Leben als Veganer:Gemüse ist sein Fleisch

Früher kochte Peter Ludik Schweinebraten mit Klößen. Heute ist er erfolgreich als einer der ersten veganen Köche Deutschlands. Aber kann das schmecken? Und ist es gesund?

Mirja Kuckuk

Die Zunge ist ein schwer zu beherrschendes Organ. Das weiß Peter Ludik aus Erfahrung. Der Koch liebte Käse. Vor allem fetten Weichkäse. Deshalb fiel es ihm besonders schwer, die Finger davon zu lassen.

Koch Peter Ludik; Kuckuk

Gemüse kann ganz schön glücklich machen: Koch Peter Ludik

(Foto: Foto: M. Kuckuk)

Doch seit sechs Jahren schafft er es: Er lebt vegan. Diese Entscheidung haben in Deutschland mittlerweile rund 600.000 Menschen getroffen. Sechs bis sieben Prozent der Deutschen ernähren sich vegetarisch, verzichten also auf Fisch und Fleisch. Etwa zehn Prozent von ihnen haben die nicht unumstrittene gänzlich tierfreie Variante gewählt.

Nachdem sich Ludik 20 Jahre zu den weniger strengen Ovo-Lacto-Vegetariern zählte, ist nun für den 55-Jährigen wirklich alles Tierische tabu - Butter, Eier, Milch. Das klingt für die meisten nach schrecklicher Askese, doch Peter Ludik ist ein Genussmensch geblieben. Im Münchner Restaurant "Saf Zerwirk", seinerzeit das erste vegane Restaurant Deutschlands, umgibt er sich mit Zutaten und Gewürzen aus aller Welt. Er serviert Lasagne, Risotto und Fernöstliches. Doch was bewegt einen Menschen -obendrein einen Koch - dazu, seine Lebensweise derart radikal umzustellen?

Nie mehr Hunger

Mit Unmengen von Fleisch hat alles angefangen. Ludik arbeitete in der Küche eines Münchner Traditionshauses - Fleisch war an der Tagesordnung. Irgendwas fiel beim Kochen immer ab. "Ich habe quasi ständig gegessen. Wenn ich am Grill stand, habe ich mir ein Stück Filet abgeschnitten", erzählt der muskulös wirkende Mann. "Ein Hungergefühl kannte ich gar nicht mehr."

Er fing an, Vegetarier heimlich zu bewundern. Wegen der "leichten" Kost und ihrer Ablehnung von Massentierhaltung. Ein erster Versuch, die Ernährung umzustellen, aber scheiterte. Vegetarier galten zu dieser Zeit noch gemeinhin als "Beilagenesser". "Ich kannte ja nur die traditionelle Küche", erzählt er. "Meine Kollegen ärgerten mich und gossen heimlich Bratensoße über mein Gemüse."

Nach einem kulinarisch relativ freudlosen Jahr wurde er rückfällig. Aber der Wille blieb. Ludik setzte sich mit der fleischlosen Küche professionell auseinander und wechselte in ein vegetarisches Restaurant.

Ein gewagter Schritt

Schnell spürte er einen Unterschied: Er fühlte sich wacher, energiegeladener. Doch obwohl er nun jahrelang auf Fleisch und Fisch verzichtet hatte, wurde ihm ein erschreckend hoher Blutdruck attestiert. "Das liegt in der Familie", sagt er. "Aber es war Grund genug, den weitaus schwereren Schritt zu wagen." Kein Camembert, kein Joghurt, kein Cappuccino mit Milch mehr.

Ernährungswissenschaftler warnen vor unüberlegtem Verzicht. "Wer sich ausschließlich pflanzlich ernährt, riskiert einen Mangel an Vitamin B12 und Vitamin D", sagt Bernhard Watzl vom Max-Rubner-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (MRI) in Karlsruhe. "Bis zu einem gewissen Grad kann die Haut durch Sonneneinstrahlung Vitamin D produzieren, aber nur rund sechs Monate im Jahr." Kritisch sei außerdem die Versorgung mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die vor allem fetter Fisch wie Lachs liefert, erklärt der Oecothrophologe.

