Konsumwahn:Die Kunst des Einkaufens

Shopping als Sehnsucht nach Veränderung - die Autorin Sophie Kinsella über Konsum und die Heldin ihres Romans "Die Schnäppchenjägerin".

Kristin Rübesamen

Sophie Kinsella, geboren 1969 in London, begann ihre Schriftstellerkarriere mit 24 Jahren unter ihrem echten Namen Madeleine Wickham. Erst als Sophie Kinsella wurde sie zur Weltbestseller-Autorin, der heute mehr als 15 Millionen Leser in 35 Ländern treu sind. In der von Disney und dem Hollywood-Produzenten Jerry Bruckheimer verfilmten Version "Die Schnäppchenjägerin" (deutscher Filmstart: 12. März) wurde die Handlung von London nach New York verlegt - dort, wo die Kreditkrise schließlich auch zu allererst zuschlug. Sophie Kinsella lebt in Hertfordshire mit ihrem Ehemann, einem Schuldirektor, und ihren drei Söhnen.

Sophie Kinsella

Das ist die Autorin Sophie Kinsella. Ihre Lieblingsfrage: "Was tragen Sie heute?"

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SZ: Guten Tag, Mrs. Kinsella.

Sophie Kinsella: Sie haben da aber eine schöne Totenkopf-Kette um den Hals!

SZ: Sie war eines dieser Selbst-Aufmunterungsgeschenke. Sie erinnert an die Sterblichkeit. Und - sie war reduziert.

Kinsella: Das sind schon drei Entschuldigungen. Fehlt nur noch, dass Sie mir das Ding als gute Investition verkaufen wollen.

SZ: Ich fürchte, es ist kein Gold. Dafür habe ich Ihr Buch zum halben Preis am Bahnhof bekommen. Ich habe natürlich zwei gekauft. Man braucht ja immer ein nettes Geschenk!

Kinsella: Was haben Sie noch gekauft?

SZ: Eine Packung Kaugummi, beziehungsweise drei, weil sie im Angebot waren, und eine Flasche Cola.

Kinsella: Sehen Sie, Rebecca Bloomwood hätte zusätzlich noch Feuchtigkeitscreme, ein Badeöl, ein Eier-Sandwich und zwei Strickjacken gekauft.

SZ: Rebecca ist die Heldin Ihres Romans "Die Schnäppchenjägerin", mit dem Sie einen Weltbestseller gelandet haben.

Kinsella: Ich habe einfach eines dieser typischen Londoner Mädchen beschrieben, die gerne einkaufen und dabei übers Ziel hinausschießen. Ich hatte keine Ahnung, dass ich einen Nerv treffen würde. Noch während ich das Buch schrieb, dachte ich: Und wen bitte soll das jetzt interessieren?

SZ: Ihre Rebecca ist mit mehreren Tausend Pfund in den Miesen. Ihre Kreditkarte wird eingezogen, sie verliert ihre Freunde und muss sich bei ihren Eltern verstecken, die sie anschwindelt. Berichten Sie da aus eigener Erfahrung?

Kinsella: Ich habe immer gerne eingekauft, genau wie meine Schwester und meine Freundinnen, aber ich hatte mein Dispo unter Kontrolle. Mir ist damals schon aufgefallen, dass dieselben Banken, die einem neue Kreditkarten andrehen wollen, ungemütlich werden, wenn man seine offenen Rechnungen nicht bezahlt. Trotzdem haben wir wie verrückt eingekauft damals, wir alle - und das hat sich so gesteigert in den letzten Jahren, bis schließlich alles zusammengebrochen ist.

SZ: Amerikaner besaßen bereits im Jahr 2000 durchschnittlich neun Kreditkarten pro Kopf. Wie viele hatten Sie?

Kinsella: Nur zwei, aber dafür jede Menge Kundenkarten für Kaufhäuser wie Harrods. Ich fand es völlig einleuchtend und auch so wunderbar familiär, für jedes meiner Lieblingsgeschäfte eine entsprechende Karte zu haben. Bis es zu einem Betrug auf einer dieser Karten kam, und mein Mann mich zwang, alle Kundenkarten zu zerschneiden.

SZ: Der Finanzökonom Paul Krugman, der im vorigen Jahr den Nobelpreis bekommen hat, empfiehlt gerade allen, einkaufen zu gehen. Auf einmal ist Shopping ein wichtiges Thema.

Kinsella: Endlich.

SZ: Trotzdem sprechen alle von der Gier, die uns die letzten Jahre im Würgegriff hatte, und von der Zurückhaltung, in der wir uns nun üben sollten. Nichts für Menschen wie Rebecca, oder?

