechen und derart voneinander angezogen sind, dass wir die Finger nicht voneinander lassen können. Nicht heute und auch sonst nie.

Für Sie klingt das mehr nach einem Hollywoodfilm als nach Alltag? Sind Sie krank? Vielleicht müssen Sie mal zum Arzt oder zumindest ein paar Pillen einwerfen. In den USA soll es die bald geben. "Addyi" soll das Medikament heißen, pharmazeutisch korrekt "Flibanserin". Der Volksmund nennt es liebevoll "Pink Viagra" - das Mittel zur Luststeigerung der Frau.

Was Frauen wollen: pinke Pillen

Denn bei den Frauen, heißt es, liegt das Problem. Viele verspüren keine Lust. Oder zu wenig. So dass sie nur 2,7 sexuell befriedigende Ereignisse ("sexually satisfying events") im Monat haben. 2,7 - Skandal!

So viele - oder wenige - Ereignisse waren es zumindest in der Frauengruppe, die das Pharmaunternehmen Sprout zuletzt für seine Tests herangezogen hat. Zweimal hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA das Medikament schon zurückgewiesen, weil die Wirksamkeit nicht zuverlässig bestätigt werden konnte. Jetzt, im dritten Anlauf, hat es geklappt. Das Mittel, das in Deutschland als Antidepressivum entwickelt wurde, soll die weibliche Libido steigern. Und natürlich ist es pink, weil es das ist, was Frauen wollen, was sie schon immer gewollt haben, auch wenn sie es vielleicht nicht wussten: unschuldige pinke Pillen.

Wobei die Sache mit der Unschuldigkeit nicht so ganz stimmt: Es gibt Nebenwirkungen. Müdigkeit, Angstgefühle, Schwindelanfälle, möglicherweise ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Es hilft auch nichts, die Pille mal eben einzuwerfen, wenn man denkt, dass man gleich vielleicht gerne Lust haben würde. Man muss die Stimmungsaufheller täglich einnehmen. Geplanter Monatspackungspreis: 400 Dollar. Wer Lust haben will, muss blechen.

Die Pathologisierung der Abweichung

Aber was nimmt man nicht alles auf sich, wenn man die Zahl der sexuell befriedigenden Ereignisse auf 4,4 im Monat steigern kann wie die Damen in der Testgruppe? Das sind immerhin fast anderthalb sexuell befriedigende Ereignisse mehr. Anderthalb! Die Revolution ist angezettelt und das Gehirn der Frau so gut wie überlistet.

Denn es ist jenes Gehirn, das schuld ist an der Lust-Misere. Nicht die Beziehung, der Stress in der Arbeit, die nölenden Kinder, die dementen Eltern, die Kopfschmerzen (ja, die gibt es wirklich). "Hypoactive Sexual Desire Disorder" (HSDD) heißt die "Krankheit", unter der acht bis 14 Prozent der weiblichen Bevölkerung leiden sollen. Ein Wissenschaftler hat sogar einmal von bis zu 40 Prozent betroffenen Frauen gesprochen, was die Sache aber schon wieder zu normal machen würde, um sie zur Krankheit zu erklären. Fast könnte man glauben, "HSDD" sei extra für Medikamente wie das nun erlaubte "Addyi" erfunden worden. Weil sich ein gutes Geschäft damit machen lässt, wenn man unerwünschtes Verhalten pathologisiert, Hibbeligkeit bei Kindern zum Beispiel. Oder Unlust bei Frauen.

An Unlust als Krankheit zu glauben ist gar nicht so schwer. Man nehme nur die durch Filme, Werbung, Musikvideos hochgepushte gesellschaftliche Erwartung an ein perfektes Sex- und Beziehungsleben - und vergleiche die Realität damit.

Bleibt die Frage, ob wir dieses perfekte Leben wirklich haben wollen und was wir dafür zu geben bereit sind. Täglich eine Pille nehmen, die Angstzustände und Schwindelgefühle verursachen kann, für einmal häufiger Sex im Monat? Hoffentlich verträgt sich das mit den Schlankheitspillen die wir einwerfen, damit wir trotz guten Essens und Rotwein nicht gesellschaftsunkonform viel zulegen. Mit den Schmerztabletten, die wir nehmen, um auch ja keinen Tag im Job zu fehlen, weil wir vom vielen in den Bildschirm starren Kopfschmerzen bekommen. Mit den Wachmachern, die wir einschmeißen, um neben dem ganzen anderen Stress unser Sozialleben und die eine oder andere Party auf die Reihe zu bekommen. Gehört ja alles dazu, zum perfekten Leben.

Was uns fehlt, ist vielleicht noch ein Mittel, um den Stoffwechsel herunterzufahren - oder haben Sie Megan Fox in einem ihrer Filme mal die Toilette benutzen sehen? Schwanger werden sollte man mit dem Pillencocktail im Blut wohl nicht. Aber das ist kein Problem, wir können unsere perfekten Eizellen ja noch eine Weile im Gefrierfach lassen.

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