Ein Bild und seine Geschichte:Revolution am Bettrand

Thomas Hesterberg machte 1967 das legendäre Foto der Kommune 1, auf dem die Bewohner ihre nackten Hintern der Kamera entgegenstrecken. Tatsächlich ging es in der Wohngemeinschaft gar nicht so freizügig zu.

Von Christian Mayer

Ein Bild und seine Geschichte

SZ.de zeigt in loser Folge jeweils ein besonderes Foto oder eine besondere Abbildung. Hinter manchen Aufnahmen und Bildern steckt eine konkrete Geschichte, andere stehen exemplarisch für historische Begebenheiten und Zeitumstände. Übersicht der bisher erschienenen Texte

Revolutionäre sind oft sehr ernste Leute, und wenn sie Spaß haben, dann dient das auch einem Zweck. Aber es hat ja auch noch keiner behauptet, dass es in der Kommune 1 lustig zuging - am wenigsten die Beteiligten selbst. Enorm anstrengend muss dieses Gesellschaftsexperiment gewesen sein, ein Leben ohne bürgerliche Zwänge, aber dafür mit zahlreichen Verpflichtungen.

Das Wohnprojekt sollte ein Statement sein gegen deutsche Spießigkeit, gegen den bürgerlichen Mief mit seinen tradierten Moralvorstellungen von Ehe und Familie.

In einer Dachwohnung in der Niedstraße in Berlin-Friedenau wollten die Kommunarden das Experiment zum Erfolg führen, vor allem aber wollten sie dem Land, das ihnen zunehmend fremd war, den nackten Arsch entgegenstrecken: Ihr könnt uns alle mal.

Fünfzig Jahre ist das nun her. Und das Bild der Nacktaktion dient immer noch als Beweis für die angebliche Freizügigkeit der Kommune 1. Da stehen sie mit erhobenen Händen wie beim Polizeifoto an der Wand.

Vier Männer und drei Frauen, ein kleiner Junge schaut als Einziger in die Kamera. Und einer fehlt: Fritz Teufel, der bei der Aufnahme gerade in Untersuchungshaft saß, weil er während der Proteste gegen den Besuch des persischen Schahs in Berlin mit Steinen geworfen haben soll - an jenem schicksalhaften Tag, an dem der Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg mit einem Schuss aus der Dienstwaffe in den Hinterkopf tötete.

Das Foto vom Juni 1967 von Thomas Hesterberg zählt zu den ikonischen Darstellungen der deutschen Zeitgeschichte. Es steht für die Protestbewegung, für den Widerstand einer jungen, wütenden Generation, die sich damals am Kampf gegen das Establishment aufrieb, und für eine Haltung, in der das Private immer auch politisch sein sollte.

Eigentlich müsste es längst verblichen sein, so oft ist es aus dem Archiv hervorgezerrt worden. Im autobiografischen Bericht von Ulrich Enzensberger "Die Jahre der Kommune I" kann man übrigens nachlesen, wo das Bild erstmals publiziert wurde: Es diente als Umschlagfoto für eine rasch zusammengeheftete Broschüre, mit der die Bewohner der Kommune gegen die wachsende Polizeigewalt und gegen die Stimmungsmache der Boulevardzeitungen aufbegehrten.

Über die Mitglieder der Kommune 1, zu denen später auch die schöne Münchnerin Uschi Obermaier zählte, ist unendlich viel geschrieben worden, was sicher auch am hohen Mitteilungsdrang der beteiligten Personen liegt. Nur eines ist bisher eher unbekannt: Wer war der Fotograf, der Deutschlands umstrittenster Wohngemeinschaft zu frühem Ruhm verhalf?

Thomas Hesterberg kann leider nicht mehr Auskunft geben, wie es damals war, als Besucher bei den Kommunarden. Auch seine Frau Lisa Rheingans kennt die Hintergründe nur aus den Erzählungen ihres 2011 verstorbenen Mannes. "Die Zeitschrift Quick wollte das Foto damals unbedingt drucken, es gab da ein richtiges Wettrennen. Schließlich hat es der Spiegel als Erstes gedruckt", erzählt sie.

Der Fotograf war einfach immer dabei in diesem bewegenden Sommer

Hesterberg war kein Pressefotograf, auch wenn Zeitungen manchmal ein Bild von ihm kauften, aber er war einfach immer dabei, in diesem bewegten Sommer. Man spürt die Nähe zu den Akteuren, die der damals 30-jährige Berliner bei seinen Streifzügen durch seine geteilte Stadt begleitete, als eine Art Chronist der Protestbewegung. "Er konnte einfach sehr gut mit Leuten umgehen, und die haben ihm dann vertraut", erzählt Lisa Rheingans.

Thomas Hesterberg, 1968

Hesterberg war kein klassischer Pressefotograf, aber immer dort, wo etwas los war. Hier fotografiert er sich selbst mit seiner zweiäugigen Rollei Magic- Kamera in einem Spiegel.

(Foto: Thomas Hesterberg/SZ Photo)

Hesterberg stammte aus einer Künstlerfamilie: Sein Vater war Kunstmaler und seine Tante, Trude Hesterberg, schon in der Weimarer Republik eine berühmte Schauspielerin und Sängerin.

Nach dem Krieg besuchte Thomas Hesterberg das Internat Burg Nordeck in Hessen, ging mit 16 mit einem Austauschstipendium in die USA und anschließend nach München, wo er Kontakt zu Schriftstellern, Theaterleuten, bildenden Künstlern und Musikern pflegte.

Ein unstetes Leben, immer auf der Suche nach neuen künstlerischen Anregungen: "So ging es dann weiter", schreibt Hesterberg in einer biografischen Skizze, "mit Ausbrüchen und Aussetzern, mit Abschweifungen und Ausschweifungen und längeren Tramp-Fahrten, da war man schon mal Tellerwäscher in Stockholm, war Fremdenführer in Istanbul oder Paris, so wie viel früher mal Kupferstichkolorist in Wien und viel später mal Hausmeister in Tanger..."

Die Revolutionäre sehen erschöpft und desillusioniert aus

Den Kommunarden Dieter Kunzelmann hatte Hesterberg, wie er schreibt, bereits Anfang der Sechzigerjahre in München kennengelernt.

Man traf sich bei der Künstlergruppe Spur und bei der Situationistischen Internationalen, die mit ihren subversiven Flugblättern und Happenings Aufsehen erregten, weil sie die Abschaffung der Lohnarbeit und sämtlicher Hierarchien forderten.

In West-Berlin gab es dann im Sommer 1967 ein Wiedersehen. Neben Fritz Teufel war Kunzelmann die bekannteste Figur der Kommune 1, ein linker Politaktivist mit wirrem Bart und schütterem roten Haupthaar, der seine Rolle als Chefprovokateur mit Inbrunst spielte, bevor er sich dann mit der militanten Gruppe Tupamaros West-Berlin immer mehr dem Terror zuwandte.

Hesterbergs Fotos sind in der Zeit vor dem radikalen Abdriften entstanden, so auch das legendäre Nacktbild. Beim Betrachten der spontanen Aufnahmen kann man wie bei einem Daumenkino ungefähr ahnen, was sich in der Hausgemeinschaft abgespielt haben mag.

Ein Foto zeigt Dorothea Ridder auf dem Bett sitzend, sie zieht sich gerade an, während ihr Mitbewohner Rainer Langhans sehr konzentriert seinen Pulli in Form bringt. So richtig erfreut scheinen beide nicht zu sein, die Szene hat etwas Verklemmtes und widerspricht damit allen Fantasievorstellungen, die sich die Republik von der angeblichen Sex-WG machte.

Gertrud Hemmer wiederum wirkt fast schon verloren, als sie sich nackt, aber schon mit den Kleidern in der Hand auf die große Flügeltür zubewegt. Auf dem Foto sieht man sie von hinten neben einem Kachelofen und einem Waschbecken. Hesterberg machte die Aufnahmen in der Kaiser-FriedrichStraße 54a am Stuttgarter Platz, wo die Kommune, die mehrmals umzog, die meiste Zeit lebte.

Insgesamt sehen die Revolutionäre erschöpft und desillusioniert aus. Der Nähe-Terror hat offenbar seine Spuren hinterlassen. Auf einem weiteren Foto sieht man dann die Protagonisten gemeinsam auf einem Bett sitzend: Rainer Langhans widmet sich seiner Zeitung, Gertrud Hemmer hält eine Zigarette in der Rechten und ihren Sohn Nessim auf dem Schoß, während Volker Gebbert und Dieter Kunzelmann einen sehr unbeteiligten Eindruck machen.

Klar, dass solche Bilder die Häme der journalistischen Hausbesucher weiter befeuerten.

"Kaum Nacktes außer Glühbirnen"

Gerne lästerte der Spiegel damals darüber, dass in der Kommune 1 auch die Männer Windeln wechseln und Hausarbeiten machen mussten und dass die Spaßguerilla vor allem am selbstproduzierten Überdruss leide. Zwar gebe es in der WG keinen Privatbesitz, aber auch "kaum Nacktes außer Glühbirnen".

Der Fotograf Thomas Hesterberg bleibt nicht allzu lange in dieser WG. Es treibt ihn wieder hinaus, in die Freiheit, auf die Straße, wo er Fotos von den Demonstrationen macht, die auf den gewaltsamen Tod Benno Ohnesorgs und auf die Verhaftung von Fritz Teufel folgen.

Die aufgeheizte Stimmung in West-Berlin, der Kampf zwischen der Staatsgewalt und der Protestbewegung - das ist sein Thema in dieser Zeit. Wenn er nicht einfach nur mit Rudi Dutschke zum Einkaufen geht. Auch Revolutionäre müssen ja manchmal etwas essen.

Süddeutsche Zeitung Photo, das Bildarchiv der SZ, erschließt und betreut die weitgehend noch unveröffentlichten Fotos von Thomas Hesterberg, die 1967/68 entstanden sind.

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