Kolumne "Familie und andere Turbulenzen":Herrlich, diese Funkstille

Familien-Kolumne

Nicht mit auf dem Familienbild: die Smartphones, das Tablet und die Spiele-Konsole.

(Foto: Stephanie Wunderlich)

In einer Familie wird viel kommuniziert, nur oft nicht miteinander. Da wird es Zeit für den Schrecken jedes Teenagers: einen handyfreien Tag.

Von Katja Schnitzler

Samstagmorgen. Beim ersten Zwitschern der Vögel quietschte die Schlafzimmertür, das Geräusch nackter Füße näherte sich langsam dem Nachttisch, dann entfernte es sich sehr viel lauter und schneller wieder nach draußen. Die Mutter musste die Augen nicht öffnen: Ihr Jüngster, das Kindergartenkind, hatte das Smartphone seines Vaters entwendet, um darauf Filme anzusehen, die nur er und seine Altersgenossen toll fanden. Seine Teenager-Schwester nannte sie Kreisch-Movies.

Weil diese das elterliche Ausschlafen sicherten, fielen sie unter lässliche Sünden. Zwei Stunden später erhob sich auch der Rest der Familie - die Eltern freiwillig, die Tochter unter Protest. Weil sie aber am Freitag nicht so lange weggehen durfte "wie alle anderen, alle!", war sie wach genug, um ebenfalls zum Esstisch zu schlurfen.

Ihr Bruder war noch immer auf der Couch von Kreisch-Movies ruhiggestellt. Mit ihrem eigenen Handy checkte die Tochter, welche weltbewegenden Entwicklungen sie gestern Abend wegen ihrer spießigen Eltern verpasst hatte (Hätte sie alte Louis-de-Funes-Filme gekannt, wäre ihr vielleicht aufgefallen, wie sehr ihr geschriebener Dialog mit ihrer Freundin - Emoticons galten in ihrer Clique gerade als total retro - den Filmszenen ähnelte: Nein! Doch! Ach!). Auch der Vater kümmerte sich am Tablet-PC um Dinge, die die Welt bewegen: Sport im Allgemeinen, Fußball im Besonderen.

"Zeit für das Frühstück", sagte die Mutter.

Kreisch. Ping (Nein!), ping (Doch!), ping (Ach!). Wisch, wisch. Schweigen.

"So, jetzt macht mal Pause, damit wir frühstücken können", sagte die Mutter etwas lauter.

Kreihiisch-hiiijah! Ping (Hat sie echt rumgemacht? Mit dem?), ping (Krass, was?), ping (Kotz!). Wisch, wisch-wisch.

"HALLO-HOOO! An alle digitalen Wesen, eure analogen Körper brauchen Nahrung!", rief die Mutter.

Kreiiiiisch. Ping (Hat sie ihren Status schon geändert?), ping (Auf Facebook? Wer ist denn heute noch bei Facebook?), ping (Na, sie.). Wisch ... wisch.

Die Mutter schnaubte und schrieb ihrer älteren Schwester erbost eine Nachricht: Meine Familie kommuniziert, aber nicht mit mir. Habe sie verloren an die digitale Welt! Bleibe einsam zurück. Drehe durch, wenn ich noch ein Piepsen höre!!!!

Ping. Die Schwester antwortete immer schnell. Sag das nicht mir, sag es deiner Familie!

Wie denn, wenn keiner zuhört?, schrieb die Mutter.

Ping. Schon mal was von Gruppen-Chat gehört?, schrieb ihre Schwester, und ping: Ich glaube, ihr braucht mal 'ne Pause. Offline-Zwang!

Ping. Probiere es gleich heute aus.

Ping. Aber schreib mir nicht, wie es läuft! LOL

Der Mutter gefiel die Idee von einem Tag ohne elektronische Ablenkung, sehr gut sogar. Sie eröffnete einen Gruppen-Chat und schrieb: ACHTUNG, ACHTUNG! Dies ist ein familiärer Notfall! Wir müssen dringend reden! Miteinander! Wir müssen mal ein wenig runterkommen. Deshalb schaltet ihr jetzt alle Handys und Tablets ab. Sie bleiben den ganzen Tag lang aus! Ab JETZT!

Raus aus der modernen Gesellschaft

"Bist du völlig durchgeknallt?", kreischte die Tochter. "Hab ich was verpasst?", fragte der Vater. @Tochter: Nein, im Gegenteil!, schrieb die Mutter, und @Göttergatte: Ja, dein Leben mit mir. Der Sohn bekam von alldem nichts mit, er hatte den Gruppenchat weggeklickt, weil der seinen Kreisch-Movie verdeckte. Doch als das Handy eingesammelt wurde, traf ihn die Wirklichkeit mit voller Wucht.

Die Mutter hatte der Tochter bereits das Smartphone entwunden, so dass diese die Nachricht Ihr müsst mich hier rausholen, meine Mom ist ... weder fertig schreiben noch abschicken konnte. Der Vater hatte vergeblich versucht, ein wenig Zeit zu gewinnen ("Nur noch diesen einen Artikel, dann reden wir, so lange du willst.").

