Lesen:Der Zeilenfresser

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Bastian ist zwölf Jahr alt und liest 200 Bücher pro Jahr. Das heißt: Jeden zweiten Tag ein neues. Wie schafft er das nur neben Schule, Hausaufgaben und seinen Hobbys?

Andrea Schwendemann

Und dann einfach so dahingleiten – ob auf dem Brett oder im Buch. Mit gebeugten Knien oder Zeile für Zeile. Unter sich nur die Welle oder das Sofa. Illustration: Melanie Garanin (Foto: N/A)

Ein warmer Herbstsonntag in Waldkirch, einem hübschen, kleinen Städtchen am Fuße des Schwarzwaldes. Bastian Scherzinger, zwölf Jahre alt, ist ein ganz normaler Junge. Er trägt blaue, knielange Hosen und eine schwarze, eckige Brille. Er läuft die lange Straße Richtung Buchhandlung. Der Laden ist seine zweite Heimat. Hier kann man wohl am besten dem Geheimnis seiner Leidenschaft fürs Bücherlesen auf die Spur kommen. Denn hier ist seine Quelle.

200 Bücher liest Bastian pro Jahr, das macht 16 Bücher im Monat. Demnach braucht der Siebtklässler mit dem schüchternen Lächeln jeden zweiten Tag ein neues Buch. Wie schafft er das neben der Schule und dem Programmieren, seinem anderen Hobby?

"Ich lese einfach immer, wenn ich Zeit habe", sagt Bastian, der ein bisschen aussieht wie der junge Daniel Radcliffe, der "Harry Potter"-Schauspieler. Schummelt er vielleicht manchmal und liest einfach nur die erste Seite und den Schluss? Er schüttelt den Kopf. "Nur zwei Karl-May-Bücher habe ich nicht zu Ende gelesen, weil ich sie langweilig fand. Aber das war eine Ausnahme." Da steckt schon ein Trick drin gegen schneckenlangsames Lesen: Bücher suchen, die einen interessieren. "Ich lese viel schneller, wenn ich in eine Geschichte richtig eintauche. Wenn ich das, um was es in dem Buch geht, genau vor meinen inneren Auge erkennen kann."

Schummelt er manchmal und liest nur die erste und die letzte Seite?

Bastian liest alles, was er in die Finger bekommt, auch Bücher für Erwachsene. Gerade ist es "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand". Das Buch sei ganz okay, aber längst nicht so lustig wie "Simpel", eines seiner Lieblingsbücher. Sogar Liebesromane liest Bastian, auch wenn die nicht so sehr sein Ding sind.

Genau sein Ding ist der Leseklub, der zur Buchhandlung gehört. Da machen etwa dreißig Kinder und Jugendliche zwischen acht und 20 Jahren mit. Bastian ist also einer der jüngeren. Sie dürfen sich Bücher kostenlos bei den Verlagen bestellen, treffen sich einmal im Monat in der Buchhandlung, um über das Gelesene zu sprechen. Dann schreiben sie Besprechungen für die Website der Buchhandlung - wie sie das Buch fanden, für wen es sich eignet. Dieses Jahr sitzt Bastian auch noch in der Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises. Er weiß als einer der Ersten, welches Buch gewonnen hat, darf es aber vorher nicht verraten. Offiziell wird der Preis erst nächsten Freitag bekannt gegeben.

Seine eigenen Geschichten durfte bisher noch niemand lesen

Möchte ein Bücherfan wie er später auch in dem Bereich arbeiten? Als Buchhändler oder Literaturkritiker. Bastian schüttelt den Kopf. "Ich möchte Programmierer werden. Ich entwickle jetzt schon Apps. Aber wenn der Plan nichts wird, werde ich Autor." Schließlich ist er sich sicher zu wissen, was gute Bücher ausmacht: "Sie brauchen eine innere Seele, müssen realistisch sein und Gefühle rüberbringen."

Tatsächlich hat Sebastian auch schon selbst kurze Geschichten geschrieben - zum Lesen allerdings hat er die bisher noch niemandem anvertraut.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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