Koch Wahabi Nouri:Multikulti-Ente und Heringsmüll

Menüs, die von der Kindheit, den Lehrjahren und der großen Liebe erzählen: Der Gourmet-Führer Gault Millau zeichnet den jungen Hamburger Wahabi Nouri als Koch des Jahres aus.

P. Bröhm

Die Speisekarte eines kreativen Küchenchefs liest sich zuweilen wie seine Biographie. So etwa im Piment, einem kleinen Restaurant in Hamburg-Eppendorf. Das Menü erzählt von einer Kindheit zwischen marokkanischen Schmortöpfen und Frankfurter grüner Soße, von früher Prägung auf den Gewürzmärkten von Casablanca, von Lehrjahren beim Spitzenkoch Harald Wohlfahrt - und gelegentlich auch von einer großen Liebe zu österreichischen Mehlspeisen.

Koch Wahabi Nouri

Wahabi Nouri kombiniert Exotisches mit regionalen Zutaten.

(Foto: Foto: dpa)

In der Summe ergibt das nicht nur einen spannenden kulinarischen Mix, sondern verdient - in Wahabi Nouris Fall - auch die Auszeichnung zum Koch des Jahres im soeben erschienenen Gault Millau 2010.

Der Gourmet-Guide preist Nouri als "Aromenkünstler, der gute Ideen mit Leichtigkeit aus dem Ärmel schüttelt" und lobt sein Talent "aus vermeintlich Einfachem das Allerbeste zu machen, die teuren modischen Edelprodukte durch ausgetüftelte Ideen und den Luxus durch Aromenfülle zu ersetzen".

Wie das geht, demonstriert ein Gericht wie Nouris "Variation von der Vierländer Ente": ein regionales Produkt, das er direkt beim Bauern bezieht, um ihm dann seine geballte marokkanische Kochkunst angedeihen zu lassen, indem er verschiedene Teile mariniert, scharf angrillt, schmort oder in eine Pastilla, eine Art nordafrikanische Pastete, hüllt. So spannungsreich und multikulturell inspiriert kann deutsche Küche schmecken.

Die Auszeichnung des 39-Jährigen zum Koch des Jahres ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil er nicht zu den bekannten Größen im Lande zählt. Sondern auch, weil er einer jener mutigen Küchenchefs ist, die sich lieber mit einem eigenen Restaurant selbständig machen, als sich in die Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses in einem großen Hotel oder bei einem Investor zu begeben.

Die meisten Köche, die hierzulande Höchstwertungen erhalten, können auf einen solchen finanziellen Rückhalt zählen, sie haben eine Brigade an ihrer Seite und ganz andere Einkaufsmöglichkeiten. Ein Mann wie Nouri aber ist Einzelkämpfer, seine Küche schmeißt er alleine mit zwei Lehrlingen. Der Gault Millau lobt sein Konzept als "Ausweg aus der aktuellen Krise und als grundsätzlichen Erfolgsweg für junge Köche in die Selbständigkeit".

Der Gault Millau setzt in der neuen Ausgabe verstärkt auf "junge Talente, die mit einer schöpferischen Küche überzeugen". Für seinen Mut, mitten in der Krise sein eigenes Lokal zu eröffnen, wird der 33-jährige Daniel Achilles belohnt - er ist die Entdeckung des Jahres. Seit März tischt er in seinem Restaurant Reinstoff in Berlin-Mitte den Gästen eine innovative Küche auf, die von seiner Lehrzeit beim deutschen Molekular-Küchenpionier Juan Amador in Langen geprägt ist.

Ebenfalls einen ganz eigenen Weg geht man im Münchner Restaurant Terrine. Der 38-jährige Küchenchef Jakob Stüttgen ist Aufsteiger des Jahres und erhält 17 Punkte (von 20 möglichen). Gelobt wird er als "einfühlsamer Aromen-Dirigent mit ständig reifender Experimentierlust", der seine Küche zu einem "veritablen geschmacklichen Forschungslabor" gemacht hat.

Im Zuge seiner Kampagne gegen Lebensmittelchemie wertet Gault- Millau-Chef Manfred Kohnke einige Köche um einen Punkt ab, weil sie den modischen Heringskaviar (auch Avruga genannt) auf der Karte führen - für Kohnke schlicht "Heringsmüll". Der Führer brandmarkt das Kunstprodukt aus geräuchertem Hering und Xanthan (das auch für Tapetenkleister und Ketchup verwendet wird) als "Sittenverfall". Wie ernst es ihm damit ist, zeigt die Tatsache, dass der ansonsten sehr gelobte Nils Henkel vom gleichnamigen Gourmetrestaurant auf Schloss Lerbach in Bergisch-Gladbach von der Strafaktion betroffen ist - er war im vergangenen Jahr als Koch des Jahres ausgezeichnet worden.

Während die neue deutsche Küche und ihre immer mehr im Rampenlicht stehenden jüngeren Vertreter dabei sind, einen ganz eigenen Stil zu prägen, hinkt der Service noch nach. Oft bleibt es beim seelenlosen Herunterbeten angelernter Floskeln. Die gehobene Gastronomie tut sich schwer, geeigneten Nachwuchs zu finden. So passt es ins Bild, dass der Titel "Oberkellner des Jahres" an Manfred Friedel geht, der nach 50 Jahren im Münchner Königshof den Rückzug angetreten hat.

Eine Auszeichnung als leicht wehmütige Hommage an eine womöglich aussterbende Gattung großer Maîtres. Friedel zu Ehren sollte am Montagabend die Präsentation des neuen Gault Millau im Restaurant Königshof stattfinden - eine Begegnung zwischen der Gastgeberkunst alter Schule und jungen Talenten.

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