Lob der Realität:Bittersüß

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PeterLicht ist Autor und Musiker und schreibt an dieser Stelle jede Woche die Kolumne "Lob der Realität". Darin erklärt der Künstler die Welt. Er lebt und arbeitet auf dem Boden der Tatsachen. (Foto: Christian Knieps)

Wer sich gerne vergleichen möchte, sollte dies am besten mit sich selbst tun. Denn der Vergleich mit anderen, zum Beispiel mit dem Nachbarn, kann böse enden.

Man soll sich ja nicht vergleichen, das geht immer nach hinten los. Wenn man es aber trotzdem unbedingt machen möchte, dann sollte man sich grundsätzlich lieber mit SICH SELBST vergleichen als mit ANDEREN LEUTEN. Weil man dann eine Chance hat. Ich sollte also lieber mein Leben VOR dem Aufstehen mit meinem Leben NACH dem Aufstehen vergleichen oder meinen Zustand vor dem Essen mit dem danach. Oder meine Existenz MIT Altersvorsorgeaufwendung oder eigener Immobilie mit meiner Existenz OHNE.

Wenn man es anders macht, und ANDERE LEUTE mit ins Spiel bringt, kann es zu unguten Zuständen kommen. Wenn ich mich also vergleiche mit meinem feinen Herrn Nachbarn, dem Glückspilz und Richtigmacher vor dem Herrn, dem Spreizdübel von einem Lebensplan, der die Fenster zum SÜDEN raus hat, und ich aber sitze im OSTEN, das heißt in der Morgensonne, das heißt, wenn ich dort mal sitzen würde, nein, niemals sitze ich dort, weil ich ja morgens zu der Zeit, in der man in meiner Wohnung in der Sonne sitzen KÖNNTE, ganz woanders sitze, nämlich verdammt noch mal AUF DER ARBEIT, und nicht, wie der ungerecht vom Schicksal mit Sonnenstrahlen beschenkte sonnensitzende Supernachbar in der PRALLEN SONNE DES LEBENS, dann ist es also im Vergleich für mich eher ungünstig bestellt um meine Sonnenhaftigkeit, und ich komme schlecht drauf. Dann finde ich mich wieder als unbesonnten Schattenwurz, der ich natürlich nicht sein möchte, wenn ich mich vergleiche, denn man VERGLEICHT sich ja nicht, um am Ende als unbesonnter Schattenwurz dazustehen, sondern als Sonnenwurz.

Also Zusammenfassung. Auf der einen Seite: meine schattenhafte Murks-Existenz, die unter Ausschluss von heller Strahlkraft stattfindet und ohne überirdische Phänomene (Sonnen). Auf der anderen Seite: der Sonnennachbar. Ergebnis: UNGUTER ZUSTAND. Man sollte sich also, wenn man sich unbedingt VERGLEICHEN möchte, besser MIT SICH SELBST vergleichen. Das hat Vorteile. Die Konkurrenz ist kleiner. Man kennt sich besser aus. Man weiß um die Details. Man kann mehr gönnen. Und wie der Vergleich auch immer ausgeht, man bleibt ein halber Gewinner und steht am Ende nur halb doof da statt doof.

Wenn man es anders macht, und den UNGUTEN ZUSTAND erleidet, kommt Verbitterung in die Welt, von der momentan alle reden, und der zum Beispiel die verrosteten Stahlarbeiter im amerikanischen Rostgürtel (Rust Belt) zum Opfer gefallen sind, weil sie auf den Ostbalkonen sitzen, während sie davon ausgehen, dass andere Leute auf Südbalkonen sitzen, was sie nicht länger hinnehmen möchten. Sie greifen dann zu überbelichteten Maßnahmen. Sie erwählen Sonnenfürsten zu ihren Anführern. Unermesslich photonenreiche Höhensonnen bestrahlen die Dachwohnungen, die sich die Anführer auf ihre Lichttürme setzen ließen. Die Anführer sitzen drinnen in den Dachwohnungen, von allen Seiten strömt das Licht herein, sie werden erleuchtet, die Sonne färbt ihr Gesicht orange, die Haare gleißend und die Seele schwarz.

Ja, so ist es, aber man muss sagen: Die einleuchtende These von den verbitterten, verrosteten Stahlarbeitern zieht weitere Fragen nach sich. Denn wo heute Verbitterung ist, muss ja früher auch einmal Versüßung gewesen sein, sonst macht es keinen Sinn. Die Frage stellt sich: Wo sind all die süßen Stahlarbeiter hin? Wo sind die zuckrigen Mechatroniker? Die honighaften Trockenbauer oder -bauerinnen? Die kandierten Kreativen? Wo sind sie hin, die karamellisierten Akademiker/innen? Wo sind sie gewesen all die Jahre? Sie zogen vorbei, unbemerkt. Wo sind sie hin? Ach, wenn man es wüsste. Man wollte an ihnen lecken auf der Suche nach Süße in Zeiten der Verbitterung.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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