Knapper Wohnraum in Berlin:Bei Luxussanierung Krieg

Lesezeit: 6 min

Eine Demonstration gegen steigende Mieten im Berliner Stadtteil Wedding. (Foto: dpa)

Sie zünden Baugerüste an, schlagen Fenster ein oder fluten frischgegossene Fundamente. In Berlin tobt ein Häuserkampf, weil der Wohnraum knapp wird. Die erklärten Feinde der Gentrifizierungsgegner: Zugezogene und Investoren.

Von Judith Liere

Zwei Fußgänger spazieren an einem warmen Sommerabend durch die Choriner Straße in Berlin-Mitte. "Was ist denn da passiert?", sagt der Mann und zeigt auf einen Neubau, der zwischen den Altbauten steht. Die Scheiben des Cafés im Erdgeschoss sind alle zersplittert. An den Fassaden sieht man rot-lila Farbkleckse. "Na, da wohnen die Reichen", erklärt die Frau. Ihr Begleiter kommt offenbar nicht aus Berlin, sonst hätte er nicht gefragt.

Wer in dieser Stadt lebt, bekommt mit, wie erbittert an allen Ecken um sie gekämpft wird. Einheimische gegen Touristen, Nicht-so-Reiche gegen vermeintlich Superreiche, Kinderlose gegen kaffeetrinkende Mütter, Ur-Berliner gegen Schwaben - all das lässt sich mit Alt gegen Neu zusammenfassen. Die Stadt, die sich sonst stets damit brüstet, wie stark sie in Bewegung ist, wehrt sich gegen Veränderung.

Deshalb tobt in Berlin wieder der Häuserkampf, auch wenn er anders aussieht als vor 20 oder 30 Jahren: Statt Häuser zu besetzen, werden sie nun angegriffen oder ihr Bau zu verhindern versucht. Die Wut über steigende Mieten und über den Wandel der Stadt hat ein konkretes Ziel gefunden: Neubauprojekte. Sie werden zum Symbol für all das erklärt, was vielen Bewohnern der Hauptstadt Angst macht: Sie füllen die Brachen, die viele als Freiraum begreifen, sie bringen mit ihrer oft teuren Ausstattung den Mietmarkt durcheinander, sie machen das zusammengewürfelte Erscheinungsbild der Stadt glatter, und sie beherbergen auch die Menschen, von denen einige glauben, sie hätten in ihrem Kiez nichts zu suchen: Zugezogene. Kaum ein Begriff wird in Berlin verächtlicher gebraucht. Doch, einer: Investor.

In den letzten Wochen wurde die Wut auf Neubauprojekte mit radikalem Treibstoff befeuert: Vermutlich linksextreme Gentrifizierungsgegner veröffentlichten online etwas, das sie "Berliner Liste" nennen. Darauf versammelt sind die Adressen von Wohnungsprojekten und den daran beteiligten Unternehmen, verbunden mit dem Aufruf zu "kreativen Aktionen gegen Verdrängung". Piktogramme erklären, wie diese "kreativen Aktionen" aussehen sollen: Neben einem Bus mit Demonstranten und einer Computertastatur sieht man eine Spraydose, eine brennende Mülltonne und einen Schraubenschlüssel.

Fassaden besprüht und Fenster eingeschlagen

Darunter sind die bisher "abgearbeiteten" Taten protokolliert: Auf einer Baustelle im Wedding wurde der Öltank eines Baggers mit Sand befüllt, in Friedrichshain ein Baugerüst angezündet, in Kreuzberg ein frischgegossenes Fundament geflutet, Fassaden besprüht und Fenster eingeschlagen. 17 Anschläge seit Ende April bringt die Polizei, die mit einer Sonderkommission ermittelt, in Zusammenhang mit der Liste. Auch die Sachbeschädigung in Mitte, wo der Mann sich über die zerschlagenen Scheiben wundert. Ein paar Tage zuvor wurde der teure Wohnkomplex namens Choriner Höfe von Unbekannten attackiert.

