Literarischer Dresscode:Stoff, aus dem ihre Anzüge sind

Warum sich Schriftsteller meist nicht kleiden wie Tom Wolfe: Joseph von Westphalen erklärt, was die Kleidung über einen Autoren aussagt.

Ich hasse meinen grauen Anzug. Vor sechs, acht oder auch schon zehn Jahren, als ich einmal mit dem Schreibpensum überraschenderweise rechtzeitig fertig geworden war, wollte ich den Nachmittag vor der Fahrt zur Buchmesse nutzen, um unverbindlich nach einem neuen Kleidungsstück Ausschau zu halten.

Kleidung Stil Schriftsteller Tom Wolfe

Nur Tom Wolfe steht es, sich wie Tom Wolfe zu kleiden. Aber wie hält er bloß seinen weißen Anzug sauber?

(Foto: Foto: AP)

Mein Lieblingsjackett war damals dabei, den Geist aufzugeben. Im Jahr zuvor hatten die Gebrauchsspuren noch den Charme des Nachlässigen gehabt, nun ging es mit großen Schritten der Heruntergekommenheit entgegen.

Eine glückliche Zufallserrungenschaft

Ich wollte eine ähnliche Jacke haben und musste entsetzt feststellen, dass eine nicht halb so schöne weit mehr als das Zwanzigfache dessen kostete, was ich wenige Jahre zuvor für meine über alles geliebte bezahlt hatte. Die hatte ich mir ohne lange zu überlegen in einem italienischen Ausverkaufsladen einpacken lassen, weil sie weich und warm und leicht zugleich war, angenehm unaufdringlich kariert und zeitlos geschnitten. Sie passte perfekt und war nicht teurer als zwei neue CDs: sechzigtausend Lire, also 60 Mark.

Erst später lernte ich meine Zufallserrungenschaft zu achten. Auf einer Buchmesse. Ich traf einen flüchtig befreundeten Branchenmenschen, der zum Controller eines Verlagskonzerns aufgestiegen war und machte ihm ein paar ironische Komplimente zu seinem Karrieresprung. Er sah mich an und sagte: "Ihnen geht es aber auch nicht schlecht."

Mir ging es finanziell wieder einmal gar nicht gut, und ich bat ihn, seine Kapitalistenscherze zu lassen. "Wer sich so ein Jackett leisten kann, der sollte nicht klagen", sagte er, "darf ich?" Er griff an meinen Ärmel, prüfte den Stoff kurz zwischen Daumen und Zeigefinger und pfiff leise: "Allerfeinstes Kaschmir, wie ich schon vermutete, dafür haben Sie mehr als 2000 bezahlt."

Jackettmäßig waren die Kaschmirjahre die glücklichsten meines Lebens. Das wunderbare Stück beschützte mich, wann immer ich das Haus verließ. Als die Winter noch eisig waren, fror ich nicht, in tropisch heißen Theaterräumen oder hallogenlichterhitzten Messehallen schwitzte ich nicht.

Auf der Messe wird man als Autor gelegentlich interviewt. Leider nur selten zu seinem eigenen neuen Buch, weil der Reporter da einen Blick hätte hineinwerfen müssen. Also fragt er einen, welches andere Buch man empfehlen könne. Das ist für ihn einfacher.

Einen Menschen in dieser Lage nach den Hervorbringungen seiner nichtswürdigen, in grauen Anzügen geschäftig herumwuselnden Autorenkollegen zu fragen, ist schon nicht mehr taktlos, sondern Folter. Dennoch: Ich schoss keinen Interviewer über den Haufen, ich schlug keinem sein Mikrophon auf den Kopf, sondern gab freundlich die gewünschten kollegialen Auskünfte. Meine dezente, geduldige, widerstandfähige, schmeichelnde Gentlemanjacke war es, die mich sanft bleiben und die Form wahren ließ.

Weil Bilder beliebter und auch leichter zu machen sind als Texte, wird man als Autor auf der Buchmesse mehr fotografiert als befragt. Auf allen Fotos meiner karierten Kaschmirjackenjahre kann ich mich mit der dargestellten Person identifizieren. Ein Mensch blickt mich an, der mit seiner Jacke im Einklang ist, der voll hinter der Mischung aus billig und edel steht.

Billig und edel - das gilt für Jacken und für das Leben

Billig und edel. Meine Jacke hat mich gelehrt, dass dies das ideale Motto meines Lebens ist. Billig und edel, so sollen auch meine Texte sein. Bloß nicht kostbar! Teuer und edel - das kann sich jeder Depp zusammenkaufen, wenn er Geld hat. Da ist ja teuer und geschmacklos noch besser.

Über diese Mischung kann man sich wenigstens noch amüsieren. Frauen in teuren rosafarbenen Noppenstoff-Kostümen zum Beispiel. Eingefasste Revers. Entsetzlich. Traurig. Billig und geschmacklos hingegen, das hat was. Für diese Exzentrik besitze ich allerdings noch nicht die nötige Größe.

