Liebes Leben:Eine Kammer für die Ehe

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Was tut man, wenn der geliebte Mensch sehr ordentlich ist, man selbst aber nur Chaos produziert? Eine größere Wohnung mieten? Putzen lernen? Sich trennen?

Von Franziska Storz

In einem gut geführten Haushalt verschwinden keine Socken. Ordentliche Leute verwenden Socken-Klips. Damit lassen sich Sockenpaare lebenslang zwangsverheiraten. Ich war schon immer vom Ordnungssinn anderer Menschen fasziniert. Vielleicht weil ich hinter der Pedanterie ein aufgeräumtes Innenleben vermute. Mein eigener Seelenzustand lässt sich an meiner Wohnung ablesen. Geht es mir schlecht, türme ich die Klamotten im Bad zu großen Haufen. Geht es mir miserabel, dann räume ich auf, um das innere Chaos mit äußerlicher Ordnung zu kompensieren. Das kommt Gott sei Dank selten vor.

Andere Leute sortieren im Frühjahr die Liste ihrer Facebook-Freunde, ihre Klamotten nach Farbe und ihre Platten nach dem Alphabet. Sie werden unruhig, wenn unterschiedlich gemusterte Teller auf dem Tisch stehen, und sie nehmen - Achtung! - Schuhcreme mit in den Urlaub. Ich bin froh, wenn ich in meinem Schuhregal überhaupt zwei gleiche Schuhe finde.

Das Suchen von Sachen hat in meiner Familie Tradition. Schon meine Urgroßmutter verbrachte etwa zwei Drittel ihrer Lebenszeit damit, Brillen, Schlüssel oder Hundeleinen zu suchen. Wenn diese Dinge nicht an ihrem Platz waren, verfolgte sie sie fluchend und mit detektivischem Spürsinn durchs ganze Haus. Waren die Dinge am vorgesehenen Platz, half es aber auch nicht weiter, da sie das gar nicht für möglich hielt und deshalb erst recht den ganzen Tag an ihnen vorbeilief.

Nun gibt es das Phänomen, dass die chaotischen Frauen meiner Familie manchmal sehr ordentliche Männer heiraten und ein unterschiedlicher Sinn für Ordnung ja durchaus Sprengstoff in einer Beziehung sein kann. Meine Cousine und ihr Mann sind deshalb sogar in eine größere Wohnung gezogen. Sie brauchten noch ein Zimmer. Der Mann darf diesen Raum nicht betreten, weil sie darin ihr Chaos auslebt. Seitdem sind beide zufrieden. Ihre Ehe hat nun eine Rumpelkammer.

Neulich war ich im Seniorenstift zu Gast bei einem Kaffeekränzchen mit drei Ladies, die sicher alle besser aufräumen als ich. 251 Jahre Lebenserfahrung tauschten sich aus. Unser Thema: Ordnung. Eine 83-Jährige berichtete, dass sie sich erst kürzlich von ihrem Mann getrennt habe. Wegen der Insekten. "Früher brachte ihn in der Nacht eine einzige Mücke auf die Palme", sagte sie, "die hat er dann stundenlang mit einer Zeitung gejagt. Irgendwann war die Mücke tot. In zunehmendem Alter wollte er aber kein Leben mehr vernichten und hat versucht, die Mücke zum offenen Fenster rauszujagen. Stundenlang."

Dass dem Mann das Leben einer Mücke wichtiger war als ihr Schlaf, hat die Frau nicht verkraftet. Bis zu dieser Erkenntnis war es allerdings ein langer Weg. Ihre Ehe hatte 69 Jahre gehalten, sagte die Dame und zerteilte dabei ein trockenes Stück Zitronenkuchen: "Ich habe annähernd sieben Jahrzehnte gebraucht, um in meinem Leben Ordnung zu schaffen."

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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