Begibt man sich auf die Suche nach "den Reichen", den bösen, arroganten, das Viertel kaputtmachenden Yuppies, die die Steinewerfer hier wohl vermuten, findet man Kinderzeichnungen an den Wohnungstüren, "Welcome" steht darauf. Neben den Briefkästen steht ein Karton mit einem Zettel, "Zur freien Entnahme". Darin liegen zwei Kinderspielzeuge und ein Hörbuch, Titel: "Der Weg zu den Besten. Die sieben Management-Prinzipien für dauerhaften Unternehmenserfolg".

Und dann trifft man Friso de Zeeuw und seine Frau Thea, ein niederländisches Ehepaar Anfang 60, das so gar nicht dem Feindbild entspricht. Kaum hat man sie am Eingang angesprochen, laden sie in ihre Wohnung ein. "Klar, komm rein!" Sie sieht aus wie der Typ alternative Künstlerin, rotgefärbte Haare, lange Ohrringe, ein quietschgrünes Kleid; er ähnelt dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, sie fahren einen Volvo. Friso de Zeeuw ist Professor für Gebietsentwicklung und Politiker der niederländischen Arbeiterpartei, seine Frau Thea erzählt, dass sie früher in Amsterdam in besetzten Häusern gewohnt habe. "Wir haben viel gearbeitet und jetzt geht es uns gut", erklären sie ihre finanzielle Situation. Die Aggression verstehen sie nicht. "Dieses Fanatische bei diesem Thema, das kennen wir in den Niederlanden nicht."

Die rohe Gewalt ist nur eine, randständige Form des Protests. "Kleine linksextreme Zellen" vermutet Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) dahinter. Die gesellschaftlich anerkannte Alternative ist die Bürgerinitiative. So protestieren die Berliner gegen die Bebauung an der East Side Gallery, gegen die Bebauung des Mauerparks in Prenzlauer Berg, gegen Wohnhäuser auf dem Tempelhofer Feld. Und so sitzen die Anwohner eines gutbürgerlichen Kiezes in Schöneberg in Nachtwachen auf der Straße, um zu verhindern, dass dort drei Linden gefällt werden.

Die Bäume sollen für einen Neubau auf einem brachliegenden Eckgrundstück weichen. Das wollen die Anwohner der Crellestraße unbedingt verhindern. Auf der Webseite der Bürgerinitiative "Crellekiez Zukunft" malen sie aus, warum: "Ein Kiez, von Bürgern gestaltet, wird seines Flairs beraubt, gesunde Bäume werden rücksichtslos gefällt" steht dort etwa, die Aufzählung schließt mit dem Fazit: "alle verlieren und nur einer gewinnt hier - DER INVESTOR".

Auch in Berlin wird langsam der Wohnraum knapp. Die Stadt wächst um etwa 14 000 Haushalte pro Jahr. Da könnten Neubauten doch eine gute Sache sein. Doch die Skepsis der Berliner ist nicht unbegründet. Der Immobilienmarkt steht stark im Fokus in- und ausländischer Investoren, die ihr Geld einigermaßen sicher anlegen wollen. Es wird mit Wohnraum spekuliert, und viel wurde so teuer saniert, dass sich nicht nur die Einkommensschwachen, sondern auch die obere Mittelschicht die Mieten für die Wohnungen mit den Designer-Klos nicht mehr leisten kann.

Ein Graffiti am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg fordert bezahlbare Mieten. (Foto: dpa)

Und auch viele der Neubauten sind keine Hilfe, denn sie sind ebenfalls oft schick und teuer. Es sind Projekte, die Namen tragen wie "The Garden", "Belles Etages" oder "The View". Als "exklusiv" bezeichnen Immobilienmakler solche Wohnungen gern - und tatsächlich schließen sie viele Menschen aus.

Hochwertig, Townhouse, Luxusloft: Die Lieblingswörter der einen sind die Hasswörter der anderen. Man muss nur den Begriff Luxusloft mit einem Bauprojekt in Verbindung bringen und schon bildet sich fast reflexhaft eine Bürgerinitiative. Die Wut und die Sorgen sind angesichts explodierender Mieten - in allen deutschen Großstädten - nachvollziehbar. Doch trifft die Wut auch das richtige Ziel oder machen es sich die Protestierenden zu einfach mit ihrem Feindbild?

