Kolumne:Männer aktuell, diesmal: Ralle

Kolumne: Sie sind verblüffend, sie sind rührend, sie sind überall: In ihrer Kolumne beschäftigt sich Johanna Adorján mit Männern.

Sie sind verblüffend, sie sind rührend, sie sind überall: In ihrer Kolumne beschäftigt sich Johanna Adorján mit Männern.

(Foto: imago (M))

Von Leuten, die sich Ralle nennen, wird unsere Autorin neuerdings genderspezifisch angesprochen: "Hast du mal eine kleine Spende - oder wenigstens ein Lächeln?" Sie fragt sich: Warum sollte man als Frau ständig lächeln?

Von Johanna Adorján

Jeden Tag laufe ich mehrmals über eine Brücke, die sich Punks zum Versammlungsort auserkoren haben. Sie sitzen in wechselnder Gruppierung in der Mitte auf zusammengefalteten Kartons oder Zeitungen, meistens haben sie mindestens einen Hund dabei, den sie bedingungslos kraulen, während sie jede Person anreden, die vorbeikommt. Und zwar bei jedem Vorbeikommen wieder, egal, ob man vor einer Minute erst an ihnen vorbeigelaufen war und nun aus der anderen Richtung wiederkommt. Ein besonders gutes Gesichtsgedächtnis scheinen sie nicht zu haben, vielleicht tragen sie ja deshalb alle so ausgefallen kolorierte Stachel-Frisuren, damit sie sich wenigstens untereinander an irgendetwas wiedererkennen können.

Ich gebe ihnen nie Geld, aus der kleinmütigen Sorge heraus, wenn ich es einmal täte, müsste ich es von da an immer tun. Sie sind gar nicht unfreundlich, aber es fühlt sich trotzdem jedes Mal wie ein Spießrutenlauf an, gleich wieder an einer Gruppe Sitzender vorbeizumüssen, die einen unter Garantie ansprechen werden. Allerdings haben sie seit Kurzem eine neue Methode. War es früher einfach und direkt "eine kleine Spende", nach der sie fragten, ist nun eine genderspezifische Variante hinzugekommen. Frauen, zum Beispiel ich also, bekommen eine Alternative angeboten: "Hast du mal eine kleine Spende - oder wenigstens ein Lächeln?", heißt es jetzt für uns, während Männer weiterhin mit unkommentiertem ernsten Gesichtsausdruck vorbeikommen.

Warum soll man als Frau ständig lächeln? Und warum sollen Männer das nicht tun?

Geld oder Lächeln, das also ist meine kleine Wahl. Klar, man kann das bestimmt süß finden oder sogar charmant. Man kann es, wenn man vielleicht eh schon wegen anderer Sachen geladen ist und es einem gerade noch gefehlt hatte, sich von Leuten, die sich Ralle nennen, sehr klischeebehaftet auf sein Geschlecht reduzieren zu lassen, aber auch ziemlich daneben finden. Ich meine, warum soll man als Frau ständig lächeln? Beziehungsweise warum sollen Männer das nicht tun? Und wie soll eine lächelnde Frau denn genug Geld verdienen, um es Männern mit Hunden zu geben, die nicht lächeln, aber offensichtlich auch nicht arbeiten. Man weiß doch, dass lächelnden Frauen gerade in Gehaltsverhandlungen ziemlich viel abgeschlagen wird. Und wäre es nicht noch viel charmanter, wenn der Mann, der das Geld einer Frau will, sie anlächeln würde, anstatt ihr flapsig diese gönnerhafte Pseudowahl anzubieten, nach der sie echt nicht gefragt hat?

Was diese, ich sage jetzt mal: Herumsitzer nämlich zum Beispiel nie machen, ist etwa aufzuspringen, wenn eine Frau mit Kinderwagen an ihnen vorbeikommt, um eventuell anzubieten, ihr dabei zu helfen, den Wagen die Stufen herunter- oder zur S-Bahn hinaufzutragen. Nie.

Um politisch ja nicht inkorrekt zu sein, habe ich jetzt doch kurz nach Synonymen geguckt, also nicht wundern, wenn ich den nächsten Punk als Stromer, Tramp, Vagabund, Habenichts, Landstreicher, Gammler, Pennbruder, Tippelbruder, Walzbruder, heimatlosen Gesellen oder Clochard bezeichne, ja, warum nicht Clochard. Neulich also habe ich einem Clochard Geld gegeben. Vielleicht aus Dankbarkeit, weil ich gar nicht lächeln sollte. Vielleicht aber auch, weil er mich mit seinem "Ey, haste mal 'ne Mark für die Reichstagssprengung?" zum Lachen gebracht hat.

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