Kolumne "Luft und Liebe":Geburtsvorbereitung in der Küche

Frauen kochen, um die Familie satt zu kriegen. Ein Mann kocht nicht - er gebiert eine kulinarische Offenbarung. Vorausgesetzt, das Equipment stimmt, und es sehen genügend Leute dabei zu.

Violetta Simon

Kochen war für Wolf immer Frauensache. Erst seit er spitzgekriegt hatte, dass kochende Männer ins Fernsehen kamen, begann er, sich dafür zu interessieren - zumindest theoretisch: Wenn Zacherl, Marquard und Co. sich in die Töpfe gucken ließen, starrte er wie gebannt auf die Mattscheibe. Valerie stand unterdessen in der Küche, hackte Zwiebeln, schälte Kartoffeln und fragte sich: "Warum hilft er mir nicht einfach, wenn er was lernen will, statt diesen Schnöseln beim Show-Kochen zuzuschauen?"

mann in der küche

Dieser Mann ist zu Höherem berufen.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Was Valerie nicht wusste: Ein Mann kocht nicht um des Essens willen. Er benötigt dazu Equipment und Publikum, drunter macht er es nicht. Nur wenn der Spieltrieb und die Eitelkeit befriedigt werden, sieht er darin einen Sinn. Und mit jeder Kochsendung fand Wolf zunehmend Gefallen an der Vorstellung, eines Tages Herr über ein Ceranfeld zu sein.

Alles, was bei Kerner, Biolek oder Schubeck in die Kamera gehalten wurde, musste er haben: Sprühflaschen für Öl und Essig, Edelstahl-Trichter, Topflappen aus Leder, elektrische Salz- und Pfeffermühlen, Pastetenbackformen, eine Schneidemaschine aus poliertem Aluminium - jeden Tag schleppte er ein anderes Ding an, von dem er behauptete, man könne keinesfalls darauf verzichten. Gekocht hatte er damit noch nicht.

Ein Mann kocht nicht. Er kreiert ein Gericht.

Und so stand Valerie weiterhin allein in der Küche, briet Auberginen, passierte Tomaten und fragte sich, wie sie bisher mit einem elektrischen Handrührer und einem alten Gasherd zurechtgekommen war. "Was ist eigentlich so toll an den Kochlöffel-Schwingern, dass sie gleich zum Star werden?", fragte Valerie. "Die tun auch nichts anderes als ich!" Wolf blätterte abwesend in einem Kochbuch und schwelgte in Bioleks aprikotierten Lammfilets an Rotwein-Honig-Sauce - die er, im Gegensatz zu Valeries Lammrücken, nie probiert, geschweige denn zubereitet hatte. "Du begreifst das einfach nicht", antwortete er. "Eine Frau kocht, damit ihre Familie satt wird. Ein Mann kocht nicht. Er kreiert ein Gericht, das ist eher wie eine Geburt." Aha, dachte sie, vom Kinderkriegen verstehen die also auch was!

Es wurmte sie, dass Wolf eine schmerzhafte Wahrheit so gelassen aussprach: Sobald ein Mann sich etwas zu eigen macht, das bisher unter seiner Würde war, erhebt er es kurzerhand zu einer kreativen, verantwortungsvollen Tätigkeit. So einfach war das. Selbst das Wäschewaschen war eine ehrenwerte Leistung - solange man Charly Ehmann hieß und die Trikots für die Jungs vom FC Bayern wusch.

Zeugwart - das war sogar ein richtiger Beruf! Valerie konnte sich nicht erinnern, dass jemals eine Hausfrau interviewt wurde, weil sie eine Waschmaschine bedienen konnte. Und ganz bestimmt würde niemand eine Kochsendung sehen wollen, in der Hausfrauen einfach nur Essen zubereiten, ohne sich dabei zu produzieren wie David Copperfield bei einem Showauftritt in Las Vegas.

Auch wenn er bisher noch kein Gericht zustande bekommen hatte - die Sache mit der Show hatte Wolf wirklich drauf. Er wirbelte Pfeffermühlen durch die Luft, baute Tanzeinlagen auf dem Weg zum Kühlschrank ein und sprühte, die Arme hinter dem Kopf gekreuzt, Öl und Essig auf imaginäre Salate.

Geburt in der Küche

Als Valerie schon nicht mehr daran glaubte, war es so weit: Wolf würde heute Abend kochen, hatte er angekündigt. Er hatte sich eigens einen halben Tag freigenommen, um die Einkäufe zu erledigen und die Vorbereitungen zu treffen. Sie fand das zwar übertrieben - schließlich hatte sie ihren Job auch nicht auf eine Halbtagsstelle reduziert, nur weil sie normalerweise das Abendessen zubereitete. Aber schließlich kochte sie ja auch nur. Während er vermutlich seine erste Geburt in der Küche vollziehen würde. Valerie hatte von Männern gehört, die wegen einer Dose Ravioli oder einem Rührei die Küche in ein Schlachtfeld verwandelt hatten. Was würde Wolf erst mit ihrer Küche anstellen?

Als sie gegen 19 Uhr die Wohnung betrat, schnupperte sie erwartungsvoll - nichts. Immerhin, es roch auch nicht verbrannt, das war doch schon mal was. Dafür dröhnte Punkmusik aus der Küche. Als sie dem Lärm folgte, traf sie fast der Schlag. Wolf hatte seine Haare unter einem schwarzen Totenkopf-Tuch versteckt und wetzte wortlos ein langes Messer. Das Ding wirkte fremdartig, sie hatte es in ihrer Küche noch nie gesehen. Vor ihm lagen weitere fünf Stück, in verschiedenen Größen und Formen. "Was tust du mit all den Messern?", fragte sie erstaunt. "Das sind keine Messer", raunte er geheimnisvoll. "Das sind japanische Hōchōs." "Aha, und was bitte ist ein Hōchō?" "Das Samurai-Schwert der modernen Küche", dozierte er, während er die Klinge durchs Wasser zog und sie anschließend andachtsvoll mit Kamelienöl einrieb. "Damit kannst du Tomaten zerteilen - ohne Saftverlust!" Sie sah, wie er entschlossen eine Tomate perforierte, und musste plötzlich an Jack Nicholson in "Shining" denken.

Es klingelt: Das Publikum ist da - Fortsetzung nächste Seite ...

Geburtsvorbereitung in der Küche

Gerade als Valerie den Erste-Hilfe-Kasten holen wollte, klingelte es. Es waren die Nachbarn. Kurz darauf standen vier Kollegen vor der Tür, gefolgt von ein paar Freunden. "Was zum Teufel machen die hier?", polterte Valerie in die Küche, nachdem sie einen Stapel Mäntel ins Schlafzimmer gebracht hatte. "Ich dachte, ich lade noch ein paar Leute ein, dann macht es mehr Spaß", antwortete er und winkte die anderen großzügig herein. "Du meinst wohl, dann hast du mehr Publikum", zischte sie zurück.

Wahnsinn - ein Speckwürfel!

Doch Wolf ließ sich seine gute Laune nicht verderben. Bereitwillig beantwortete er Fragen zum luftgekühlten Motor seiner Schneidemaschine und demonstrierte, wie man mit einem Wasserstein fachgerecht ein Hocho schliff. Unter lautem "Ah!" und "Oh!" hackte er Avocado, würfelte Speck und schnitt Gurken in hauchdünne Scheiben. Dazu verwendete er jeweils ein anderes dieser japanischen Messer.

Zwischendurch tanzte er lässig im Moonwalk zum neuen Kühlschrank, an dessen Tür sich ein LCD-Fernseher und eine eingebaute Minibar befanden sowie ein Zapfhahn, aus dem er den Gästen kühles Pils ausschenkte. Auch er bediente sich in immer kürzeren Abständen davon.

In der Küche drängten sich mittlerweile ein Dutzend Menschen, die abwechselnd an ihrem Glas nippten und Wolfs Performance bewunderten. "Du hast aber auch ein Glück", sagte jemand zu ihr und deutete mit dem Kinn auf Wolf. "Meiner würde sich beim Kochen nie so ins Zeug legen." "Noch kocht er nicht", antwortete sie, während sie besorgt den Blick über all die verschiedenen Schüsseln und Schälchen schweifen ließ, die mit lauter zerkleinerten Zutaten gefüllt waren.

Irgendwie wollte der Inhalt nicht so recht zusammenpassen. "Bist du sicher, dass du das alles für unser Abendessen brauchst?", raunte sie Wolf besorgt ins Ohr. "Dummchen!", antwortete er. "Damit arbeite ich die Klingen der Messer ein!" "Und was werden wir dann essen?" "Essen, essen!", echauffierte er sich flüsternd. "Ich zelebriere hier das Entstehen einer kulinarischen Offenbarung und du denkst nur ans Essen!" "Entschuldige bitte, ich dachte doch tatsächlich, das sei der Sinn dieser Übung", pampte sie durch die geschlossene Zahnreihe ihres aufgesetzten Lächelns zurück. Missmutig schnappte sie sich eine Karotte und trollte sich ins Wohnzimmer.

Applaus für die Zwiebel!

Gegen 22 Uhr gab es noch immer nichts. Einige mampften die geschnippelten Teile aus den Schüsseln. Einer vergriff sich an der Wurstbox im Kühlschrank, ein anderer versuchte, den Pizza-Service zu erreichen. Wolf aber gab seine japanische Messer-Show zum Besten. Er wirbelte ein Hōchō durch die Luft, fing es auf und atomisierte damit unter Applaus eine Zwiebel - "ohne Tränen!".

Allmählich wich die Begeisterung einem deutlichen Hungergefühl. Die ersten Gäste zogen ab.

Nach dem sechsten Bier schnitt sich Wolf mit einem seiner japanischen Messer in den Finger - die scharfe Klinge war beinah widerstandslos durch das Fleisch geglitten. Es gab eine riesen Sauerei: Das Blut lief in Strömen über das edle Schneidbrett aus Buchenholz, die Zwiebeln und die sündteuren Messer und sammelte sich schließlich auf dem Boden. Auf dem Weg zum Spülbecken hinterließ Wolf eine grausige Spur. Als Valerie seine Hand verarztete, machten sich die letzten Besucher dezent vom Acker.

Die Küche war nicht mehr wiederzuerkennen. Sämtliche verfügbare Schüsseln, Schalen und Schälchen waren mit zerkleinerten Zutaten gefüllt. Sie standen auf der Arbeitsfläche, dem Küchentisch, dem Fensterbrett und sogar auf dem Boden. Dazwischen die benutzten Gläser der enttäuschten Gäste. Schweigend betrachteten Valerie und Wolf die Szenerie. "Ich nehme nicht an, dass wir irgendetwas von dem bunten Zeug da essen werden, oder?", fragte Valerie. "Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was ich damit anfangen soll", sagte Wolf niedergeschlagen. "Kann man mit einer deiner japanischen Wunderwaffen auch Kartoffeln schälen?" "Ich denke schon." "Wenn es nicht unter deiner Würde ist, könntest du dir vorstellen, beim Schälen eines gewöhnlichen Erdapfels deine Mitte zu finden?" "Ich habe keine Würde mehr", antwortete er tonlos. "Prima! Dann begegnen wir uns ja auf Augenhöhe. Weißt du was? Du schälst Kartoffeln und dann mach ich uns aus dem ganzen Kram einen Eintopf. Ganz gewöhnlichen Eintopf, der satt und zufrieden macht. Und nicht lebensbedrohlich ist." "Oh Mann, das wäre traumhaft."

Eine Sammlung der besten Kolumnen ist unter dem Titel "Hurra, wir lieben noch!" beim Droemer Knaur Verlag erschienen.

Alle "Luft und Liebe"-Kolumnen im Überblick finden Sie gesammelt unter dem Bookmark www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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