Ungern denke ich an die Jahre vor meiner karierten Kaschmirjacke. Aus der heute nicht mehr nachzuvollziehenden Überlegung heraus, als Schriftsteller sei man schließlich ein bunter Vogel, glaubte ich wohl eine Zeitlang, mich vom Grau des Bürgertums absetzen und etwas Farbe tragen zu müssen.

Ich sehe mit Schrecken eine ausgebeulte rotbraune Cordhose vor mir, in der ich aussah wie ein Heimwerker. Dazu elfenbeinfarbene Socken. Zum Glück nicht gleichzeitig gab es eine blattgrüne Leinenjacke, die mich zu einem degenerierten Wittelsbacher Gemsenjäger machte. Erbarmungslose Pressefotos und Fernsehauftrittsaufzeichnungen belegen die Verirrungen.

Selbstekel und heimlichen Anpassungsgelüste

Der Kauf des Anzugs nach dem Ausgedienthaben der Lieblingsjacke geschah im Zustand der Resignation, in dem man Bekleidungshäuser meiden sollte. In der halben Stunde des An- und Ausprobierens schwankte ich zwischen Selbstekel und heimlichen Anpassungsgelüsten. Jahrzehnte meines Lebens hatte ich ohne Anzug zugebracht. Warum nicht mal aussehen wie alle Autohändler und Verleger und seriösen Autoren dieser Welt. Ich entschied mich für ein mittleres Gebrauchsgrau, das dunklere Grau war schöner, aber zu feierlich.

Zu Hause der Schock. Im Spiegel des Ladens hatte mir der Anzug gestanden wie Cary Grant, jetzt war diese Anmutung dahin, und ich sah aus wie Harald Schmidt, der immer so aufgedreht angezogen auftritt, als käme er aus einer Umkleidekabine. Ich sehe ihn ab und zu gern, seine Anzüge, und wie er sie trägt, finde ich aber extrem spießig.

Schlips kommt allerdings nicht in Frage, trage ich frühestens ab 80. Ein letztes Aufbegehren gegen Vereinnahmung und Establishment - hochgradig albern, aber auch bequem: Ich habe es luftiger und muss nicht auch noch entscheiden, mit welchem Fähnchen vor der Brust ich Geschmack beweise und mich von der Brut der Geschäftsleute und Politiker unterscheide.

Die hohe Zeit der Schlipse ist ohnehin vorbei. Von Mitte der 1930er bis Mitte der 1950er Jahre sahen Mafiakriminelle, heroinsüchtige Jazz-Musiker, Privatdetektive und Schriftsteller aus wie Gentlemen: diese lässigen weichen Schlipsknoten und Hemdkragen, diese breiten Revers und weiten Hosen sind so wenig wiederbelebbar wie Cary Grant und all die anderen Götter des guten Geschmacks. Mit den sechziger Jahren zogen bei Kriminellen wie Intellektuellen fadendünne Schlipse und schwarz-existentialistische Rollkragenpullover ein (Gruppe 47!). Die Männer begannen wie Konfirmanden auszusehen.

Ein offener Schriftstellerkragen lässt heute am wenigsten Rückschlüsse auf die Gesinnung zu. Das ist mir lieb. Ich will nicht erkannt und festgelegt werden. Mal von dem Grad der Spießigkeit des Musters und der Hässlichkeit der Farbe des Schlipses abgesehen, hat jeder Knoten seine Bedeutung.

Sehr locker ist pseudoneoliberal-ranschmeißerisch und vorsichtig opportunistisch. Wer so nicht wirken will und es schick findet, Schlips und Knoten festzuzurren, muss in Kauf nehmen, für einen konservativklerikalen Knochen gehalten zu werden. Mit Krawattennadel am eingeschürten Hals sieht man aus wie ein katholischer Befürworter der lateinischen Messfeier und Fan der Martyrien des heiligen Sebastian.

Das erste Jahr mit meinem praktischen ekelhaft moderaten Anpassungs-Messe-Anzug trug ich, um nicht wie ein adretter Verlagsgeschäftsmensch oder wie Harald Schmidt auszusehen, ein weißes T-Shirt unter der Jacke, und stellte fest, dass alle Autorenkollegen graue Anzüge mit weißen T-Shirts trugen. Manche jüngeren Autoren schlurften mehr wie Stefan Raab durch die Hallen: mit raushängenden Hemden und Kapuzenpullis. Als jung gilt man in dieser seltsamen Branche bis Ende 40.

Im Jahr darauf probierte ich es mit schwarzen Polohemden zum Anzug - auch das war dann prompt die Autorenausgehuniform dieser Buchmesse. Immerhin waren meine Hemden von C & A und also ohne das alberne Krokodilsprädikat. Diesmal waren die Fotografen zufrieden, die Menschen mit weißen Hemden nur ungern knipsen.

