LKW-Fahrer:Die Zeit rennt. Die Räder rollen.

LKW-Fahrer: Die Fahrerkabine als Zuhause: LKW-Fahrer Karl W. hat das Lenkrad immer vor sich.

Die Fahrerkabine als Zuhause: LKW-Fahrer Karl W. hat das Lenkrad immer vor sich.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Für seine Kinder ist Karl W. vor allem der Mann am Ohr. Und ziemlich oft hat der LKW-Fahrer das Gefühl, einen Job zweiter Klasse zu machen. Warum es trotzdem sein Traumberuf ist, erzählt er in einer weiteren Folge von "Wie ich euch sehe".

Von Jessy Asmus

Ich habe das Lenkrad immer vor mir. Wenn ich fahre, wenn ich schlafe und wenn ich esse, wenn ich telefoniere, wenn ich fernsehe - immer. Es ist schwer, von Freizeit und Arbeitszeit zu sprechen. Jeder Tag ist anders, alles ist unregelmäßig, und irgendwie bleibt doch alles gleich. Das Essen, der Schlaf, die Pausen - und permanent die Termine im Nacken. Ich weiß morgens meist noch nicht, wo ich über Nacht stehen werde. Die Parkplätze sind knapp und die Suche nach einem Schlafplatz dauert oft lang.

LKWs sind fahrende Lagerhäuser, wir transportieren Kameras, Granulat, Gülle, Weizen, Bier, Obst, Möbel, Autos, Drucker, Einkaufswagen. Das meiste wird bei Bedarf auf Bestellung geliefert. Deshalb fahren wir auch am Wochenende. Nur zu Beginn der Sommerferien sind die Autobahnen sogar für LKWs gesperrt.

Alle regen sich auf, dass die rechte Spur auf den Autobahnen den LKWs gehört, dabei wollt ihr doch auch, dass eure Pakete pünktlich ankommen und die Supermärkte gefüllt sind. Daher wäre es hilfreich, wenn ihr euch vor Augen haltet, dass wir die Dinge des täglichen Lebens transportieren: Ohne uns würde euer Lieblingssaft nicht im Regal landen.

Manche PKW-Fahrer sind genervt, sie hupen mich an oder zeigen mir gar einen Vogel. Dabei mache ich nur meine Arbeit. LKWs kommen euch langsam vor wegen der Geschwindigkeitsbegrenzung. Aber die ist nun mal vorgeschrieben: Wir dürfen auf den Autobahnen 80 und auf Landstraßen 60 km/h fahren. Zugegeben, wenn ich in meinem Privatauto sitze, fahre ich auch nur 80 - reine Gewohnheit - und ärgere mich, wenn LKWs dann zu nah auffahren.

Viele von euch übersehen, welche Verantwortung ich für das Transportgut, den Wagen und die Sicherung des Transportguts trage. Ich habe mich an das Gefühl gewöhnt, dass ich in euren Augen einen Job zweiter Klasse mache. Doch manchmal wünsche ich mir, dass ihr euch darüber bewusst werdet, dass wir alle Zahnräder der Gesellschaft sind und kein Job weniger wert ist.

Auch bei den deutschen Firmen, die ich beliefere, fühle ich mich oft nicht anerkannt. In Holland wird nett geplaudert und es gibt einen Kaffee. In Frankreich wird man herzlich empfangen und kann duschen. In Deutschland hingegen werde ich auf auswärtige Toiletten verwiesen. Von der Polizei fühle ich mich manchmal geradezu kriminalisiert, so oft wie die mich filzen.

Man wird zum Einzelgänger

Die Ruhezeiten einzuhalten, ist wichtig. Nach viereinhalb Stunden am Stück muss ich mindestens 45 Minuten Pause machen, nach 15 Stunden ist Feierabend. Bei Nachtfahrten versuche ich, in den Pausen zu schlafen. In der Schweiz ist es besser, da kann ich durch das Nacht-Fahrverbot nachts schlafen.

Um wach zu bleiben, höre ich Krimihörspiele oder Radio - in jedem Land habe ich einen Lieblingssender. Manche Moderatoren von ihnen sprechen die LKW Fahrer nachts direkt an: "Halte durch!" Wenn mein Tagesablauf regelmäßiger ist, komme ich mit zwei Kaffeepausen gut über den Tag.
 Das Einhalten der Termine hält mich wach und motiviert mich. Die Zeit rennt. Die Räder rollen.

Ich fahre zwei Wochen am Stück, dann bin ich für zwei Nächte Zuhause. Aber eigentlich ist meine Fahrerkabine mein Zuhause - der LKW ist Arbeitsplatz und Wohnzimmer. Zugegeben, manchmal fühle ich mich darin auch fremd. Deshalb habe ich immer einen Teppich, Satelittenschüssel und Föhn dabei. Zu meinem Inventar gehört neben Bettwäsche und Kleidung auch mein Laptop. Und ein Holzbrettchen, das hat mir mein Sohn zu Weihnachten geschenkt und es passt genau aufs Lenkrad.

Mit früheren und jetzigen Kollegen halte ich telefonisch Kontakt. Wir tauschen uns über gute Parkplätze aus und geben Empfehlungen weiter, wo man preiswert essen und duschen kann. Hin und wieder treffen wir uns auf Rastplätzen. Die Freunde werden weniger. Die guten bleiben. Man wird zum Einzelgänger mit der Zeit. Und manchmal denke ich, dass ich eine Macke bekomme, da ich seit über 15 Jahren nur unterwegs bin. Liebe ist seit der Scheidung schwer.

Verabredungen kann ich nur selten treffen, da meine freie Zeit begrenzt ist. Familienfeiern muss ich Monate im Voraus ankündigen und Arzttermine muss ich notgedrungen auf die Urlaubszeit legen, da ich selten die Ankunftszeit vorausplanen kann. Ich kann auch nicht zu Elternabenden gehen.

Wenn ich am Wochenende Zuhause bin, möchte ich Zeit in der Natur und mit meinen Kindern verbringen. Je größer sie werden, desto seltener ist das der Fall. Telefonieren ist der wichtigste Kontakt zu meinen Kindern, aber was bedeutet das schon, der Mann im Ohr zu sein.

Im Urlaub zieht es mich immer ans Meer zum Schnorcheln und Schwimmen. Oft fahre ich mit den Kindern in das Ferienhaus auf die Krim. Auch wenn ich meinen Urlaub genieße - irgendwann ist es wieder Zeit: Dann merke ich, ich muss raus. Für mich bleibt es trotz allem mein Traumberuf, ich würde das Singen der Räder vermissen.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

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