Kinsella: Stimmt doch gar nicht. Sie nimmt sich sehr wohl zurück, vielleicht nicht gerade aus freien Stücken. . .

SZ: . . . sondern weil sie ein Schuldeneintreiber verfolgt. Sie friert ihre Kreditkarte in einen Eisblock ein.

Kinsella: Den sie dann wieder zerschlägt und so lange föhnt, bis sie die Kreditkarte schließlich freibekommt. Wie man spart, indem man kauft ... nächste Seite

Die Kunst des Einkaufens

SZ: Ginge es nach Rebecca, wäre die Nachfrage jedenfalls nicht gesunken. Sie steht auf Seiten des gerade wieder sehr in Mode kommenden britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der Anfang der siebziger Jahre eine Steigerung der Staatsausgaben verschrieb, um die Konjunktur zu stimulieren. Und schon ist der Rezessionseinkauf geboren.

Kinsella: Das Schöne am Sparen ist ja, dass man erst mal ein paar dringende Anschaffungen machen muss, um kein Geld auszugeben: eine elektrische Kaffeemühle. Eine schicke Aluminiumflasche, in der man seinen Kaffee ins Büro trägt. Ein Kochbuch, um sich das Essengehen zu sparen. Eine Jahreskarte fürs Museum. . .

SZ: Nur dass Rebecca bei einem Schlenker zum Museumsshop bereits im großen Stil ihre Weihnachtseinkäufe erledigt, und zwar im März. Ist das ein Ersatzbefriedigungskauf?

Kinsella: Nein, ein Ersatzbefriedigungskauf ist, wenn du in ein elegantes Kaufhaus gehst, dich beschwingt durch die Räume treiben lässt und schließlich statt des Chanel-Hosenanzugs nur einen Lippenstift von Chanel kaufst.

SZ: Ein Freund wohnt über dem Laden von Salvatore Ferragamo in der Münchner Maximilianstraße. Als das Geschäft seine Kunden zu einer Weihnachtsfeier einlud, wollte dieser Freund sich das Mittagessen sparen und stattdessen schnell ein paar Häppchen im Laden abgreifen. Zurück ins Büro kam er allerdings mit einem weißen Oberhemd für 180 Euro.

Kinsella: Wie gut ich das nachvollziehen kann! Genau das könnte mir passieren.

SZ: Rebecca ist recht erfinderisch, wenn sie eine Entschuldigung dafür sucht, ihre Schulden nicht bezahlen zu können: Sie bricht sich das Bein, ihre Tante stirbt, sie schickt Schecks ohne Unterschrift oder datiert sie auf das Jahr 2200 und bezeichnet ihren Bankmanager als Ex-Freund, der sie belästigt. Wie ist Ihre Beziehung zu Ihrem Bankmanager?

Kinsella: Oh, die ist herzlich. Ich gehe mittlerweile sehr vorsichtig mit meinem Geld um.

SZ: Was war Ihr schlimmster Ausrutscher?

Kinsella: Ein paar Sandalen mit Strasssteinen und silbernen Bändern bis zum Knie. Sie haben einen dicken schwarzen Absatz mit einem Loch mitten drin. Es sind plumpe Nuttenschuhe. Sie waren zwar reduziert, kosteten aber immer noch über hundert Pfund. Teuer, wenn man sie danach kein einziges Mal trägt. Ich dachte natürlich, die kommen zum Einsatz, wenn ich ausgehe. Nun muss man wissen, dass ich drei Kinder habe und wirklich nicht mehr so oft ausgehe, und wenn, dann nicht in diesen Sandalen. Das sind meine Schuhe der Schande.

SZ: War das schon alles?

Kinsella: Ich habe natürlich jede Menge anderer Schuhe, die ich noch nie getragen habe, aber ich bin optimistisch, dass sich noch eine Gelegenheit bietet. Für die Nuttenschuhe aber lässt sich einfach keine Entschuldigung finden.

SZ: Bevor wir in die Tiefen der Kaufsucht einsteigen - gibt es so etwas wie eine Kunst des Einkaufens?

Kinsella: Absolut. Sie fängt bereits zu Hause an. Du musst dich gut in deiner Haut fühlen, das Richtige anziehen. Dann solltest du dich mit einer Freundin verabreden. Und nur losziehen, wenn die Laune bombig ist. Dann stehen die Chancen für einen guten Tag nicht schlecht.

