Knigge-Kurs für Kinder:Benimm dich!

Knigge-Kurs für Kinder

Dieses Mädchen würde im Kinder-Knigge-Kurs wohl auch noch ein paar Dinge zum korrekten Verzehr von Nudeln lernen.

(Foto: iStock_000012785735Small)

Grüßen, essen, richtig sitzen: Im feinen Münchner Süden soll Kursleiterin Sophie von Seydlitz Achtjährige Manieren lehren. Das ist nicht immer einfach.

Von Birgit Lutz

Simon hat jetzt eine Idee. Er steckt einen Stock durch den Zaun und zielt damit auf ein Reh. Sein Freund Maximilian schreit, rudert mit den Armen und springt vor dem Zaun wild auf und ab. Die Rehe weichen verschreckt ein Stück zurück. "Doofe Tiere", schimpft Maximilian verärgert, während Simon weiter vergeblich nach den Rehen stochert.

Es ist Samstagmorgen, elf Uhr, in Grünwald bei München. Maximilian und Simon haben gerade Pause und voller Begeisterung entdeckt, dass sich gegenüber dem Gasthaus, in dem ihr Seminar stattfindet, ein Damwildgehege befindet. Wer die beiden Kinder so toben sieht, käme nicht gerade auf die Idee, dass sie an einem Knigge-Benimmkurs teilnehmen.

Eine Stunde zuvor. Die sehr ordentlich gekleideten Knigge-Kinder sitzen auf der Eckbank in der Gaststube. Vor ihnen steht, wie bei einem Seminar für Manager, ein Flipchart, und vor dem Flipchart steht Sophie von Seydlitz, die Kursleiterin. Die Kinder, das sind die Brüder Maximilian, 10, und Korbinian, 8, Simon, 8, Friderike, 8, und Marlene, 8. In den nächsten vier Stunden sollen sie lernen, was gutes Benehmen ist. Grüßen, essen, richtig sitzen.

"Sie können sich nicht vorstellen, was dort für grauenvolle Kinder sind"

Die Kinder machen erst mal keinen Mucks. Kurzzeitig erwecken sie damit den falschen Eindruck, dass es hier gar nichts mehr zu lehren gibt. "Das ist immer so. Am Anfang sind die Kinder immer sehr ruhig, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt", sagt von Seydlitz. Sie ist Vorstandsmitglied der Deutschen Knigge-Gesellschaft und versucht, nicht nur Kindern Manieren beizubringen, sondern auch Jugendlichen und Erwachsenen: Wie benehme ich mich im Bewerbungsgespräch, was mache ich wie beim Geschäftsessen - das sind ihre Themen.

Als Erstes sollen sich die Kinder vorstellen, reihum. Name, Alter und woher sie kommen. Und weil keines der Kinder dabei die anderen anschaut, sondern mehr oder weniger leise vor sich hin spricht, folgt hier gleich die erste Lektion: Man kann die anderen ruhig ansehen, wenn man mit ihnen redet.

Um seinen Söhnen solche Grundhöflichkeiten durch eine neutrale Person in Erinnerung zu rufen, hat Maximilians und Korbinians Vater seine Kinder in den Kurs geschickt. Die Mutter der Brüder ist eine junge Frau, die Perlenkette und Faltenrock trägt. "Wir wohnen in einem kleinen Dorf", sagt sie, "hinter Landshut". Man mache sich kein Bild, wie die Leute sich dort benähmen, beziehungsweise: eben nicht benähmen. "Denen ist alles egal", sagt sie, mit einem gewissen Entsetzen in der Stimme. Maximilian besuche nun seit Kurzem ein Maristengymnasium. "Sie können sich nicht vorstellen, was dort für grauenvolle Kinder sind", sagt sie über die Ordensschule. "Immer weniger Respekt, immer weniger Benehmen!" Sie wolle sicherstellen, dass ihre Kinder zu besseren Umgangsformen fänden, als das in ihrer Umgebung der Fall sei.

Gutes Benehmen bedeutet Respekt

Theoretisch wissen die Kinder ziemlich genau, was gutes Benehmen ist - das zeigt sich, als Sophie von Seydlitz zu Beginn des Kurses danach fragt. Die Arme der Kinder schnellen nach oben. Niemanden ärgern! (Friderike), Immer grüßen! (Korbinian), Bitte und Danke sagen (Simon), nicht mit vollem Mund sprechen (Marlene). Die Kinder rufen so viel in den Raum, dass der Platz auf dem Flipchart kaum reicht, auf dem von Seydlitz alles notiert. Als Friderike wie selbstverständlich erklärt, dass man sich vor dem Trinken den Mund an der Serviette abwischen müsse, ist von Seydlitz platt.

Doch eigentlich geht es der Benimmlehrerin um viel mehr als um die richtige Gabelhaltung. "Gutes Benehmen bedeutet: Respekt vor anderen zeigen und selbst respektvoll auftreten." Der berühmte Freiherr von Knigge werde heute bei vielen Details und Kleinigkeiten zitiert, sagt sie, es gebe Hunderte Regeln wie: Welches Glas für welchen Wein, wann halte ich die Tür auf - doch Knigge habe etwas ganz anderes im Sinn gehabt. "Knigge war der Erste, der sich damit auseinandergesetzt hat, wie wir auf andere wirken, welchen Eindruck unser Benehmen hinterlässt", erklärt sie.

Knigges Buch "Über den Umgang mit Menschen" aus dem Jahr 1877 sei in einer Zeit entstanden, in der an den Höfen eine strenge Kleider- und Verhaltensetikette herrschte. "Knigge wollte dieses Unechte nicht." Im Grunde, sagt von Seydlitz, beinhalte gutes Benehmen nämlich eine gewisse Ehrlichkeit und daneben unbedingt: Anderen Menschen seine Wertschätzung und Aufmerksamkeit zeigen.