Peter Ludik greift eher unregelmäßig zu ergänzenden Vitaminpräparaten: "Eigentlich reicht es, wenn du ein paar ungewaschene Möhren isst." Denn mikrobiell verunreinigte Lebensmittel enthalten die notwendigen Spuren von Vitamin B12, von denen der menschliche Körper nur wenig benötigt. "Der Mensch besitzt einen erstaunlichen Vitamin-B12-Speicher", bestätigt Sabine Schulz vom Ernährungswissenschaftlichen Institut der Universität Gießen. "Wer seine Ernährung auf vegan umstellt, hat Vitamin-B12-Reserven, von denen er sechs bis zehn Jahre leben kann."

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Gemüse ist sein Fleisch

Gefahr für Kinder

In seiner Familie ist Ludik der einzige Veganer. Die anderen verzichten zwar ebenfalls auf Fisch und Fleisch, aber wenn Ludiks Freundin kocht, greift sie lieber zu Sahne und Butter als zu Sojamilch und Margarine.

Riskant ist vegane Ernährung für Schwangere und Kinder. "Kinder, die ohne tierische Nährstoffe großwerden, weisen deutliche geistige und körperliche Defizite auf. Ihnen fehlen wichtige Nährstoffe zur Entwicklung des Gehirns", warnt Ernährungswissenschaftlerin Schulz. Eine Unterversorgung mit Vitamin B12 führe außerdem zu Blutarmut.

Dennoch gibt es Menschen, für die eine rein pflanzliche Kost durchaus positive Auswirkungen haben kann. Bluthochdruck kommt unter Veganern so gut wie nie vor, weiß die Oecothrophologin. Zudem ist das Grün - im Gegensatz zu Fleisch - reich an Antioxidantien, die rheumatische Entzündungen hemmen können.

Militant grün

Wer nicht gerade drängende gesundheitliche Argumente vorbringen kann, bugsiert sich allerdings mitunter ins soziale Abseits. Eine Einladung zum Essen, sei es ins Restaurant oder privat, kann zum Problem werden. Frei von tierischen Eiweißen sind die wenigsten Speisen. Wenn Ludik seine "Sonderwünsche" formulieren muss, behilft er sich oft mit der Notlüge, er sei allergisch. "Dann sind die Leute plötzlich sehr zuvorkommend und es klappt mit dem veganen Essen, selbst im herkömmlichen Restaurant."

Sehr viel strenger mit sich und vor allem ihrer Umwelt sind Veganer, die aus rein ethischer Überzeugung auf Gemüse stehen. Sie würden ein Restaurant, das Fleisch, Fisch oder Eierspeisen auf der Karte hat, gar nicht erst betreten. Auf ihren Internetforen wird schnell deutlich: Keine Toleranz gegenüber Massentierhaltung und ebenso wenig für Fleischesser. Diese "Leichenfresser" würden ohne Gewissen für Tier und Umwelt leben; selbst Honig, der gemeinhin für ein reines Naturprodukt gehalten wird, stigmatisieren die strengen Vertreter als "Bienenerbrochenes".

Mit diesen mitunter militant anmutenden Gegnern der tierischen Kost kann Peter Ludik nicht viel anfangen. Er lächelt ob deren missionarischen Eifers: "Ach, so kommen die doch nie weiter. Ich bin zwar auch gegen Massentierhaltung. Aber wer unbedingt Fleisch essen will, soll das tun."

Generell gilt die Devise: Gewusst wie. "Man sollte sich vor einer Umstellung auf vegane Kost genau informieren", sagt Wissenschaftlerin Schulz. "Denn wer weiß, dass beispielsweise grünes Gemüse besonders viel Kalzium hat und Hülsenfrüchte wichtiges Eiweiß liefern, kann sich auch vegan vollkommen bedarfsdeckend ernähren."

Peter Ludik, der sich einst mit Beilagen und Körnern quälte, ist heute Profi. "Die Leute kommen zu mir, weil sie Hunger haben. Ich habe dafür zu sorgen, dass sie auf vernünftige Weise satt werden." Frische Ravioli, gefüllte Paprika oder Sushi serviert Ludik ihnen dann. Und, so versichert er: "Mein Gulasch, natürlich aus Tofu, haben einige Gäste schon für ein original Szegediner gehalten."

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