Den Menschen in der Crellestraße, die die Linden bewachen, wehren sich nicht nur gegen architektonische Veränderungen oder gegen den Verlust von drei Bäumen. Sie wehren sich auch gegen ihre zukünftigen Nachbarn. Die Quadratmeterpreise für die Eigentumswohnungen im Haus fangen bei 2800 Euro an, das liegt nicht viel über dem Berliner Durchschnitt. Doch der Investor wirbt unter anderem damit, dass Überwachungskameras in allen Hauseingängen und an der Tiefgarageneinfahrt hängen werden. Das klingt auch nicht nach netter Nachbarschaft.

Dörfliches Nachbarschaftsidyll mitten in Berlin

Am Bauzaun um das Grundstück, den die Anwohner mit bunten Wollfäden bespannt haben, hängt ein Plakat, auf dem steht: "Erst verschwinden für den Bau die Linden, dann weichen die Armen den Reichen." Nun sieht die Crellestraße nicht aus wie ein Arme-Leute-Viertel. Schöne Gründerzeit-Häuser stehen an der dicht mit Bäumen bewachsenen verkehrsberuhigten Straße. Kinder lernen Radfahren, und wenn Anja Jochum, die Sprecherin der Bürgerinitiative, vorbeiläuft, rufen Nachbarn von den Balkonen "Hallo Anja". Ein Mann in Zimmermannshosen, der vor einer Kneipe sitzt, drückt ihr einen Zeitungsartikel in die Hand. Ein fast dörfliches Nachbarschaftsidyll. Jochum wohnt dort seit 1984, viele ihrer Mitstreiter sind in den 70ern hergezogen. Eine gewachsene, sympathische, engagierte Gemeinschaft.

Es ist wohl nachvollziehbar, dass die Anwohner hier keine Veränderungen wollen. Es ist auch nachvollziehbar, dass sie wütend auf die Stadt sind, die sie über die Bebauung erst informiert hat, nachdem schon alles unterschrieben war. Nur: Berechtigt sie das zur Blockade? Sie kämpfen um den Erhalt ihres komfortablen Lebensraums. Das ist menschlich. Aber muss man das gleich als Naturschutzmaßnahme und Kapitalismuskritik überhöhen?

Auf der Suche nach Menschen, die ins "Haus Crelle" einziehen werden, meldet sich ein Käufer via Facebook, aus Angst will er anonym bleiben. "Die Stimmung ist sehr aggressiv", schreibt er. "Auch wenn das gegen den Investor gedacht ist, betrifft es uns natürlich persönlich. Es entsteht ein Gefühl, dass wir nicht nur nicht willkommen, sondern nicht erwünscht sind." Seine Frau und er seien um die 30 und hätten zwei Kinder, sagt er, die Familie wohne seit mehr als zehn Jahren im Kiez. Mit Kredit hätten sie die Wohnung gekauft. Er verstehe, dass es "nicht toll ist, ein Haus vor die Nase gesetzt zu bekommen, aber das ist halt in einer Großstadt so."

Welcher Weg ist der richtige, um für bezahlbares Wohnen und gegen einen Ausverkauf der Stadt zu kämpfen? Sind es Demonstrationen, Unterschriftensammlungen? Gewalt und Verhinderungsstrategien scheinen jedenfalls nicht zu helfen. Die Anwohner der Crellestraße haben mit ihren Baumwachen einen Baustopp erreicht, bis Oktober dürfen die Linden aus Naturschutzgründen nicht gefällt werden. Der anonyme Käufer sagt dazu: "Den Bau zu verhindern geht nur auf Kosten der einziehenden Familien. Ich glaube nicht mal, dass es dem Investor groß schaden würde, wenn der Bau nicht zustande käme."

Auch bei den Choriner Höfen ging das Ziel der Randalierer nicht auf. "Wir haben momentan sogar eher mehr Anfragen für die Wohnungen", sagt Sandra Wegener vom Bauträger Diamona & Harnisch. "Vielleicht, weil wir gerade so viel Aufmerksamkeit bekommen."

In einer früheren Version dieses Textes hieß es, der Protest gegen die Fällung von drei Linden finde in Schönefeld statt. Richtig ist allerdings, dass er im Berliner Stadtteil Schöneberg stattfindet. Wir haben die Passage entsprechend geändert.

© SZ vom 03.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: