Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Papa, mein Held

Familien-Kolumne

Am Anfang sind Eltern für ihre Kinder noch Helden. Dann merken die Kleinen, dass Eltern auch nur Menschen sind.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

Der Weltmeistertitel mag ja schön sein für Deutschland. Doch übernehmen die Fußballer mit ihrem heldenhaften Auftritt den Sockel, auf den Kinder bislang den eigenen Vater gestellt hatten. Der trifft nicht einmal ein leeres Tor.

Von Katja Schnitzler

Früher war es so leicht, ein Held zu sein: Der Vater war naturgemäß viel größer und stärker als sein Kindergartenkind. Noch dazu hatte der Vater einen Bildungsvorsprung, den er leidlich ausnützte. Wenn er doch eine Frage nicht beantworten konnte, wusste er immerhin ein elektronisches Gerät egal welcher Größe so gekonnt zu bedienen, dass es die richtige Antwort preisgab. Der Sohn war schwer beeindruckt.

Immerhin war sein Vater so ehrlich, seinem jungen Bewunderer immer wieder zu versichern, dass er ihn zwar spielerisch leicht durch die Luft wirbeln und ohne Pause ein ganzes Planschbecken aufpumpen konnte, aber fliegen, also fliegen könne er wirklich nicht. So ganz glaubte es sein Sohn nicht. Wahrscheinlich flog der Papa heimlich in die Arbeit.

So genoss der Vater seinen Heldenstatus, bis ihm dieser an einem Sonntag im Juli abhandenkam. Schuld waren die Weltmeister.

Zuvor hatte die Mutter großzügig eingewilligt: Natürlich könnten Vater und Sohn mit den Teamkollegen der Seniorenmannschaft im Vereinsheim das WM-Finale anschauen - sie selbst verabschiede sich mit ihren Freundinnen auf die Fanmeile. Man solle sie nicht vor dem Morgengrauen zurückerwarten.

Begeistert hatte der Sohn vor seinen Kindergartenfreunden mit dem bevorstehenden Abenteuer am späten Sonntagabend geprotzt, um zu erfahren, dass die anderen ebenfalls länger aufbleiben durften. "Aber mein Papa ist selber Fußball-Profi", versuchte der Sohn, sein Gesicht zu wahren. "Warum spielt er dann nicht mit beim Finale?", wollte sein ehemals bester Freund wissen, den der Sohn daraufhin den ganzen Vormittag keines Blickes mehr würdigte.

"AH-Mannschaft? Ich dachte, du wärst Profi?"

Am Abend fragte er seinen Vater: "Wieso spielst du nicht beim Finale, du bist doch Fußball-Profi?" Der Vater räusperte sich: "Profi nicht unbedingt, ich bin in der AH-Mannschaft." "Aha?" Der Vater hüstelte: "Das heißt Alte Herren." "Aha ..." Das Heldenbild hatte ein wenig an Strahlkraft verloren.

Am Sonntagabend, später als gedacht. Mario Götze war noch fassungslos über sein Tor, während die Alten Herren im Vereinsheim schon jubelten: "Super Mario, Super Mario, hoi, hoi, hoi!" Nur der Sohn jubelte nicht. Er zog seinen Vater am Hemd: "Papa, hättest du das Tor auch so geschossen?" Der Vater schwankte noch zwischen Wunsch und Wirklichkeit, da grölte sein ehemals bester Freund, den der Vater den Rest des Abends keines Blickes mehr würdigen würde: "Kleiner, du hast deinen Vater wohl noch nie Fußball spielen sehen, was?"

Es machte die Sache nicht besser, dass die Familienväter in der Nationalmannschaft (darunter ebenfalls ein "Alter Herr" namens Klose, wie der Vater nicht müde wurde zu betonen, bis der Sohn genervt fragte, warum nicht ER dieser Alte Herr sei?) mit ihren Kindern auf dem Spielfeld feierten.

Am nächsten Samstagnachmittag wollte der Sohn den Vater endlich spielen sehen. Der Vater versuchte ihn davon abzubringen: Wollte der Sohn nicht mit seinem ferngesteuerten Hubschrauber spielen? Das würde ihm sicher mehr Spaß machen als 90 Minuten, "eineinhalb Stunden!", am Spielfeldrand auszuharren. Der Sohn fand, er könne den Hubschrauber ja mitnehmen. Nur für den Fall, dass er sich langweile.

Dieser Fall trat in der 16. Minute ein. Und nicht nur die Langeweile veranlasste den Sohn, sich vom Spiel abzuwenden - er tat es auch mit Grausen. Sogar ihm war aufgefallen, dass die AH-Kollegen zu schreien anfingen, wenn der Ball nur in die Richtung seines Vater rollte: "Gib ihn ab! Gib ihn ab!" Das tat der Vater sonst schnellstmöglich. Aber dieses Mal sah sein Sohn zu.

