Luft und Liebe:Männer, lasst die Stiefel an!

Sie wollen wissen, was aus dem coolen Rebellen geworden ist, in den Sie sich verliebt haben? Den finden Sie unter Ihrem Pantoffel.

Violetta Simon

Mann und Frau vor dem Fernseher. Es läuft "About Schmidt". Jack Nicholson alias Warren Schmidt pinkelt zum ersten Mal seit 42 Jahren im Stehen. Während er es laufen lässt, hebt er die Arme seitlich in die Höhe, dreht sich einmal um die eigene Achse. Er pinkelt auf die Brille, den Badvorleger, den Boden. Als er damit fertig ist, lächelt er.

Luft und Liebe

Welche Frau will einen Mann, der erst das Geschirr spülen muss, bevor er sich mal locker machen kann?

(Foto: Foto: iStockphoto)

In der Werbepause steht der Mann auf und geht ins Bad. Er bleibt stehen, zögert kurz. Dann setzt er sich, pinkelt, spült. Er überzeugt sich, dass er alles sauber hinterlassen hat, schließt den Deckel und tritt ans Waschbecken. Beinahe wäre er mit seinen Pantoffeln auf den Badvorleger getreten. Rasch schiebt er ihn mit der Spitze seines Schuhs unter den Waschtisch, wäscht sich die Hände, trocknet sie ab. Bevor er geht, zieht er den Teppich mit der Schuhspitze wieder hervor.

Auch wenn es im ersten Moment so wirkt: Es wäre keineswegs korrekt, diesen Mann als Kontrollfreak zu bezeichnen. Okay, vielleicht ist er ein Freak. Doch die Kontrolle hat er nicht. Die hat seine Frau. Sie zwang ihn zum Wasserlassen in die Knie, brachte ihn dazu, den Badvorleger nicht mehr zu betreten. Von anderen Dingen ganz zu schweigen.

Er würde gern mit jemandem darüber sprechen. Nur, um zu erfahren, ob es bei anderen auch so ist. Aber er schafft es einfach nicht. Soll er seinen Freund vielleicht fragen, ob er nach dem Händewaschen auch immer den Wasserhahn abtrocknen muss?

Was er nicht weiß: Auch sein Freund trägt Hausschuhe. Aber nicht nur die. Vor dem Schlafzimmer steht ein extra Paar, eigens für den schneeweißen Schurwollteppich, den sich seine Frau nach der Renovierung eingebildet hatte. Damit er nicht befleckt wird durch den Schmutz der gewöhnlichen Wohnungs-Pantoffeln. Er wusste nicht, dass es noch eine Steigerung des Pantoffelhelden geben könnte. Bis sie dann mit diesen Schlafzimmer-Spezial-Puschen vor ihm stand.

Unerträglich perfekt

Nun könnte der Eindruck entstehen, die Frauen dieser Männer besitzen eine Tendenz zum Sadismus und genießen die Situation in vollen Zügen. Leider sind sie damit nicht halb so glücklich, wie es scheint:

"Bei uns ist die Luft raus. Da springt nicht mehr der kleinste Funke über. Tote Hose." "Das ist bestimmt nur eine Phase. Hattet ihr Streit?" "Eigentlich nicht. Das heißt: früher schon." "Worum ging es ?" "Um den Haushalt. Das Übliche. Banales Zeug." "Das kenne ich. Immer ist man am Hinterherräumen." "Eben. Deshalb habe ich ihn kürzlich vor die Wahl gestellt: Entweder du hältst dich an ein paar Regeln oder du suchst dir eine Wohnung." "Und dann?" "Hat er kurz überlegt und einen Blick in die Wohnungsanzeigen geworfen. Schließlich ist er geblieben." "Ist doch prima!" "Überhaupt nicht." "Wieso - hält er sich nicht an eure Abmachung?" "Oh doch. Er zieht die Schuhe aus, setzt sich beim Pinkeln hin, reinigt das Ceranfeld mit einem speziellen Schaber. Die Zahnpasta ist stets verschraubt, auf dem Boden findest du keine einzige Socke mehr und jeden Abend wandert die Zeitung gefaltet ins Altpapier." "Klingt perfekt!" "Eben. So perfekt, dass es kaum mehr auszuhalten ist." "Wo, bitteschön liegt eigentlich dein Problem???" "Das fragst du noch? Das alles ist dermaßen unsexy, steril und gähnend langweilig. Mein Problem ist: Was will ich von einem Mann, der erst das Geschirr spülen muss, bevor er sich mal locker machen kann?" "Aber genau das hast du doch immer von ihm verlangt!" "Eben! Warum lässt er sich das gefallen? Was ist aus dem souveränen Kerl geworden, in den ich mich verliebt habe, wo ist der Rebell geblieben?" "Vielleicht solltest du mal unter deinem Pantoffel nachsehen?" "???"

Frühstück mit Howie

Was ist nur los mit uns Frauen? Wir wollen die Nacht mit Brad Pitt verbringen, aber aufwachen wollen wir mit Howard Carpendale - der macht uns nämlich Frühstück und räumt anschließend ab. Warum würden einige von uns ihr Bett sogar mit Mickey Rourke teilen, nicht aber die Wohnung? Wieso träumen wir davon, dass irgendein x-beliebiger unrasierter Typ mit schlammverkrusteten Stiefeln durch unsere Küche pflügt, Teller und Gläser klirrend zur Seite wischt und uns auf dem verklebten Tisch nimmt, während wir es unserem eigenen Partner nicht einmal gestatten, die gemeinsame Wohnung mit Schuhen zu betreten?

Hand aufs Herz, liebe Damen - angenommen, George Clooney stünde vor der Tür und würde uns die Ehre geben, unsere Toilette aufzusuchen: Würden wir ihm hinterherbrüllen "Bitte hinsetzen!"? Niemals. Jedenfalls nicht sofort. Und, wichtiger noch: Würde er diese Anordnung befolgen - wäre die Welt dann noch wie zuvor? Nein, wäre sie nicht.

Und weil wir das wissen, sehen wir erst einmal über Sockenhäufchen, hochgeklappte Klodeckel und leere Bierflaschen hinweg. Und lächeln. Erst wenn unser persönlicher George Clooney dann nicht mehr ganz so aufregend ist und wir das Bedürfnis, ihn bei jeder Begegnung um ein Autogramm zu bitten, erfolgreich unterdrücken können, beginnt Phase B: die Domestizierung.

Für so manchen ist das der perfekte Zeitpunkt, sich zurückzuziehen und das Weite zu suchen. Andere machen es sich in der Beziehung jetzt erst richtig bequem und genießen das Couchgefühl.

Wir müssen uns also entscheiden: Wollen wir unsere blitzblanke Wohnung mit einem gutmütigen Pantoffelträger teilen? Oder lieber hemmungslosen Sex mit einem Mann, der dreckige Stiefel trägt? Jaaa! Wir wollen dreckige Stiefel! ... Nur, wenn's geht, vielleicht nicht unbedingt auf dem schönen weißen Teppich, okay?

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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