Kolonialgeschichte:Wie das Afrikanische Viertel von der Kolonialzeit befreit werden soll

Kolonialgeschichte: Mnyaka Sururu Mboro, 69, kämpft seit Jahren gegen Berliner Straßennamen, die den Kolonialismus hochhalten. Im "Dauerkleingartenverein Togo" hatte er Erfolg.

Mnyaka Sururu Mboro, 69, kämpft seit Jahren gegen Berliner Straßennamen, die den Kolonialismus hochhalten. Im "Dauerkleingartenverein Togo" hatte er Erfolg.

(Foto: Paul Munzinger)

Darf es das noch geben: Straßen in Berlin, die deutsche Kolonialherren ehren? Mnyaka Sururu Mboro fordert seit Jahren neue Namen für eine neue Zeit. Bald könnte er sie bekommen.

Von Paul Munzinger

Als Mnyaka Sururu Mboro ein Kind war und noch in Tansania lebte, erzählte ihm seine Großmutter ein Märchen. Es handelte vom Mond und von dem Schatten, der sich einmal im Monat über die leuchtende Scheibe schiebt, um sie irgendwann ganz zu verdunkeln. Dieser Schatten, sagte Mboros Großmutter, sei der Schatten von Carl Peters, dem Mann, den sie "Bluthand" nannten. Peters habe in seinem Leben so viele Menschen aufhängen lassen, dass Gott beschloss, ihn im Tode auf die gleiche Art zu strafen. Also hängte er ihn auf, am Mond, in der Ewigkeit.

Mboro will diese Anekdote genau hier erzählen: in der Petersallee im Afrikanischen Viertel Berlins, direkt unter dem Straßenschild, wo man Mboros Wut verstehen soll. Darüber, dass sie den Namen des einstigen Reichskommissars in Ostafrika nicht längst von den Straßenschildern heruntergeholt haben. Darüber, dass auch zwei andere deutsche Kolonialherren, Adolf Lüderitz und Gustav Nachtigal, noch immer einen Ehrenplatz auf dem Berliner Stadtplan innehaben, ein Jahrhundert nach dem Ende des deutschen Kolonialreichs.

Das Thema soll offenbar aus dem Wahlkampf herausgehalten werden

Die Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte hat im Frühjahr beschlossen, dass die Petersallee, die Lüderitzstraße und der Nachtigalplatz neue Namen erhalten sollen. Afrikanische Persönlichkeiten, die sich um die Dekolonisierung des Kontinents verdient gemacht haben, sollen künftig geehrt werden, vorzugsweise Frauen. Doch die Debatte darüber, nach wem die Straßen in Zukunft benannt werden, wurde in den November verschoben. Im September wird in Berlin gewählt, und das Thema soll offenbar aus dem Wahlkampf herausgehalten werden. Das war in der Vergangenheit schwierig. Seit 30 Jahren bewegt der Streit um die Straßennamen das Afrikanische Viertel, die Diskussion ist mit der Zeit persönlich und hochempfindlich geworden. Weil es um viel mehr geht als um die Frage, ob die Anwohner sich eine neue Adresse merken müssen.

Das deutsche Kapitel in der Kolonialgeschichte ist kurz, umso langlebiger ist das Erbe in Berlin. In der Kaiserzeit wurden im Wedding die ersten Straßen nach Überseebesitzungen benannt - und nach den Männern, denen das Reich seinen Platz an der Sonne verdankte. Der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz hatte sich Ende des 19. Jahrhunderts große Teile des heutigen Namibia ergaunert; 1884 wurde daraus Deutsch-Südwest, die erste deutsche Kolonie. Gustav Nachtigal stellte im selben Jahr Togo und Kamerun unter, so hieß das damals, "deutschen Schutz". Zuvor hatte er sich als Afrikaforscher allerdings einen guten Ruf erarbeitet. Die Grenze zwischen einem kolonialen Ausbeuter und einer historischen Persönlichkeit mit zeittypischen Verhaltensauffälligkeiten ist häufig fließend.

Die Nazis benannten die Allee nach Carl Peters, der Tausende hängte

Nicht so bei Carl Peters. Er wurde wegen willkürlicher Anwendung der Todesstrafe aus Deutsch-Ostafrika abberufen und in Berlin verurteilt. In Deutschland verpasste man ihm den Spitznamen "Hänge-Peters". Die Nazis widmeten ihm 1939 eine Allee, mehr als 20 Jahre nach seinem Tod. Das deutsche Kolonialreich war da längst Geschichte, verloren mit dem Ersten Weltkrieg. Das Afrikanische Viertel wuchs dennoch weiter, nun sollte es den Anspruch auf Rückeroberung wachhalten.

Mboro kam 1978 aus Kenia zum Studium nach Berlin. Heute ist er 69, in seinem Deutsch schwingt noch ein Singsang mit. Seit Jahren führt er Interessierte durch das Viertel, er wertet es als gutes Zeichen, dass immer mehr Deutsche kommen, um das Erbe der deutschen Kolonialgeschichte in der Hauptstadt aus seiner Perspektive zu sehen - oder überhaupt erst zu entdecken. Mboro ist im Vorstand des Vereins "Berlin Postkolonial". Berlin hat ja nicht nur das Afrikanische Viertel, Berlin hat auch die Mohrenstraße, gegen die Mboro und die schwarze Gemeinschaft in Deutschland seit Jahren protestieren. Bisher vergeblich.

Mboro will neue Namen für eine neue Zeit

Mboro stellt Fragen: Wie könnt ihr so geschichtsvergessen sein, dass ihr die Ausbeuter unseres Kontinents weiter in Ehren haltet? Wisst ihr, wie Petersallee oder Mohrenstraße in unseren Ohren klingt? Dass die Petersallee lange nicht mehr nach Carl Peters heißt - vor 30 Jahren wurde sie einem ehemaligen Berliner Stadtverordneten gleichen Namens überschrieben - macht für Mboro keinen Unterschied. Für die Anwohner mag der Weg praktisch sein, Mboro empfindet ihn als Etikettenschwindel. Er will neue Namen für eine neue Zeit.

Über die neue Zeit hat auch Johann Ganz viel nachgedacht. Er kam zu dem Schluss, dass sie die Vergangenheit nicht einfach ausradieren, überpinseln darf, auch und schon gar nicht in seinem Kiez. Der 67-Jährige ist Vizechef des CDU-Ortsverbands Wedding - ein Winfried-Kretschmann-Typ, nur kumpelhafter, in seiner Aussprache schwingt auch nach 43 Jahren Berlin noch ein pfälzischer Singsang mit.

"Mit aller Gewalt" wolle jemand die Umbenennungen erzwingen - sagt ein Gegner

Vor sechs Jahren hat Ganz die Initiative "Pro Afrikanisches Viertel" gegründet, um die Namen zu retten. Auch damals stand in Berlin eine Wahl bevor, die CDU plakatierte mit dem Slogan "Keine Straßenumbenennungen" das Viertel. Ganz hat sich eingelesen in die Materie, er kann ausführlich über Nachtigal ("wird falsch gesehen") und Lüderitz ("ein Trickser, kein Kriegsverbrecher") erzählen.

Aus heutiger Sicht, sagt Ganz, sei keiner von beiden ein angemessener Namensgeber für eine Straße in Berlin. Trotzdem kämpft er für die Namen, geht auf die Straße, lässt sich in Diskussionsrunden als "Rassist" beschimpfen. Warum? Das ist gar nicht so einfach zu erklären.

"Wir wollen hier in unserem kleinen Viertel auch einen Beitrag leisten zur Geschichtsbewältigung", sagt Ganz. Der Vergangenheit müsse man sich stellen, findet er, sonst könne man sie gleich vergessen. Aber er gibt zu, dass es ihm auch um die Gegenwart geht. "Mit aller Gewalt", sagt Ganz, wolle jemand die Umbenennungen erzwingen, "uns etwas aufstülpen".

Wie verfahren eine Debatte ist, erkennt man auch an ihren Lösungsvorschlägen

Doch seine Opposition gegen jede Veränderung hat er aufgegeben. Ganz' neue Idee: Wie schon die Petersallee sollen auch der Nachtigalplatz und die Lüderitzstraße auf unverdächtige Namensgeber umgewidmet werden. Er hat schon einen Theologen aus dem 19. Jahrhundert gefunden, der zwar kaum bekannt ist, aber Nachtigal heißt.

Und die Lüderitzstraße soll künftig nach der Stadt Lüderitz in Namibia heißen, die wiederum nach demselben Adolf Lüderitz benannt wurde wie die Straße, die jetzt nicht mehr nach ihm heißen soll. Auch in Lüderitz selbst gab es die Namensdebatte, doch in einer Abstimmung entschieden sich die Einwohner gegen eine Umbenennung - auch aus Sorge, dass sonst weniger deutsche Touristen kommen, erklärt Ganz. Es ist sein Lieblingsargument.

Wie verfahren eine Debatte ist, erkennt man auch an ihren Lösungsvorschlägen.

Doch einige Erfolge konnten Mboro und seine Mitstreiter schon verbuchen - sie zeigen auch, wie sensibel die Diskussion geführt wird. Da wäre etwa der Dauerkleingartenverein "Togo" e. V., der sich zwischen Lüderitzstraße und Petersallee zwängt. Bis vor einem Jahr standen an den Eingängen Schilder mit der Aufschrift "Dauerkolonie Togo". Jetzt sind sie weg.

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