Künstliche Aromen:Schmeckt echter als echt

Man nehme: Holzspäne, Fischabfälle, Schimmelpilze. Wie die Laboranten der Nahrungsmittelindustrie den Geschmack manipulieren.

Gottfried Knapp erklärt in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung, wie die Laboranten der Nahrungsmittelindustrie den Geschmack manipulieren. Und er analysiert, welchen Einfluss das langfristig auf das sinnliche Unterscheidungsvermögen der Konsumenten hat.

Lesen Sie hier, welche Techniken in der Lebensmittelbranche möglich und teilweise sogar üblich sind.

Heutigen Lebensmittelchemikern steht ein Alchimisten-Arsenal von mehr als 3000 gesetzlich erfassten harten Chemikalien und künstlichen Aromen, von Konservierungs-, Süß- und Trennmitteln, von Verdickungs-, Antioxidations- und Schaummitteln, von Emulgatoren und Geschmacksverstärkern und eine unüberschaubare Vielzahl an ungenügend getesteten Farbstoffen zur Verfügung, wenn sie industriell erzeugten oder manipulierten Nahrungsmitteln einen passenden Aggregatzustand, eine naturähnliche Form, eine ansprechende Farbe und einen leicht wiedererkennbaren Einheitsgeschmack verpassen wollen.

Auch die engagierteste ökologische Bewegung kann den übermächtigen Trend zu immer billigeren Fertigprodukten und zu stromlinienförmig aromatisierten Einheitsgerichten, der vom größten Werbe-Etat aller Wirtschaftszweige in Deutschland angeheizt wird, nicht aufhalten.

Ganze Generationen sind durch die synthetischen Ersatzprodukte, die mit wogenden Naturbildern angepriesen werden, in Geschmacksfragen grausam verbildet worden.

Schinkenimitat

Beim Veredeln und Umetikettieren von Schlachtabfällen hat die Industrie schon größte Meisterschaft entwickelt: Das beim Zersägen der Tiere anfallende "Separatorenfleisch" wird mit Stärkegel, Wasser und Bindegewebe zu einem Schinkenimitat verklebt, das vor allem in Fertigpizzen zum Einsatz kommt.

Analogkäse

Eines der letzten nanotechnischen Laborprodukte, das unter ehrlich erzeugte Naturprodukte gemogelt worden ist und inzwischen weltweit vermarktet wird, war der Analogkäse, der je nach Bedarf in die Geschmacksrichtungen Mozzarella, Roquefort, Gorgonzola, Parmesan, Edamer, Cheddar, Gouda, Feta oder Frischkäse umfrisiert wird. Er darf dort, wo er verkauft wird, oder - weil er fast beliebig erhitzbar ist - Gebackenes wie Pizzen und Käsestangen krönt, nur noch als "Käseersatz" bezeichnet werden, da er nicht aus Milch hergestellt wurde, sondern aus Pflanzenfett, synthetischem Milcheiweiß, Stärke und Schmelzsalzen. Erst die diversen Käsearomen, die exakt nach den jeweiligen Molekülmustern aus geradezu absurd fremden Stoffen zusammengemixt wurden, machen aus der Kreation etwas Käseähnliches.

Was nach Pfirsich schmeckt, muss nicht Pfirsich sein

Fruchtgeschmack

Und so sieht es fast überall aus: Der penetrante Himbeergeschmack etwa, mit dem man gefärbte und gesüßte Joghurts "naturalisiert", wird nicht aus den abgebildeten Himbeeren, sondern aus den Spänen der Zeder gewonnen. Vanillearoma, das fast alle Kindernahrungsmittel und Süßspeisen mit einem gefälligen, süchtig machenden Einheitswohlgeschmack versieht, wird aus Holzabfällen der Papierindustrie hergestellt. Beim Erdbeeraroma kann man schon froh sein, wenn es mal nicht mit Holzspänen, sondern mit Tomaten simuliert wird. Um Pfirsich zu suggerieren, aber auch um die in Lebensmitteln vielfältig eingesetzte, auch als Entkalker bewährte Zitronensäure zu erzeugen, vergreifen sich die Aromazauberer gar an Schimmelpilzkulturen. Und den Meeresfrüchtegeschmack für mehrfach schockbehandeltes, um jeglichen Geschmack betrogenes Meermaterial leihen sie sich von Fischabfällen.

Rindfleischsuppe

In einer Rindfleischsuppe aus der Tüte muss heute kein Rindfleisch mehr drin sein; es genügt, wenn der Erzeuger Aminosäuren mit Zucker erhitzt und zu einer braunen Substanz ummodelt, in der dann die Pyrazine Röstaromen suggerieren. Viele Käufer, die mit aromatisierten Fertigprodukten aufgewachsen sind, also nie eine aus Fleisch und Knochen gekochte gehaltvolle Rinderbrühe genossen haben, werden das fleischfreie Laborprodukt bei einem Blindtest wahrscheinlich sogar für angenehmer und echter im Geschmack halten als eine konventionell erzeugte Suppe.

Lesen Sie dazu die ausführliche Analyse "Arrivederci, Aroma!" von Gottfried Knapp in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung. Hier können Sie die SZ unverbindlich testen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: