Kolumne:Männer aktuell, diesmal: Adolf

Kolumne: Er war ein Berliner: Adolf Zadek.

Er war ein Berliner: Adolf Zadek.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Unsere Kolumnistin würde gerne wissen, wer der Mensch war, der mal in ihrem Haus wohnte, als in Berlin überall "Sieg Heil"-Rufe zu hören waren. Auf den Spuren von Adolf Zadek, der 1943 nach Auschwitz kam.

Von Johanna Adorján

Ich weiß nicht, wie er ausgesehen hat, welchen Beruf er hatte, ob er jemanden liebte, zurückgeliebt wurde. Ich weiß nicht, was er gerne aß, welche Zeitung er las oder wo er seine Ferien verbrachte. Vielleicht war er ein schrecklicher Griesgram, dem man besser aus dem Weg ging, vielleicht aber auch ein großer Charmeur. Die wenigen Dinge, die ich über ihn weiß: Wie er hieß, wann und wo er geboren wurde, seine letzte Adresse, die heute meine ist, und das Datum seiner Deportation.

Die Gestapo kam vermutlich mitten in der Nacht, nahm ihn mit, brachte ihn erst in ein Sammellager, von dort aus dann zum Güterbahnhof Putlitzstraße in Berlin-Moabit, wo man ihn in einen Viehwaggon sperrte, der schließlich von Gleis 69 aus in Richtung Osten fuhr, Richtung Tod.

Seit drei Jahren erinnert eine kleine, vor meinem Haus ins Kopfsteinpflaster eingelassene Messingtafel an ihn: Adolf Zadek, geboren am 7. April 1889 in Hohensalza (heute Inowrocław), deportiert am 12. März 1943 nach Auschwitz.

Ob er versucht hatte, das Land zu verlassen, als es noch möglich war?

Von meinem Wohnzimmer aus konnte ich vergangenes Jahr, es war Sommer, die Fenster standen offen, "Sieg Heil"-Rufe hören. Es war eine dieser unsäglichen "Merkel muss weg"-Demonstrationen, die mal wieder durch die Berliner Innenstadt führten, und als ich wenige Minuten später vor Ort war, um den Menschen, die 2016 "Sieg Heil" riefen, ins Gesicht zu sehen, waren alle Straßen um sie herum so felsenfest abgeriegelt, dass ich nur die gleichmütigen Gesichter der Berliner Polizistinnen und Polizisten sah, die die Demonstration schützten wie an anderen Tagen den Marathon der Inlineskater oder das Laternenfest der Kita.

Auch Adolf Zadek wird von seiner Wohnung aus, die vielleicht heute meine ist, vielleicht die eines Nachbarn, "Sieg Heil"-Rufe gehört haben, der Reichstag ist nah. Ob er versucht hatte, das Land zu verlassen, als es noch möglich gewesen war? Vielleicht hatte er nicht genug Geld, vielleicht gab es jemanden, den er pflegen musste, vielleicht war er selbst nicht gesund? 1943 jedenfalls konnte er nicht mehr zu denen gehören, die blieben, weil sie glaubten, es sei alles halb so schlimm. 1943 war es dafür viel zu spät.

Ich gebe zu, dass sein Vorname mich anfangs störte. Auf den anderen Stolpersteinen in meiner Straße stehen nettere Namen, Max Mosche, Hermann, Bianka, Minna, Nelly Henriette, Edith und Klara. Die beiden Letzteren wohnten die Straße etwas weiter herunter in benachbarten Häusern, sie waren gleich alt, beide 19, ermordet wurden beide in Riga. Alle waren sie mir sympathischer als Adolf, allein seines Namens wegen, für den er natürlich nichts konnte, und obwohl ich wusste, wie absurd das ist. Adolf hießen damals einfach viele. Und übrigens hätte Adolf Hitler noch eher nach Adolf Zadek heißen können als andersherum, denn der aus meinem Haus war älter, zwar nur 13 Tage, aber immerhin. Sie wohnten übrigens nicht weit voneinander entfernt, die beiden gleich alten Adolfs, zur Wilhelmstraße sind es zu Fuß nur 15 Minuten.

Ich sehe aus dem Fenster auf die Kastanie im Hof und frage mich, ob Adolf Zadek auch jeden Herbst bei ihrem kahlen Anblick dachte, wie schrecklich der Berliner Winter ist, und sich auf den Frühling freute.

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