Luft & Liebe:Dinner am Rande der Beziehungskrise

Sie finden, Essen ist eine sinnliche Angelegenheit? Dann laden Sie sich bloß keine Gäste ein! Das Vorspiel dazu können Sie vergessen.

Violetta Simon

Gestern noch fütterte sie ihn auf dem Boden vor dem Fernseher mit Pizza, leckte seine öligen Finger und schnappte ihm die Olive von der Zungenspitze. Einen Tag später hat sich die laszive Genießerin in einen Gurken schnippelnden, putzenden, fluchenden Derwisch verwandelt.

luft und liebe: essen am rande der beziehungskrise

Wenn Gäste kommen, verwandelt sich die laszive Genießerin in einen vollendeten Spießer.

(Foto: Foto: iStock-Photos)

Was ist passiert? Ein Paar hat ein anderes zum Essen eingeladen.

Eine Freundschaft ist es noch nicht, eher eine Bekanntschaft. Deshalb versichern beide, es handle sich lediglich um ein lockeres Beisammensein: "Nichts Besonderes, nur eine Kleinigkeit und ein Glas Wein. Mehr nicht". Schließlich will man sich in erster Linie unterhalten.

Prima, so wird's gemacht. Denkt er. Und genau hier scheiden sich die Geister.

In seiner Vorstellung gibt es: Ein paar Nudeln, ein Glas Wein. Mehr nicht. In ihrer Vorstellung kreisen: Avocado mit Balsamico-Vinaigrette, angewärmter Spargel, umwickelt mit Parmaschinken und Pistazienstreuseln, Lammbraten in Minzsauce, Himbeeren mit Pfeffer und Mango-Eis. Dazu jede Menge Teelichter, Blumen, Musik - das alles soll passend, aber nicht zu gewollt wirken.

Während die weibliche Gastgeber-Hälfte mit einer meterlangen Einkaufsliste in den Biosupermarkt, von dort zum Feinkosthändler und anschließend in einen Ambienteladen flitzt, soll er die Haushaltsliste abarbeiten: Staubsaugen, Altglas wegbringen, Teppichfransen kämmen. Gerade kann er ihr noch hinterherrufen: "Silberbesteck polieren? Ich dachte, wir geben ein Essen und kein Bankett ..."

Im nächsten Moment verlässt ihn die Kraft und er beschließt, erst einmal Zeitung zu lesen. Ist ja noch Zeit bis 20 Uhr.

Er geht joggen, sie hyperventiliert

Inzwischen ist es vier. Er: sitzt auf der Couch und liest den Sportteil. Sie: räumt Einkäufe ein, mariniert das Lamm, hackt Pistazien. 16.30 Uhr. Er: liest den Wirtschaftsteil. Sie: bügelt eine Tischdecke und Stoffservietten. 17 Uhr. Er: liest den Politikteil. Sie: schiebt mit grimmigem Gesichtsausdruck den Lammbraten ins Rohr und lässt betont laut die Klappe zufallen. 17.30 Uhr. Er: liest den Lokalteil. Sie: poliert klirrend das Silber und rubbelt hektisch alte Wachstropfen von den Kerzenleuchtern. 18 Uhr. Er: zappt sich durchs TV-Programm. Sie: saugt demonstrativ um ihn herum. 18.30 Uhr. Er: zieht sich die Joggingschuhe an. Sie: hyperventiliert und will ihn mit dem Tranchiermesser durchbohren.

Er beruhigt sie, indem er ihr versichert, dass er alles im Griff hat und der Tisch bereits gedeckt ist. Sie: wundert sich, gibt aber nach. Bevor er geht, drückt sie ihm den Müll in die Hand und beauftragt ihn, auf dem Rückweg noch Himbeeren und eine Flasche kalten Weißwein zu besorgen.

Als sie in die Küche kommt, sieht sie auf dem Tisch: vier Teller, vier Gabeln, vier Gläser. Sie räumt fluchend alles wieder ab und positioniert mit meditativer Aufmerksamkeit Aromakerzen, bunte Glassteine, große Teller, kleine Teller, tiefe Teller, Servietten und Rosmarinzweige auf der gestärkten Leinentischdecke. Hält Gläser gegens Licht, rückt Besteck für vier Gänge zurecht.

19.30 Uhr: Er kommt vom Joggen zurück, ohne Himbeeren und Wein, dafür mit kaltem Bier. Geht in die Dusche. Sie: versucht vergeblich Rosmarinzweige zu Serviettenringen zu flechten. Zerteilt stattdessen Avocados mit dem Küchenbeil und stellt sich vor, es wäre sein Kopf. Was sie beim Schälen mit dem Spargel anstellt, bekommt er glücklicherweise nicht mit. Dann macht sie Salat, setzt Reis auf und öffnet den Wein.

19.55: Er verlässt gut gelaunt und pfeifend das Bad. Sie, noch ungestylt, aber in einen personifizierten Vorwurf verwandelt, quetscht sich in Bluse, Slip und mit einem Rock unterm Arm an ihm vorbei.

Männer reiben sich nicht

Als es fünf Minuten später läutet, öffnet er völlig entspannt die Wohnungstür, während sie mit einem getuschten und einem ungeschminkten Auge aus dem Bad galoppiert, auf dem Weg zur Diele humpelnd in ihre Schuhe schlüpft und versucht, im Laufschritt den Reißverschluss ihres Rocks zu schließen. Als sie hinter ihm erscheint und sich kurz entschuldigt, sagt er zu den anderen: "Frauen im Bad - wenn sie mal drin sind, kommen sie so schnell nicht mehr raus, hahaha!".

Dann kommt die Begrüßungszeremonie: Wenn Frauen sich treffen, reiben sie sich gern gegenseitig an den Oberarmen und sagen Sachen wie: "Mensch, du! Alles klar? Geht's dir gut?" Männer reiben sich nicht. Jedenfalls nicht an anderen Armen. Erstens finden sie sowas albern, zweitens geht es schon allein deshalb nicht, weil ihre Hände in den Hosentaschen stecken. Zu besonderen Anlässen kramt man eine hervor, um dem Gegenüber ordentlich gegen den Oberarm zu boxen. Aber das passt nur, wenn man bereits Brüderschaft getrunken hat oder gemeinsam ein Champions-League-Spiel besucht hat.

Natürlich haben die beiden auch nichts mitgebracht, jedenfalls so gut wie. Will heißen: Die weibliche Hälfte des Paares hat die halbe Stadt nach einem passenden Geschenk durchkämmt, und sein Kommentar dazu lautete: "Ich wusste nicht, dass wir auf eine griechische Hochzeitsfeier eingeladen sind". Die Beschenkten geben sich hocherfreut, während die Gäste abwinken: "Ist doch nicht der Rede wert!".

Dann geht es in die Küche, wo der festlich gedeckte Tisch im Kerzenlicht vor sich hin schimmert. Den überraschten Ausruf der Freundin "Wow, esst Ihr immer so?" übergeht die Gastgeberin mit einem kurzen "Ach, das ging doch ratzfatz!" Sein süffisantes Grinsen quittiert sie mit einem drohenden Blick.

Ich will einfach nur essen!

Während sie den ersten Gang aufträgt, wird ihm schlagartig bewusst: Bis diese Menüfolge abgearbeitet ist, würde er bereits mit dem Schlaf kämpfen. Wehmütig denkt er an sein Singledasein zurück, als Essen noch seine ursprüngliche Bedeutung hatte: es ging um Nahrungsaufnahme.

Männer können im Stehen essen, mit einem Teller auf dem Schoß, selbst im Liegen. Was Männer nicht können, ist: verstehen, warum sich Frauen freiwillig damit abmühen, ihre Gäste mit leichter Kost in mehreren Schichten satt zu kriegen, wo doch ein handfestes Gericht denselben Effekt hätte. Einmal Schnitzel mit Bratkartoffeln, nach einer Viertelstunde wäre alles erledigt und man könnte sich dem gemütlichen Teil des Abends zuwenden. Leider benötigte man allein für die Vorspeise so viel Geschirr wie für vier Schnitzel.

Für einen kurzen Moment zieht er in Erwägung, die Gäste um Hilfe beim Abwasch zu bitten. Gerade rechtzeitig fällt ihm ein, dass er dann gleich seine Koffer packen könnte. Deshalb tröstet er sich mit der Gewissheit, dass eine Gegeneinladung folgen wird. Die kommt auch prompt: "Das nächste Mal müsst ihr unbedingt zu uns kommen. Aber eins sagen wir euch: wirklich nur eine Kleinigkeit, ja?"

Schon klar.

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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