Liebes Leben:Die Neuen im Dorf

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(Foto: N/A)

Unsere Kolumnistin hat seit kurzem Flüchtlinge im Haus. Elen und Idris aus Eritrea, die jetzt im alten BMW des Großonkels zum Hofladen brettern. Jetzt müssen sich nur noch die Einheimischen integrieren!

Von Franziska Storz

Jede Familie funktioniert nach ihren eigenen Gesetzen. Bei einer Freundin gibt es sonntags immer gebratene Kiwi mit Käse überbacken und Curry-Ketchup. Ein anderes Paar füllt sich für Elternabende alkoholische Mischgetränke in Thermosflaschen und pichelt dann in der letzten Schulbank. Auch wir spinnen: Wer in meiner Familie erkrankt, weigert sich, zum Arzt zu gehen, oder fährt - wenn es doch mal sein muss - mit akutem Schlaganfall selbst noch mit dem Auto in die Klinik. Beschwert sich dann aber, dass dieser "depperte" Arzt einfach nicht geglaubt habe, dass man einen waschechten Schlaganfall hatte. Menschenleben sind bei uns mittelwichtig, Tiere werden sofort mit dem gesamten medikamentösen Arsenal versorgt.

Nun stellen diese familiären Besonderheiten per se ja kein Problem dar. Zur Herausforderung werden sie aber, wenn Flüchtlinge aus Afrika ins Haus einziehen. Geflüchtete Menschen leben ja derzeit viele in Bayern. Aufrechte Katholiken müssen erst eingeflogen werden. Die letzten drei Pfarrer im Dorf meiner Großtante stammten aus Indien oder Afrika. Die Dorfgemeinschaft steckt die Geistlichen an Feiertagen in Lodenmäntel und lässt manche grammatikalische Irritation über sich ergehen. Bei einer Beerdigung sprach der Pfarrer neulich die ganze Zeit über "die Verstorbene". Beim Toten handelte es sich aber um den Unterhauser Sepp. Der hätte sicher was dagegen gehabt, als Frau beerdigt zu werden. Von einem Afrikaner? Kein Problem! Die Syrer werden im ehemaligen Feuerwehrhaus von Freiwilligen verpflegt und unterrichtet. Und die Nachricht, dass Elen und Idris aus Eritrea künftig bei uns wohnen, wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen. Die Menschen an der Basis sind manchmal weiter als die Amtsinhaber, das gilt für Kirche, Politik und Bayern gleichermaßen.

Elen und Idris haben dank breiter Unterstützung bereits den deutschen Führerschein, dürfen privat wohnen, arbeiten und in Deutschland bleiben. Wir geben uns viel Mühe mit der familiären Willkommenskultur und haben unsere Französischkenntnisse tapfer aufgebessert, um dann festzustellen, dass Eritrea mal italienische Kolonie war. Buon giorno, Adorno! Bedauerlicherweise halten Elen und Idris unsere Hunde für unrein. Womit sie nicht ganz falschliegen, die wälzen sich manchmal ausgiebig in Gülle. Ich weiß also nicht, ob es eventuell ein Anschlag war, als die Hunde neulich die Blutdrucksenker der Großtante im Futter hatten. Bislang hat es aber keinem geschadet.

Ich wünschte bei all dem guten Chaos, mein Großonkel würde noch leben. Wenn der wüsste, dass Idris nun mit seinem dunkelblauen BMW durch das Dorf zum Hofladen brettert und vielleicht dazu seine alten Swingkassetten hört. Ich denke, da würde er sich sehr zufrieden eine Zigarre anzünden. Der Onkel musste im Volkssturm Gräben schippen. Der wusste sehr genau, was es bedeutet, in der Scheiße zu sitzen.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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