SZ: Ist das Dauer-Einkaufen denn nicht eine Kompensation für den Minderwertigkeitskomplex, unter dem wir heute alle leiden?

Kinsella: Ach Gott, Shopping ist doch nichts Schlimmes. Im Gegenteil, es kann geradezu feierliche Züge annehmen, Verbindung schaffen, eben, wenn zwei Freundinnen zusammen einkaufen gehen. Es kann aufmuntern wie eine Tasse Kaffee, oder ein Fußballspiel für Männer. Es macht Spaß und hält das Rad der Wirtschaft am Laufen.

SZ: Das Gefühl, sich alles leisten zu können, hat die Volkswirtschaft Großbritanniens in eine Katastrophe getrieben. Die Arbeitslosigkeit steigt gerade doppelt so schnell wie im Rest Europas. Alle sieben Minuten verliert zur Zeit ein Brite sein Haus, weil er die Raten für seine Kredite nicht mehr zahlen kann.

Kinsella: Es gibt ein breites Spektrum unter den Schnäppchenjägern. Da gibt es die, die wirklich ihr Leben ruiniert haben, weil sie zu viel ausgegeben haben. Und es gibt die ganz normalen Mädchen. Die sitzen in einem Café und wenn du sie fragst: Seid ihr Schnäppchenjäger? geben sie Antwort und sagen: logisch.

Was steckt hinter der Lust, einkaufen zu gehen? Fortsetzung nächste Seite ...

Die Kunst des Einkaufens

SZ: Was steckt hinter dieser Lust, einkaufen zu gehen?

Kinsella: Die Sehnsucht nach Veränderung. Schöne Kleider können dich verändern. Das richtige Make-up kann dich verändern.

SZ: Wir in Deutschland glauben ja eher an die inneren Werte.

Kinsella: Aber dabei geht es doch gerade um Emotionen. Die Menschen hatten schon immer die Sehnsucht danach, sich zu verändern. In jeder Gesellschaft gibt es einen Spielraum, sich zu verwandeln. Jede Kultur dekoriert sich mit den Mitteln, die sie zur Verfügung hat. In der Geschichte der Menschheit waren sogar immer die Männer mehr darauf bedacht, gut auszusehen, und scheuten dafür keine Kosten.

SZ: Das hat gefühlsmäßig in den letzten Jahren wieder zugenommen. Jeder von uns kennt einen Mann, der so viele Anzüge besitzt, dass er zwei Doppelleben führen müsste, um sie alle zu tragen.

Kinsella: Auch Männer wollen, dass sich ihr Leben ändert. Egal ob Mann oder Frau, es passiert immer dasselbe im Kopf: Wenn ich nur dieses einzigartige Cape hätte, dieses gemütliche Sofa, diesen hübsch plissierten Bademantel, denken wir uns - dann, mein Gott, wird mein Leben sich ändern. Obwohl ich weiß, dass das verrückt ist, ertappe ich auch ich mich immer noch bei diesem Gedanken. Denken Sie nur an das richtige Paar Jeans!

SZ: Ich fürchte, die SZ-Leser werden das oberflächlich finden.

Kinsella: Sagen Sie ihnen, dass es schon immer so war. Ihre Leser brauchen nur einen Roman von Jane Austen aufzuschlagen...

SZ: . . . die Sie, wie alle Chicklit-Autorinnen, als Ihr literarisches Vorbild nennen...

Kinsella: . . . und Sie werden feststellen, dass es seitenweise nur darum geht, die richtigen Hutbänder zu finden.

SZ: Jane Austen ließ sich manchmal sogar auf ihren Einkaufstouren in London von einer Kutsche begleiten. Schon damals kaufte man das meiste auf Pump. Wie genau beginnt die Abhängigkeit?

Kinsella: Bei diesem Brausen zwischen den Ohren, sobald man einen Laden betritt, dem leichten Schwindelgefühl beim Anblick der schön zusammengelegten Pullover, des glänzenden Bodens, der gespitzten Bleistifte und kleinen Notizblöcke im Leopardenmuster, dem höflichen Nicken der Angestellten, dem Rausch, der einen alles vergessen lässt.

SZ: Was geschieht in der Sekunde, nachdem die Kreditkarte durchgezogen wurde?

Kinsella: Für viele Menschen hält das High erst mal an. Sie gehen nach Hause, ziehen diese niedlichen neuen Dinge an und fühlen sich himmlisch.

SZ: Für andere beginnt bereits in der S-Bahn beim Anblick ihrer glänzenden Einkaufstüten der Kater.

