Kolumne: Die Paar Probleme (10):"Jetzt sag doch was!"

Sie gesteht ihm, dass sie sich in einen anderen verliebt hat. Er tut, als ginge ihn das nichts an. Ein Gespräch über Erwartungen und Ängste.

Violetta Simon und David Wilchfort

Manchmal braucht die Liebe Unterstützung, das gilt auch - oder gerade - für "alte Hasen". Der Paartherapeut David Wilchfort und die sueddeutsche.de-Redakteurin Violetta Simon suchen im gemeinsamen Gespräch Antworten auf Beziehungsfragen unserer Leser - und zwar immer für beide Partner.

Um die persönliche Situation von Adam und Eva zu verdeutlichen, haben wir deren Anliegen von zwei Schauspielern nachsprechen lassen. Eva wird gesprochen von Agnes Müller, Adam von Rüdiger W. Kunze. Klicken Sie auf die Videos, um sie abzuspielen.

Eva: Ich bin in einen anderen Mann verliebt. Vor zwei Wochen habe ich den Druck nicht mehr ausgehalten und es meinem Mann erzählt. Der hat ganz anderes reagiert, als ich es erwartet hatte. "Du musst dich entscheiden", hat er nüchtern gesagt und sich weggedreht. Ich aber hätte mir eher einen Wutanfall gewünscht.

Adam: Meine Frau hat mir gestanden, dass sie einen Verehrer hat. Ich finde das natürlich nicht gut. Dennoch ist es ihre Entscheidung, ob sie unsere Beziehung noch will oder nicht. Das muss sie ganz alleine mit sich ausmachen. Wenn sie zu einem Entschluss gekommen ist, werde ich meine Konsequenzen ziehen.

sueddeutsche.de: Ist doch schön, wenn man die Entscheidung und den Schwarzen Peter in die Hände des Partners legen kann. Die Art, wie Adam auf Evas Geständnis reagiert, könnte erklären, warum sie sich zu einem anderen Mann hingezogen fühlt.

David Wilchfort: Ja, Eva hatte eine Vorstellung, wie Adam hätte reagieren sollen. Dadurch hat sie versäumt, zu erkennen, was noch hinter seiner Reaktion stecken könnte.

sueddeutsche.de: Sie meinen - außer seiner verletzten Eitelkeit oder diesem zur Schau gestellten Desinteresse?

Wilchfort: Genau. Sie ist so beschäftigt mit ihrer eigenen Verunsicherung und der Frage "Wie wichtig bin ich ihm noch?", dass sie seine Unsicherheit gar nicht wahrnimmt.

sueddeutsche.de: Gut, ich kann mir vorstellen, dass ein Mann, der gerade erfahren hat, dass seine Frau in einen anderen verliebt ist, verunsichert ist. Aber ich verstehe nicht, dass er es so formuliert, als wäre ihm die Sache egal. Warum tut er das - um sich zu schützen? Dafür steht meiner Meinung nach zu viel auf dem Spiel.

Wilchfort: Er sagt: "Wenn sie zu einem Entschluss gekommen ist, werde ich meine Konsequenzen ziehen." Das kann heißen: Ihm ist die Richtung ihrer Entscheidung gleichgültig, es kann aber auch bedeuten, dass er glaubt, ihre Entscheidung nicht beeinflussen zu können. Ich würde eher auf das zweite tippen. Sonst hätte er nach ihrer Eröffnung einfach die Beziehung für beendet erklärt.

Sehen Sie auf der nächsten Seite, was Adams Reaktion bedeutet ...

Was Adam und Eva entgangen ist ...

sueddeutsche.de: Was Eva aber sehen wollte, sind Tränen, Kniefall, Verzweiflung! Nichts davon hat sie bekommen. Zugegeben, ihr Geständnis war vielleicht nicht der geeignete Weg, ihn zu einer solchen Reaktion zu bewegen. Dennoch ist es nicht auf den ersten Blick ersichtlich, es als Zeichen guten Willens zu bewerten, dass Adam sich so abgebrüht gibt.

Wilchfort: Was Eva sehen wollte, ist klar. Aber ich bezweifle, dass sie ihm auch genügend Zeichen gesendet hat, damit er sich zutraut, um sie zu kämpfen. Sie hat ihm wahrscheinlich nicht vermittelt: "Du hast noch eine Chance, mich zurückzugewinnen."

sueddeutsche.de: Könnte durchaus sein - vielleicht hat sie ja ebenfalls so eine Art verschlüsselte Code-Sprache benutzt und wollte ihm mit ihrem Geständnis eigentlich etwas anderes mitteilen?

Wilchfort: Ich befürchte, Sie haben Recht. Indem sie sich ihm offenbart hat, ohne sich gleich zu verabschieden, hatte sie ihm indirekt gezeigt, wie wichtig er ihr noch ist. Adam hat jedoch den Code nicht verstanden. Er hat nicht begriffen, dass sie ihm von dem anderen Mann erzählt hat, weil sie das Bedürfnis hat, für ihn jene Gefühle zu empfinden, die jetzt woanders hingewandert sind.

sueddeutsche.de: Das würde zumindest erklären, warum sie sich über einen Wutanfall so gefreut hätte. Es ist aber auch etwas viel von Adam verlangt, zu erkennen: "Ach so ist das, eigentlich würde sie diese Gefühle lieber mit mir erleben! Sie muss jetzt einen anderen begehren, weil ich so ein Ekel bin."