Es dauerte ein wenig, bis die Mutter herausgefunden hatte, wie sie die Handys komplett ausschalten konnte. Das hatte sie noch nie gemacht. Dann schaltete sie ihres wieder ein, "aber nur kurz", weil darin die Nummer ihrer Freundin gespeichert war. Die hatte den Schlüssel zu einer Berghütte, die fern jeder Mobilfunkreichweite lag und in der Wlan noch eine Utopie war: "Unser Ziel für dieses Familienwochenende!"

Die Kinder starrten die Mutter fassungslos an, dann hilfesuchend ihren Vater. Der stand hinter der Mutter, aber nur körperlich: Mit den Lippen sprach er lautlos: "Sie hat wieder ihren Rappel, da müssen wir durch. Ich kann nichts tun!" Er tippte sich an die Stirn.

"Ich wurde als Kind vertauscht"

Die Tochter verdrehte die Augen und fragte erbost: "Wieso müssen wir wo raufsteigen, um mal wieder runterzukommen?" Dann hüllte sie sich in vorwurfsvolles Schweigen, nur in ihrem Kopf wütete sie weiter. Sie schwieg beim Frühstück, bei der Abfahrt, während der Fahrt, bei der Ankunft und beim Aufstieg. Dafür stieß sie regelmäßig ein Schnauben aus, in das sie ihre ganze Verachtung legte.

Wie konnte sie mit dieser Frau verwandt sein? Wahrscheinlich war sie im Krankenhaus verwechselt worden und jemand anderes führte nun ein Leben zwischen uneingeschränktem Smartphone-Zugriff und unbegrenztem Ausgehen. Sie schnaubte wieder.

Auch der Vater schwieg und dachte an die Samstagsspiele, die er wegen der erzwungenen Familienwanderung verpasste. Und jetzt konnte er nicht einmal online die Spielstände abfragen, verflixt!

Der Sohn nutzte das Schweigen der anderen, um minutiös die Abenteuer seiner Helden in den Kreisch-Movies nachzuerzählen. Er ließ sich auch von den Versuchen der Mutter nicht unterbrechen, die ihm die Schönheit der Bergnatur näherbringen wollte: "Schau, die Kühe auf der Almweide. Sieh nur, ein Geier trägt ein Gämsenjunges davon! Und dort, die malerische Schlucht!"

Verirrt? Bestimmt nicht!

"Komisch, die ist mir hier noch nie aufgefallen", sagte der Vater. "Alter, jetzt sagt nicht, dass wir uns auch noch verlaufen haben!", schnauzte die Tochter und kam mit dem genervten Schnauben gar nicht mehr hinterher. "Natürlich nicht!", sagte die Mutter. Sicher war sie nicht.

Zwei Stunden später war sie sicher, dass sie den Weg verloren hatten und ihn nicht wiederfinden würden. Jedenfalls nicht vor der Dämmerung. Die Kinder stolperten hinter ihr her, der Sohn war müde verstummt, dafür drehte die Tochter auf und wiederholte ohne Unterlass, was für eine Sch...idee es gewesen sei, auf diese Sch...hütte auf diesem Sch...berg zu wandern, ganz ohne einen Sch...plan!

Eine Dreiviertelstunde später, es wurde langsam kühl, fand der Vater, dass die Familie nun genug kommuniziert hatte: "Schatz, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, uns mit deinem Handy zu erlösen und endlich nachzuschauen, wo wir lang müssen." Das hätte die Mutter schon früher getan, doch alle Handys erholten sich daheim von der Dauernutzung.

"DU HAST KEINES DABEI?", kreischten Vater und Tochter in hysterischer Zweisamkeit. Die nächste halbe Stunde herrschte absolute Funkstille, aber anders als von der Mutter gedacht.

Die Nacht überstand die Familie eng zusammengedrängt in einem Stall, in dem schon lange kein Vieh mehr stand, nur der Geruch war noch da. "Spielen wir, dass wir auf einem fremden Planeten festsitzen?", fragte der Sohn. "Eher im Mittelalter", fauchte die Tochter. Doch es war kalt, so dass selbst sie nicht abseits bleiben wollte.

Links und rechts wärmten die Eltern ihre Kinder. "Und man hört gar kein Piepsen", murmelte die Mutter. Der Vater knurrte. Er fand, dass es zumindest bei einem von ihnen piepte, wenn auch unhörbar.

Das nächste Mal, wenn seine Frau ihren Rappel hatte, würde er sein Handy jedenfalls nicht aus der Hand geben. Er sah ja, wo das endete.

Reden Sie noch oder simsen Sie schon? Wie läuft bei Ihnen die Kommunikation in der Familie? Berichten Sie uns Ihre Erfahrungen und Tipps in den Kommentaren unter der Kolumne.

Auf SZ.de erscheint immer montags die Familienkolumne über das Zusammenleben von Eltern, Kindern und Großeltern, aber auch Tanten und Onkeln, Cousins, Nichten, Neffen - eben allen, die das Familienleben bereichern, erleichtern oder auch ein bisschen komplizierter machen.

Sie können gerne einen Themenvorschlag an die Autorin Katja Schnitzler mailen: Was treibt Sie in Ihrer Familie in den Wahnsinn oder was macht das Leben erst richtig schön?

Und alles zum Thema Erziehung von Babys bis hin zu Jugendlichen finden Sie im Erziehungsratgeber.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: