Lungentransplantation:"Im Krankenhaus wollte ich nicht mehr leben"

Über leben

Die Hamburger Autorin Heike Hartmann-Heesch hat sich seit einer Lungentransplantation 2010 wieder ins Leben zurück gekämpft.

(Foto: Günther von der Kammer, Hamburg)

Heike Hartmann-Heesch musste sich 2010 einer Lungentransplantation unterziehen. Nach einem Jahr stationärer Wartezeit schien alles zu Ende zu sein. Wie sie sich ins Leben zurückkämpfte.

Protokoll: Lars Langenau

Die Hamburger Autorin Heike Hartmann-Heesch hatte immer mit Sprache zu tun. Und dann verliert sie nach einer komplizierten Lungentransplantation ausgerechnet: ihre Sprache. Warum das trotzdem nicht das größte Problem war und wie sie sich ins Leben zurück kämpfen musste, erzählt sie in unserer Serie "ÜberLeben".

"Während eines Wanderurlaubs auf Madeira im Frühjahr 2008 bemerkte ich erste Anzeichen wie Husten und nur noch sehr geringe körperliche Belastbarkeit. Zwischen Herbst 2008 und Anfang 2009 kollabierte meine Lunge mehrmals. Ich war gerade 39 Jahre alt.

Trotz mehrerer Operationen verschlechterten sich sowohl meine Blutwerte als auch mein Allgemeinzustand zusehends. Irgendwann war meine Verfassung so bedrohlich, dass ich im Krankenhaus bleiben musste. Eine Transplantation war unausweichlich. Im Juni 2009 kam ich mit dem Kennzeichen 'U' für 'urgent', dringlich, und bereits vier Wochen später mit 'HU' für 'high urgent', hochdringlich, auf die Warteliste von Eurotransplant. Dennoch dauerte es noch fast ein Jahr, bis ein für mich passendes Spenderorgan bereitstand.

Schwerwiegende Komplikationen führten während der OP dazu, dass mir statt beider Lungenhälften nur die rechte transplantiert werden konnte. Zudem entwickelten sich in der transplantierten rechten Hälfte Ödeme - sowohl der untere als auch der mittlere rechte Lungenlappen mussten wieder entfernt werden.

Serie "ÜberLeben"

Wir veröffentlichen an dieser Stelle in loser Folge Gesprächsprotokolle unter dem Label "ÜberLeben". Sie handeln von Brüchen, Schicksalen, tiefen Erlbenissen. Menschen erzählen von einschneidenden Erlebnissen - vom Nachbarn über Obdachlose bis zu Prominenten. Warum sind wir das, was wir sind? Wieso brechen die einen zusammen, während andere mit schweren Problemen klarkommen? Wie geht Überlebenskunst? Wenn Sie selbst ihre Geschichte erzählen wollen, dann schreiben Sie eine E-Mail an: ueberleben@sz.de

Ich wurde durch eine Kanüle in der Luftröhre maschinell beatmet. Alle Versuche, mich in den folgenden sechs Monaten wieder von der Beatmungsmaschine zu entwöhnen, schlugen fehl. Darüber hinaus brauchte ich zusätzlichen Sauerstoff. Weil ich so viele Medikamente nehmen musste, versagten kurz darauf meine Nieren: Ich benötigte zusätzlich eine Dialyse.

Gefangen im System Klinik

Meine Erinnerungen an die ersten Monate nach der Transplantation sind vage; ich kann nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, zu welchem Zeitpunkt ich realisierte, dass ich mich weder bewegen noch selbst atmen konnte.

Eines aber wurde mir zunehmend bewusst: Ich hatte schon während der langen Wartezeit das Gefühl, einen beträchtlichen Teil meines Menschseins an der Krankenhaustür eingetauscht zu haben gegen eine Datei im System Klinik. Statt Name, Antlitz und Befindlichkeit zählten Kennnummer, Listenplatz und Laborwerte. Doch dieses Gefühl, kein Mensch mehr zu sein, wurde noch verstärkt, weil man mit maschineller Beatmung ja nicht einmal mehr sprechen kann.

Kommunikation erfolgte über eine Alphabettafel und Augenblinzeln oder Nicken: Buchstabe für Buchstabe, Silbe für Silbe, Wort für Wort. Diese im wahrsten Sinne des Wortes sprach- und bewegungslose Zeit war für mich am schlimmsten auszuhalten, ließ mich mehr und mehr verzweifeln: Ich signalisierte meinem Mann und den Ärzten, dass ich aufgeben und sterben wollte. Ein einberufenes Ethik-Komitee verwehrte mir meinen Wunsch - immerhin bestand noch ein winziger Funken Hoffnung, dass sich die Funktion des transplantierten Lungenlappens verbessern könnte.

Nach einem halben Jahr Intensivstation mit vielen weiteren Komplikationen veranlasste mein Mann im Herbst 2010 die Verlegung in eine Intensiv-Pflege-Wohngruppe. Nach wie vor war ich bettlägerig, wurde maschinell beatmet und anfangs noch durch eine Magensonde ernährt. Anders als im Krankenhaus konnte und wollte mein Mann jetzt intensiv in meine Pflege mit eingebunden werden.

Gerettet durch die Liebe meines Mannes

Es ist mir noch heute unbegreiflich, wie er diese Zeit geschafft hat: Er arbeitete 30 Stunden in der Woche in Frühschicht und verbrachte danach fast jede freie Minute bei mir am anderen Ende von Hamburg. Zudem war er Mittler zwischen der Welt da draußen und mir. Schon in der Wartezeit hatte ich mich oft sehr allein gefühlt: Besuche, Kontakte wurden weniger und vor allem weniger intensiv je länger alles dauerte und je kränker ich wurde. Erst recht in der Zeit nach der Transplantation, als ich nicht mehr selbst Kontakt halten konnte durch Telefonate oder E-Mails. Sein unerschütterliches Vertrauen in mich und unsere Liebe, seine Beständigkeit und seine Unbeirrbarkeit führten letztendlich dazu, dass ich wieder leben wollte: anfangs nur für ihn - aber ich wollte leben. Und ich wollte zurück nach Hause.

Bevor es dazu kam, verging allerdings noch ein weiteres Jahr. Ich musste lernen, mich auf einen weiteren Versuch, ohne maschinelle Unterstützung zu atmen, einzulassen, und absolvierte eine unglaublich anstrengende Krankengymnastik. Meinem Physiotherapeuten verdanke ich es, dass ich mich wieder mit meinem Körper anfreunden konnte, in dem ich mich nicht mehr zu Hause fühlte.

Ich sehnte mich wieder nach Außenkontakten. Mein Mann brachte mir meinen Laptop mit, band meinen rechten Arm am Beistelltisch fest, sodass er nicht herunterrutschte, und ich im Einfingersystem E-Mails in die Welt tippen konnte - endlich nicht mehr ganz sprachlos!

Zeitgleich begann ich, immer noch bettlägerig, für einen kleinen Verlag zu korrigieren - und wieder zu schreiben: für meinen Blog und ein Buch. Parallel dazu übten mein Mann und ich das Wieder-zu-Hause-Leben: erst stundenweise, dann mal einen ganzen Tag lang, dann mit einer Übernachtung, bis ich im September 2011 dann ganz nach Hause zurückkehrte.

Jeder Ausflug nach Hause glich einem Umzug, so viel an Gepäck, Maschinen und Hilfsmitteln mussten mitgeschleppt werden, auch wenn es nur für ein paar Stunden war. Dennoch gab uns das die Gelegenheit, zu testen, wie wir es zu Hause hinbekommen könnten. Außerdem unterstützte mich in den ersten zwei Jahren acht Stunden täglich ein Pflegedienst zu Hause.

Was ist schon normal?

Für uns standen und stehen auch heute noch manchmal Fragen im Vordergrund wie: Wie gehe ich damit um, dass ich nicht nur einstige Lebensziele, sondern auch den ganz normalen Alltag nicht immer so leben kann, wie ich möchte?

Meine Wahrnehmung davon, was normal ist, verschob sich gewaltig. Was heißt schon normal, wenn oft der Wunsch dominiert, ein durchschnittliches Leben zu führen, mich unbeschwert bewegen und nach Belieben kommunizieren zu können? Das alles versteht sich keineswegs von selbst, wenn elementare Dinge wie Atmen und Laufen nur sehr eingeschränkt möglich sind.

Dennoch brachte die Rückkehr nach Hause nicht nur einen enormen Motivationsschub, sondern innerhalb kürzester Zeit auch Fortschritte, die eigentlich längst niemand mehr erwartet hätte. Meine Nierenwerte stabilisierten sich immerhin auf solchem Niveau, dass wir die Dialyse reduzieren konnten: nicht mehr dreimal wöchentlich, sondern zweimal, dann nur noch einmal, und seit Anfang 2012 gar nicht mehr.

Ich hatte meine Stimme zurück

Eine weitere Revolution brachte ein kleines unscheinbares Kunststoffteilchen namens Sprechventil. Dies ist ein Aufsatz, der, wenn man ohne Maschine atmet, auf die Kanüle gesetzt meine Stimmbänder mit Luft anströmt: Ich hatte meine Stimme zurück.

Ich werde nie den Abend vergessen, an dem ich das Ventil zum ersten Mal richtig ausprobierte und mein Mann weinen musste, weil er nach mehr als anderthalb Jahren wieder meine Stimme hörte. Zugleich fiel es mir mit diesem neuen Aufsatz so viel leichter, ohne Maschine zu atmen. Konnte ich es bis dahin nur ein paar Stunden, verteilt über den ganzen Tag, so waren es jetzt am ersten Abend gleich mehrere Stunden am Stück. Es dauerte keine sechs Wochen, bis ich den ganzen wachen Tag selbst atmen konnte. Ich fasste ein weiteres Ziel ins Auge: Ich wollte wieder öffentlich lesen - was ich seit Mai 2012 auch wieder tue.

Heute, nach mehr als drei Jahren zu Hause, hat sich in der häuslichen Umgebung vieles eingespielt, auch wenn ich oft darüber zürne, dass allein für mich rund fünf Stunden am Tag für all die Anwendungen und die persönliche Pflege draufgehen; die meiste "Arbeit" leistet jedoch nach wie vor mein Mann.

Den Pflegedienst benötige ich noch etwa zweimal wöchentlich. Ich werde nach wie vor nachts maschinell beatmet und bekomme zusätzlichen Sauerstoff,, bin aber mit Hilfe so weit mobil, dass ich stundenweise "in der Welt" sein kann - nur eben nicht allein: Es ist immer jemand dabei, der im Notfall in der Lage ist, die Kanüle zu wechseln; der mir beim Sekretabsaugen helfen kann, den Rollstuhl schiebt und mich chauffiert.

Ich bin heute wieder selbständiger als ich das vor Jahren für möglich gehalten hätte - auch wenn selbständig außerhalb der Wohnung bedeutet, dass ich nur im Doppelpack zu haben bin."

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Heike Hartmann-Heesch, 45, studierte in Oldenburg und arbeitete als Fremdsprachenassistentin in England und Englischlehrerin in der Erwachsenenbildung. Seit 2005 arbeitet sie als Korrekturleserin und Autorin und veröffentlicht seitdem hauptsächlich Erzählungen und Kurzprosa. Bisher erschienen sechs Einzelpublikationen, darunter zuletzt "Langer Atem", Dokumentation und Erzählungen, Mohland Verlag 2011 und "Die Dinge, wie sie sind", Erzählungen, Mohland Verlag 2014. Sie bloggt unter www.papiersinfonie.de

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