Wilchfort: Ja, aber es wird von beiden viel verlangt. Adam muss sich darüber klar werden: Ich habe noch eine Chance, doch ich muss sie auch ergreifen. Eva muss einsehen: Wenn ich will, dass er um mich wirbt, dann muss ich ihm Mut machen und zeigen, dass er auch wieder meine Gefühle zurückgewinnen kann.

sueddeutsche.de: Sie gehen also davon aus, dass die beiden noch genug füreinander empfinden, um ihre Beziehung weiterzuführen. Wenn ja, haben sie das bestens voreinander verborgen - ist zwar einfach so, aber höchst riskant. Die Liebe wird auf den Roulette-Tisch geworfen.

Wilchfort: Ich wäre nicht so hart mit den beiden. Ich glaube, es stecken Erwartungen in den Köpfen, wie der andere reagieren soll und welche Reaktion für einen selbst die scheinbar einzig mögliche ist. Die beiden sind nicht böse oder bequem. Sie trauen sich nur nicht zu, den Verlauf ihrer Beziehung beeinflussen zu können. Deshalb fällt ihnen nichts anderes ein, als auf ihr Glück zu hoffen: Der andere wird sich schon so verhalten, dass alles wieder in Ordnung kommt.

sueddeutsche.de: Immerhin, das zeugt von einer Art Urvertrauen in den anderen. Darauf lässt sich doch sicher etwas aufbauen. Und wie ich Sie kenne, haben Sie eine geniale Idee ...

Wilchfort: Und ob: "Macht was miteinander!" Auch wenn ich befürchte, Adam und Eva würden meinen Vorschlag reflexartig zurückweisen. Es passt nicht in ihr Konzept. Eva würde sich vermutlich empören: "Wenn er mir die kalte Schulter zeigt, habe ich echt keine Lust, mit ihm was zu unternehmen." Genauso Adam: "Erst soll sie sich entscheiden, dann macht es überhaupt Sinn, unsere Beziehung aufleben zu lassen."

sueddeutsche.de: Das erinnert mich irgendwie an Investitionsüberlegungen. Vielleicht haben die beiden eines nicht erkannt: Sie stecken nicht in einem Finanzdebakel, sondern in einer handfesten Beziehungskrise. Es sollte sich also in jedem Fall einer bewegen - und nicht erst abwarten, ob der andere zuckt.

Wilchfort: Ich finde, die beiden haben noch etwas viel Wichtigeres nicht erkannt. Am Finanzmarkt und am Roulette-Tisch kann man nur die Daumen drücken und hoffen. Wenn sie das Risiko eingehen, sich neu zu begegnen, dann können sie ihre Gewinnchancen mehr beeinflussen, als die beiden wahrscheinlich ahnen.

sueddeutsche.de: Okay, aber einer von beiden muss den Anfang machen. Wir haben hier eine Frau, die in einen anderen verliebt ist, und eine beleidigte Leberwurst. Wer, glauben Sie, ist am Zug?

Wilchfort: Wie immer natürlich beide. Ich halte nicht viel davon, die Situation durch endlose Diskussionen zu Tode zu reden. Viel effektiver ist es meiner Erfahrung nach, wenn Paare etwas Neues ausprobieren. Wenn sie gemeinsam etwas unternehmen und prüfen: Können wir noch schöne Momente miteinander erleben oder fehlt uns dazu die Bereitschaft oder Fähigkeit? Dann erst können sie entscheiden, ob sie ihre Partnerschaft zum Sperrmüllplatz fahren oder sich gegenseitig noch mal entdecken wollen.

sueddeutsche.de: Sicher mag es viel verlangt sein, aber: Wie wäre es, wenn Adam dabei wenigstens ein versöhnliches Zeichen in Richtung Eva sendet? Auch wenn ihre Gefühle für einen anderen Mann nicht leicht zu verkraften sind, sollte er sich fragen: Was lief bei uns falsch? Sonst wird er die Antwort auf eine Frage bekommen, die er sich nie gestellt hat: Was ist leichter zu erobern als eine Frau? Eine Frau an der Seite eines gleichgültigen Mannes.

Wilchfort: Ich bleibe dabei: Adam muss wagen, um Eva zu werben, auch wenn er noch nicht sicher wissen kann, dass er siegreich sein wird. Und Eva muss wagen, Adam zu ermutigen, auch wenn sie noch nicht weiß, ob er noch um sie werben will. In anderen Worten: Die beiden müssen sich gleichzeitig einen Ruck geben.

sueddeutsche.de: Na gut, wenn Sie meinen - in jedem Fall sollten sie nicht zu lange zögern. Denn der Nächste wartet bereits.

Haben auch Sie und Ihr Partner ein Problem, das Sie uns gerne - jeder aus seiner Perspektive - mitteilen möchten? Dann senden Sie uns eine E-Mail an leben@sueddeutsche.de. Beachten Sie bitte, dass nur Zuschriften beantwortet können, in denen beide Partner ihr Anliegen formulieren. Die Besprechung erfolgt anonym, für eventuelle Rückfragen benötigen wir jedoch eine gültige E-Mail-Adresse.

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