Lob der Realität:Kapitalistischer Realismus: Im Schuhgeschäft

Peter Licht für die Kolumne GES4 Foto: Christian Knieps

PeterLicht ist Autor und Musiker und schreibt an dieser Stelle jede Woche die Kolumne "Lob der Realität". Darin erklärt der Künstler die Welt. Er lebt und arbeitet auf dem Boden der Tatsachen.

(Foto: Christian Knieps)

Ein sehnsüchtiger romantischer junger Mann sucht coole Arbeiterschuhe aus alten Zeiten, geschaffen für ein Leben, das man gar nicht mehr kennt.

Von PeterLicht

Verkaufsgespräch. Ein sehnsüchtiger romantischer junger Mann mit nicht so großen Füßen betritt einen Schuhladen, wo es den aktuellen Schuh gibt.

SEHNSÜCHTIGER ROMANTISCHER JUNGER MANN. Guten Tag, Herr Verkäufer, ist dies so ein Geschäft, in dem man jene harten Schuhe kaufen kann, die ich mir so sehr wünsche? Die Schuhe, die so sehr klassisch aussehen wie ein Arbeiterschuh aus alten Zeiten ohne modisches Trallala? Die man zwar zwei Jahre unter Schmerzen einlaufen muss und die dann immer noch ein klumpiges Gefühl machen am Fuß? Und die zu allem Unglück auch noch 250 Euro kosten, die aber meine Füße so trefflich kleiden würden und mir ein Gepräge gäben und tausend Meilen lang hielten auf meinem Weg durch die Welt?

VERKÄUFER DES HARTEN SCHUHLADENS. Oh ja, junger sehnsüchtiger Mann, die gibt es hier! Aber es sind nicht tausend Meilen, sondern zweitausend, und du trägst sie nicht unter Schmerzen ein, sondern unter großen Schmerzen, und sie kosten nicht 250 Euro, sondern 350 oder manchmal auch 400 Euro!

SEHNSÜCHTIGER ROMANTISCHER JUNGER MANN. Oh!

VERKÄUFER DES HARTEN SCHUHLADENS. Ja, so ist es! Aber der Lohn ist ein Schuh von einem Schuh!

JUNGER MANN. Was heißt das: ein Schuh von einem Schuh?

VERKÄUFER. Das heißt, dass der Schuh seinesgleichen vergeblich sucht. Er ist robust, er wurde für Arbeiterfüße geschaffen, für die Arbeiterfüße alter Zeiten. So was gibt es ja heute gar nicht mehr. Er ist so robust, er wird deine Knorpel überdauern und deine Menisken. Er ist genäht und gezwirnt in vielen Schichten. Er ist Geschichte. Und: Er sieht cool aus!

JUNGER MANN. Verkäufer der harten Schuhe! Ich finde auch, sie sehen cool aus, das ist mein Begehr, aber sieh, ich fürchte mich vor dem Schmerz! Meine Füße, sie sind nicht so robust, vielmehr, sie sind eigentlich zart und behende. Es sind Romantikerfüße. Und ich fürchte mich.

VERKÄUFER. Oh, du fürchtest dich? Nun das ist verständlich! Die Schmerzen, die Kosten, die Klobigkeit beim Gehen in all den kommenden Jahren, denn der Schuh hält ja eine Ewigkeit! Oh ja. Da kommt was auf dich zu.

JUNGER MANN. Oh, du Verkäufer der harten Schuhe, sprich, wärest du in der Lage, eine örtliche Betäubung anzufertigen für die Phase des Eintragens und vielleicht auch für die Zeiten danach?

VERKÄUFER. Oh, junger Mann mit dem zarten Fuß, das ist kein Problem! Nur zu gern machen wir Narkosen für romantische Füße! Wisse, wir machen sie mit robustem metallenem Spritzbesteck aus alten Zeiten, so was gibt es heute ja gar nicht mehr, das hält eine Ewigkeit! Und du bist nicht der einzige! Alle sind betäubt.

JUNGER MANN. Aber was ist, wenn die Betäubung nachlässt? Wie geht es dann meinem Fuß?

VERKÄUFER. Oh, es geht! Bedenke nicht den Schmerz sondern die Haltbarkeit und die schöne Gestalt und wie cool es ist! Ewig wird dein Fuß schreiten.

JUNGER MANN. Mmh fein, das gefällt mir! Aber sprich, im Vertrauen, fernab vom Kaufermunterungsgerede: Wie läuft sich's im Schuh?

VERKÄUFER. Nun es läuft sich so, wie es sich in einem Schuh läuft, der für einen Arbeiterfuß geschaffen wurde, für ein richtig hartes entbehrungsreiches kurzes Arbeiterleben, so, wie man es heute gar nicht mehr kennt.

JUNGER MANN. Ja ja, mmh fein, das gefällt mir! Nur die Furcht bleibt, der Schmerz könne sich ergießen in meinen Fuß! Und die Klobigkeit und all das Geld! Dass das alles nicht wär, ich wünscht's mir so sehr! Es sollte anders sein.

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