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Sophie von Seydlitz ist Vorstandsmitglied der Deutschen Knigge-Gesellschaft und Benimmtrainerin. Ihre Kurse richten sich an Kinder und Jugendliche.

(Foto: privat)

Zwei der Jungs sollen Schüler spielen, der dritte den Lehrer

Knigges Lehre vom respektvollen Miteinander versucht von Seydlitz nun den Kindern zu vermitteln. Gutes Benehmen zeige man etwa auch, wenn man auf dem Schulhof nicht mitmacht, wenn andere gehänselt werden. "Mit dem Finger auf andere zu zeigen, das ist ganz leicht", sagt sie, "aber schön ist es nicht." Indem man niemanden alleine lasse, wenn er schlecht behandelt wird, zeige man dagegen Größe.

Friderike meldet sich. "Das kenne ich", sagt sie. "Bei mir im Golfclub sind drei Mädchen, die schließen mich immer aus. Die lassen mich nicht mitmachen." Von Seydlitz gibt den Rat, am besten zu den drei Mädchen zu gehen und direkt anzusprechen, dass es unangenehm für Friderike ist, wenn sie ausgeschlossen wird. "Für niemanden ist es schön, wenn er nicht gesehen wird", sagt von Seydlitz.

Sehen und Gesehenwerden sei sehr wichtig, sagt die Trainerin und schlägt ein Rollenspiel vor. Zwei der Jungs sollen Schüler spielen, der dritte den Lehrer. Und nun begegnen sich Schüler und Lehrer am Nachmittag auf der Straße. Was macht man da? "Grüßen", sagt Maximilian. Doch das Rollenspiel scheitert, weil die Jungs aufeinander zugehen, sich ansprechen wie alte Stammtischbrüder und in Gelächter ausbrechen. Die beiden Mädchen auf der Bank sollen sagen, wie sie das finden. "Na ja", finden Friderike und Marlene, "das haben die nicht so gut gemacht."

Ein zweiter Versuch scheitert erneut an der zunehmenden Albernheit der Jungen. Erst als von Seydlitz selbst die Rolle des Lehrers übernimmt, funktioniert es einigermaßen. Die Kinder sind nun aufgetaut, allen voran Maximilian. Er läuft im Zimmer herum, redet ununterbrochen, dekoriert die Kissen auf der Ofenbank um und bringt viel Unruhe in die kleine Gruppe - Freiherr von Knigge würde jedenfalls die Stirn runzeln.

"Meine Tochter soll später hart in der Sache, aber stets freundlich im Ton sein."

Als Nächstes steht der richtige Umgang mit Erwachsenen auf dem Plan. "Erwachsene sind nicht nur dazu da, Wäsche zu waschen, fürs Essen zu sorgen und einen durch die Gegend zu fahren", sagt Sophie von Seydlitz. "Wenn ihr die grüßt und anschaut, dann freuen die sich! Das sind nämlich auch Menschen." Man könne also ruhig auch mal den Busfahrer grüßen, der einen jeden Tag in die Schule fährt. In der Praxis allerdings wird auch das wieder schwierig werden. "Ich fahre nicht mit dem Bus, ich werde immer gebracht und geholt", stellt Friderike klar. "Und mich holt immer ein Taxi ab", verkündet Simon. Marlene schaut verdattert, zuckt die Schultern und sagt: "Ich geh immer zu Fuß."

Vielen Eltern hier geht es wie Friderikes Vater: Seine Tochter soll das Rüstzeug bekommen, um in einer Welt zu bestehen, in der Manieren einen hohen Stellenwert haben. Das sollen die Kinder schon früh lernen. "Wenn es um wichtige Entscheidungen geht, hat mein Gegenüber immer einen Spielraum", sagt er, und den sollte man nicht durch eine bewusste oder unbewusste Unhöflichkeit verspielen. "Hart in der Sache, aber freundlich im Ton sein", sagt er, diese Fähigkeit sollte seine Tochter lernen. So gesehen, muss er eingestehen, sei gutes Benehmen also in erster Linie für einen selbst wichtig - um seine Ziele zu erreichen.

Simons Mutter hat da nicht ganz so ambitionierte Ansprüche. "Ich will einfach, dass mal eine dritte Person sagt, was ich zu Hause andauernd predige und predige", sagt sie. "Ich möchte auch, dass es meinem Sohn mehr Spaß macht, sich zu benehmen. Aber ich bin mir schon auch im Klaren, dass wir da noch ganz am Anfang stehen."

Beim Schnitzel wird gezeigt und erklärt, erklärt und gezeigt

Zum Abschluss wird im Kurs der Tisch gedeckt. Den Mädchen gefällt das Serviettenfalten, die Jungs sind kaum noch zu bändigen. Die Pfannkuchensuppe wird dann tatsächlich ohne Schlürfen gegessen, die Haltung bei Tisch allerdings ist verbesserungswürdig. Simon greift den Löffel mit der Faust, und von Seydlitz hat ihre liebe Not, ihm dabei zu helfen, seine widerspenstigen Finger richtig um den Griff zu drapieren. Beim Schnitzel wird deutlich, dass keines der Kinder Gabel und Messer richtig halten kann. Von Seydlitz zeigt und erklärt, erklärt und zeigt.

Sie animiert die Kinder immer wieder, das Gelernte sofort anzuwenden. Maximilian gibt sich redlich Mühe, auch wenn es immer noch an der Umsetzung hapert. Nach einem Toilettenbesuch verkündet er lautstark: "Ich hab der alten Schachtel mit ihrem Hund da draußen mal die Tür aufgehalten."

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