Er gab nicht ab und vergab. Obwohl sich der Torwart - in Gedanken ganz bei Manuel Neuer, in Wirklichkeit leider unkonzentriert - in die falsche Richtung geworfen hatte. Das Tor war so gut wie leer, und das blieb es.

Beim zweiten Torschuss trat der Vater auf den Ball und fiel auf den Rücken. Beim dritten Versuch traf der Vater einen Mitspieler am Kopf. Beide mussten vom Feld. Und der Sohn wandte sich ab.

Von der Spielerbank aus sah der Vater betrübt seinen Sohn mit dem ferngesteuerten Hubschrauber davontrotten. Bald darauf beobachtete er, wie der Helikopter unsichere Kreise über dem benachbarten Feld zog. Sogar die Flugbahn schien ein wenig durchzuhängen.

"Super-Papa, Super-Papa, hoi, hoi, hoi!"

Der Vater seufzte schwer. Er sah seinen imaginären Heldensockel zwar noch nicht ganz in Trümmern liegen, aber doch besorgniserregend bröckeln. Da kam sein Sohn angerannt.

Der Kleine beherrschte sich mühsam, bis er sich dem Vater in die Arme geworfen hatte, dann heulte er laut auf. Ein AH-Stürmer vergab erschrocken eine Tor-Chance. Mit etwas Mühe hörte der Vater, welch Drama sich ereignet hatte: "Mein (SCHLUCHZ) Hub(SCHLUCHZ)schraub(SCHLUCHZ)er hängt feee(SCHLUCHZ)heeest! Im Bau(SCHLUCHZ)huuuuum!"

Der Baum war hoch, der Vater nicht schwindelfrei, doch sein Junge verzweifelt. Der Vater wischte mit seinem Trikot die Tränen vom Gesicht des Sohnes, straffte die Schultern und fragte: "Trainer, brauchst du mich in den nächsten zehn Minuten?" "Meinst du die Frage ernst?", fragte der Trainer.

Der Baum sah von unten noch höher aus, und der verflixte Hubschrauber hatte sich im oberen Drittel verfangen. War ja klar. Kurz spielte der Vater mit dem Gedanken, seinem Sohn einen neuen Helikopter zu kaufen. Doch der Junge stand voll Zuversicht neben ihm, über seine Stirn hätte ein Spruchband laufen können: "Jetzt wird alles gut: Mein Papa, der Held, rettet meinen Hubschrauber!"

Der Vater atmete tief durch und fing an zu klettern. Bald hatte er seine persönliche kritische Marke von zwei Meter Höhe erreicht, bei der ihm schwindelig wurde. Er überlegte, ob er auch mit geschlossenen Augen klettern könne. Er fand heraus, dass er es nicht konnte. Also nicht nach unten schauen, nur nicht nach unten ... Verflixt, er hatte nach unten geschaut, Baum und Boden drehten sich kurz. "Weiter nach links, Papa", schrie sein Sohn eifrig.

"Gleich hast du ihn!"

Da hörte er vom Fußballplatz Rufe. Die Zuschauer hatten sich von dem mäßig spannenden Spiel abgewendet und feuerten ihn an: "Super-Papa, Super-Papa, hoi, hoi, hoi! Super-Papa, Super-Papa, hoi, hoi, hoi!"

Der Vater schwitzte. Und kletterte. Schnaufte. Kletterte. Er war beim Hubschrauber. Er blickte auf den Hubschrauber. Auf seine Hände. Auf den Hubschrauber. Er fluchte leise. Sein Sohn rief: "Ja, Papa, du hast ihn gleich!" Die Zuschauer jubelten: "Super-Papa, hoi, hoi, hoi!" Der Vater ließ nur ganz kurz mit einer Hand los und packte den Hubschrauber. Steckte sich die Kufen zwischen die Zähne und hinterließ darauf bleibende Abdrücke.

Hinterher meinten die anderen, er habe nur zwei Minuten gebraucht, um wieder vom Baum herunterzuklettern. Der Vater hatte da einen ganz anderen Eindruck. Doch diese kleine Ewigkeit war es wert gewesen.

Als er mit zittriger Hand den Hubschrauber überreichte, drückte sein Sohn erst das Spielzeug, dann seinen Vater an sich. Im Hintergrund wurde applaudiert. Das Heldenbild strahlte wieder, mindestens bis zur nächsten Weltmeisterschaft.

Wann sind Eltern wahre Helden - zumindest für ihre Kinder? Und wie lange bleibt das so? Berichten Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

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