Kinsella: Es ist wie bei Bulimie, die Art, wie sich dann Reue und Schuldgefühl einstellen können. Vor allem, wenn man zu viel ausgegeben hat.

SZ: Welche Therapie braucht denn ein Kaufsüchtiger?

Kinsella: Ich bin keine Psychologin. Ich denke, man muss wie bei jeder Sucht eine klare Entscheidung fällen. Und die gibt es in der Regel erst, wenn der Selbsthass groß genug ist.

SZ: Da wir alle einkaufen müssen, gehören wir auch alle zur Risikogruppe. Welche Vorsichtsmaßnahmen funktionieren nach Ihrer Erfahrung?

Kinsella: Man wird sehr leicht Gefangene dieses Kaufrausches. Machen Sie zwischendurch mal eine Pause und trinken Sie eine Tasse Kaffee. Schon eine halbe Stunde Auszeit genügt oft, um Sie zur Ruhe zu bringen.

SZ: Es muss doch noch andere Tricks geben, um weniger Geld auszugeben. Was ist mit Flohmarkt?

Kinsella: Besonders schlimm, weil man da ja noch den frierenden Verkäufern einen Gefallen tun möchte. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen. Es gibt immer einen Grund, Geld auszugeben.

SZ:England hat die größte Pro-Kopf-Verschuldung der Privathaushalte von Europa.

Kinsella: Oh, das wusste ich gar nicht. Aber es wundert mich auch nicht.

SZ: Sie waren als junge Frau, wie Ihre Heldin, Journalistin bei einem Anlegermagazin und beschreiben die Finanzwelt sehr lustig, voller Großmäuler und Ignoranten. Waren Sie auch eines von beiden?

Kinsella: Auf jeden Fall. Es gab Pressekonferenzen, wo ich nur blasiert nickte, auf meinem Notizblock herummalte und keine Ahnung hatte, wovon die Rede war. Ich dachte damals, ach - das kopiere ich hinterher aus dem Pressematerial. Aber so ein Verhalten wurde in unserer Branche auch gefördert. Wenn wir fünf Seiten Werbung von einer bestimmten Bank bekamen, schrieb ich eben einen fünfseitigen Artikel über diese Bank. Ich füllte sozusagen den Platz zwischen den Anzeigen. Aber wenigstens fühlte ich mich dabei immer wie eine Betrügerin.

SZ: Ist die Rezession die überfällige Therapie für alle, die so gedacht haben? Oder die das Einkaufen in den Ruin getrieben hat?

Kinsella: Eine Korrektur unserer Denkweise ist sie auf jeden Fall. Die Leute werden sich nun daran erinnern müssen, dass eine Handtasche nicht glücklich macht.

SZ: Welche Rolle spielt in unserem heutigen Denken die Frage nach den Bedingungen der Kleiderproduktion - der Zusammenhang zwischen Kinderarbeit in der Dritten Welt, Massenware und der steigenden Arbeitslosigkeit im Westen?

Kinsella: Der Unterschied von Jane Austen und unserer Welt besteht darin, dass man früher seine Kleider selber machte, weil es zu teuer war, sie zu kaufen. Heute ist es zu teuer, sie selber zu machen, also kauft man ständig billige Kleider. Ich versuche, nicht in die billigsten Läden zu gehen.

SZ: In Notting Hill verstecken die Frauen jetzt ihre teuren Schnäppchen in alten Stoffbeuteln, weil es unschick ist, mit neuen Einkaufstüten gesehen zu werden.

Kinsella: Auf meinem Beutel steht: Keep calm and carry on shopping. Behalte die Nerven und kaufe weiter ein.

SZ: Teure Bioskosmetik, Fairtrade-Produkte, Kaschmir, der angeblich drei Generationen hält - was hat sich in der letzten Zeit noch geändert an unseren Vorlieben?

Kinsella: Wenig. Wir werden nicht aufhören, einzukaufen, wir tun es nur anders. Mit angezogener Bremse und leichter Kursänderung.

SZ: Was tragen Sie heute?

Kinsella: Endlich, meine Lieblingsfrage. Schuhe: von Miu Miu. Hose: Paul Smith. Bluse: L.K. Bennett. Bolerojäckchen - Moment, an das Label kann ich mich nicht erinnern, ich dachte, es sei etwas anderes, seltsam. . .

SZ: Wie viel wird das alles zusammen wert sein: 700, 800 Pfund?

Kinsella: Das könnte gut hinkommen.

SZ:Sie können es später ja immer noch Ihren Kindern vererben.

Kinsella:Ich habe drei Jungs.

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