Bei der Kleidung neigen Autoren zur Unauffälligkeit

Obwohl doch jeder Autor heute mehr denn je herausragend unverwechselbare Bücher schreiben möchte und aus Konkurrenzgründen schreiben muss, neigt er in seiner Kleidung eher zur Unauffälligkeit. Die Scheu vor extravaganten Auftritten ist unübersehbar. Das gilt übrigens auch für die Autorinnen, die auf der Messe so schlicht kostümiert sind, dass man sie - wie die Männer - kaum auseinanderhalten kann.

Und auch in den langen Messenächten bei den Verlagsfeten halten sich die Kolleginnen zurück und unterscheiden sich dadurch von den exaltierten Hysterikerinnen der Filmbranche. Die Frage, die nach Filmfesten noch wochenlang die Modegemüter bewegt, welche Favoritin welches tollkühne und von wem fabrizierte und wie weit ausgeschnittene Kleid trug, hat sich auf der Buchmesse noch nie gestellt. Eigentlich schade.

Die Paradiesvögel sterben aus. Hat ja auch keinen Sinn, sich mordsmäßig herauszuputzen. Wie sollten dann die Bücher neben einem standhalten. Byron, Puschkin, Oscar Wilde waren große Dandys und große Autoren. "Man kann ein guter Dichter sein und trotzdem auf die Schönheit seiner Manschetten Wert legen", lässt Puschkin seinen Eugen Onegin sagen. Funktioniert heute nicht mehr.

Ein Autor, der sich aufzäumen würde wie Karl Lagerfeld, wäre schlecht beraten. Die Fernsehteams wären hinter ihm her, aber seine Bücher, egal wie gut oder schlecht, würden belächelt werden.

Die moderne Unauffälligkeit von uns Autoren hat auch damit zu tun, dass wir uns als Beobachter fühlen. Das ist unser Job. Deswegen kleiden wir uns gern unscheinbar wie Detektive. Unter den Hunderten Autoren gibt es eine Handvoll, deren auffallende Kleidung Markenzeichen ist.

Es gibt den blaugelben Kanarienvogel, den Mann mit mittelalterlichem Wams und Zimmermannshose, den allseits beliebten Rauschebart im Jeansanzug, den bücherschreibenden Verleger mit roten Socken, den Religions- oder Sytemkritiker im Schlabberpulli.

Wie hält Tom Wolfe seine weißen Anzüge sauber?

Manchmal ist Tom Wolfe auf der Messe, und man fragt sich, wie der seine weißen Anzüge sauber hält. Martin Walser braucht nicht seinen verwegenen Hut, Verve und Würde sind auffallend genug. Ähnliches gilt für Günter Grass, den anderen Patriarchen, der mit seinen unbegreiflich dunklen Haaren in einem grauen Anzug unvorstellbar ist: Seine Herrenhausklamotten sind meist in herbstlichen Cognac-Tönen gehalten, denen man die Kritik am uniformen Kapitalismus ansieht. Enzensberger, der dritte unserer älteren Autorenbrüder, geht auf keine Buchmesse, und wenn, würde er auf ein Höchstmaß an Unauffälligkeit Wert legen.

Auf der Leipziger Messe kann es passieren, dass man ab und an noch etwas zu sehen bekommt, was es in Frankfurt nicht gibt: sozialistische Honecker-Sandalen am Autorenfuß. Mit Socken. Sicher sehr angenehm bei der Lauferei und der Hitze in den Hallen. Auch so kann man Zeichen setzen und auf Konventionen pfeifen.

Turnschuhe zum Anzug sind auch ein Zeichen: Ich bin kein geschleckter Mitläufer, soll das heißen. Wirkt aber heute nicht mehr alternativ, sondern siech: Als habe man mit den Folgen eines Bandscheibenvorfalls zu tun. Übrigens sollte man nicht versuchen, Anzüge mit weit aufgeknöpften Hemden salopper erscheinen zu lassen. Das sieht dann nicht locker aus, sondern berndeichingerhaft.

Ich trage jetzt in den nächsten Jahren noch zähneknirschend meinen Spießeranzug auf, bis der Hosenboden zu glänzen beginnt. Damit weise ich dann auf die schlechte finanzielle Lage der Autoren hin.

Für meine Individualität verlasse ich mich auf meine Falten

Was das Zurschaustellen der Individualität betrifft, verlasse ich mich auf die zunehmenden Falten meiner Visage und studiere einen glühenden Blick ein, als ob ich 90 Prozent eines Romans auf der Festplatte hätte, der die deutsche Literatur der letzten 20 Jahre alt aussehen lässt.

Für den Vorschuss dieses Romans besorge ich mir dann wieder eine Kaschmirjacke, deren Wert nur kundigen Controllern auffällt. Ich lasse sie mir diesmal schneidern. Verbesserung muss sein. Ein Autorenbuchmessenjackett sollte nämlich übergroße Außentaschen haben. Solche Jacken gibt es nicht von der Stange. Man muss in jede Tasche bequem einen 500-Seiten-Roman versenken können. Es ist keine Art, auf der Buchmesse mit Büchern in der Hand herumzulaufen. In die Hand des Autors gehört ein Glas Wein und nach wie vor eine Zigarette.

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