Klimaschutzsiegel:Klimaschutz mit Messer und Gabel

Ob Apfel oder Hühnchen - viele Verbraucher wollen umweltfreundlich einkaufen. Doch die geplanten Gütesiegel für Lebensmittel helfen wenig.

Silvia Liebrich

Wer bei der Ernährung auf Klimaschutz achten will, hat es nicht leicht. Zwar hat es sich inzwischen herumgesprochen, dass ein Rind klimaschädlicher ist als ein Hühnchen. Doch wie ist es beim Obst?

Discounter, AP

Verschiedene Klimaschutz-Labels verwirren den Konsumenten, eine einheitliche Lösung steht aus.

(Foto: Foto: AP)

Die Frage, ob der Apfel aus Neuseeland in der Klimabilanz in jedem Fall schlechter abschneidet als Früchte vom Bodensee, lässt sich nicht einfach beantworten. Im ersten Fall schlägt der lange Transportweg negativ zu Buche. Beim heimischen Apfel können dagegen lange Lagerzeiten im Kühlhaus die Klimabilanz ruinieren. Völlig unübersichtlich wird die Lage spätestens bei einem Fertigprodukt wie Tiefkühlpizza, das gleich Dutzende Zutaten enthält.

Verbraucher, die sich möglichst klimaschonend ernähren wollen, suchen die dafür notwendigen Angaben auf den Verpackungen bislang vergeblich. Sogenannte Klimasiegel sollen dieses Manko beseitigen. Handel und Produzenten arbeiten seit geraumer Zeit an verschiedenen Modellen zur Kennzeichnung. Dazu gehört etwa die von der Biobranche lancierte "Stop Climate Change"-Initiative oder das "Product Carbon Footprint"-Modell, das den CO2-Fußabdruck einzelner Produkte feststellen soll.

An diesem Projekt beteiligen sich zehn Unternehmen, darunter die Handelsketten Tengelmann, Rewe und dm sowie der Tiefkühlkosthersteller Frosta. Dabei ist es nicht allein ein plötzlich erwachtes Umweltbewusstsein, das die Unternehmen antreibt, sondern auch nüchternes Kalkül, denn ein Klimasiegel auf der Verpackung bringt Wettbewerbsvorteile.

Doch solche Klimaschutz-Labels sind umstritten, auch weil eine einheitliche Lösung nicht in Sicht ist und Angaben über die CO2-Wirkung eines Produkts für Konsumenten häufig unverständlich sind. Die Berliner Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) verfolgt die Vorstöße von Handel und Lebensmittelindustrie mit Skepsis. "Da es bislang keine einheitlichen Standards gibt, sind solche Siegel und Angaben wenig aussagekräftig und kaum überprüfbar. Es besteht die Gefahr der Verbrauchertäuschung."

Gefahr der Verbrauchertäuschung

Trotz dieser Schwierigkeiten wollen immer mehr Konsumenten wissen, wie viel Kohlendioxid ein Produkt vom Acker bis ins Ladenregal verursacht. In einer Studie der Managementberatung Sempora wünschten sich 70 Prozent der Befragten ein einheitliches CO2-Siegel für Lebensmittel und andere Konsumgüter. Die Meinungsforscher von Emnid stellten vor kurzem fest, dass jeder dritte Deutsche bereit ist, einen persönlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Das gilt auch fürs Essen. Durchschnittlich elf Tonnen Treibhausgase verursacht jeder Bundesbürger pro Jahr, immerhin ein Fünftel davon entfällt auf Nahrung. Ehrgeiziges Ziel der Bundesregierung ist es, den Gesamtwert langfristig auf zwei Tonnen zu reduzieren.

Klimabilanz einer Tüte Kartoffelchips

Ungeklärt ist jedoch bislang, welche Daten überhaupt in eine CO2-Analyse von Lebensmitteln einfließen müssen, um vergleichbare Werte zu erhalten. Wer etwa die Klimabilanz für eine Tüte Kartoffelchips berechnen will, muss theoretisch mit der Aussaat der Kartoffel beginnen. Auch spielt es eine Rolle, ob der für die Feldarbeit eingesetzte Traktor mit Biotreibstoff oder normalem Diesel fährt, welcher Dünger verwendet und wie die Ernte gelagert wird. Anschließend müssen die Transportwege und der gesamte Herstellprozess in der ChipsFabrik analysiert werden. Das ist nicht nur kompliziert, sondern auch teuer.

CO2-Wert auf jedes Produkt

Entsprechend ernüchternd fiel deshalb eine Bilanz des Freiburger ÖkoInstituts aus: Um für alle seine Produkte ein Profil zu erstellen, müsste ein großer Handelskonzern wie Metro im Jahr etwa 200 Millionen Euro ausgeben. Verbraucherministerin Aigner hält es daher für unpratikabel, einen CO2-Wert für einzelne Produkte zu errechnen oder gar verpflichtend vorzuschreiben. "Das würde zu erheblichen Kosten führen und kann im Verhältnis zum Wert der Ware schlicht unbezahlbar sein", stellt sie fest. Auf freiwilliger Basis seien solche Informationen schon heute für bestimmte Produkte möglich.

Während Deutschland beim Klimaschutz auf dem Teller noch lernen muss, sind einige europäische Nachbarländer schon weiter. In Großbritannien testet die Supermarktkette Tesco unterstützt von der Regierung seit drei Jahren ein Klimaschutz-Siegel. Ziel der Carbon-Trust-Initiative ist es, CO2-Angaben für bis zu 70 000 Produkte bereitzustellen. Kritiker werfen den Machern jedoch vor, dass aus den Angaben nicht zu ersehen sei, ob diese unabhängig ermittelt wurden oder ob sich der Handel auf die Angaben der Hersteller verlässt.

Erstes Klimaschutzsiegel in Schweden

Schweden führte vor einigen Wochen als erstes Land in der EU ein Klimaschutzsiegel ein. Zunächst allerdings ohne konkrete CO2-Angaben. Die sollen später folgen, versprach die Zertifizierungsfirma Svenskt Sigill. Schwedische Umweltschützer beurteilen das Gütesiegel - ein grünes Zeichen, das einen Baum zeigt - daher kritisch. Ein Vergleich, ob etwa der Joghurt von Hersteller A besser abschneide als der von Hersteller B, sei für den Käufer nicht möglich.

Die deutsche Verbraucherministerin hält von diesen Versuchen wenig. "Nationale Alleingänge werden uns nicht weiterbringen", meint Aigner. Die Einführung eines Klimaschutzsiegels muss ihrer Ansicht nach auf europäischer Ebene geregelt werden. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Vorstellen kann sich Aigner ein Modell, das darauf abzielt, die Energieeffizienz von Produkten so zu verbessern, dass die CO2-Emissionen auf ein Minimum reduziert werden. Für Aigner gilt es in jedem Fall, eine neue Flut von Klima-Kennzeichen zu verhindern, die die Verbraucher überfordern und in die Irre führen. "Auf dem deutschen Markt gibt es schon heute etwa 1000 Qualitätssiegel, mit denen sich die Verbraucher auseinandersetzen müssen."

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