Klassik hören:Schuberts Geist und Furtwänglers Kunst.

Sinnlichübersinnliches sich-Wohlfühlen

Gewiss gibt es mannigfache bedeutungsvolle, von Problemen und Dissonanzen erfüllte Kompositionen. Die wird kein Kenner verachten. Sondern mit geduldiger Konzentration anhören und am Ende sagen, sie seien sehr "interessant".

Klassik hören: Franz Schubert (1797-1828) und sein Prophet: Wilhelm Furtwängler (1886-1954)

Franz Schubert (1797-1828) und sein Prophet: Wilhelm Furtwängler (1886-1954)

Doch das genügt nicht bei großer Musik. So befriedigend es sein mag, wenn ein Leitartikel "interessant" argumentiert oder ein Fernseh- "Tatort" interessant zu fesseln vermag - von großer Musik hohen Stils und Anspruchs erwartet man mehr: Sie soll auch unsere Seele treffen, unser Herz bewegen können. Sich "wohl fühlen" meint im heiligen Bezirk von Frau Musica eben nicht bloß den (keineswegs zu verachtenden) Genuss einer delikaten Süßspeise oder eines frisch gemachten Bettes. Sondern das seelige Eins-Sein mit dem Geist überprivater Töne.

Franz Schuberts "Große C-Dur Symphonie" in Wilhelm Furtwänglers nach wie vor unübertroffener Darbietung aus dem Jahre 1951 (mit den Berliner Philharmonikern) sei emphatisch herausgehoben als wunderbare Möglichkeit sinnlich-übersinnlichen sich-Wohlfühlens. Denn wie niemand sonst erfasst, entwickelt, beseelt Furtwängler Schuberts gewaltiges Werk. Er braucht nie den mystischen Schamanen zu spielen: fängt immer ganz konkret beim Gegebenen an. Doch wenn man gerade denken möchte, so viel anders als die guten Andern macht er es eigentlich auch nicht, dann ergreift einen der Sog symphonischen Werdens. Man kann das bereits in den ersten acht Takten der Andante-Einleitung zum Kopfsatz bewundernd feststellen: Das Horn wiederholt da nämlich die drei Töne seines Melodie- Schlusses doppelt langsam. Was (Takt 6) nur einen Takt dauerte, währt gleich darauf (Takt 7 und 8) zwei. Und zwar statt im "piano" im "pianissimo". Man glaubt ein leises, fernes, undeutlicher gewordenes Echo zu vernehmen. Auskomponierter Nachhall macht das Vergehen der Zeit und das Entstehen der Ferne sinnfällig.

An der dramatischsten Stelle der ganzen Symphonie - nach zwei wilden Fortissimo-Akkorden im langsamen Satz - führen Schubert und sein Prophet Furtwängler einen solchen Nachhall sogar über eine General-Pause von fast zwei Takten vor! Als erschrockenes leises Echo. Dann begütigt eine herzbewegende Schubert-Melodie.

Der Kopfsatz endet mit einer Steigerung, heller als 1000 Sonnen. Das Andante schlendert untröstlich (weder gravitätisch langsam aufgeplustert noch unbetroffen munter). Im Scherzo nimmt ein anfangs harmloses Trio Bruckners Mystik wie nebenbei vorweg. Ja, im Jubel-Finale geschieht am Ende ein äußerstes Wunder: die donnernde Todesdrohung des Mozartschen Don Giovanni-Finales erscheint hier als Steigerung höchsten Daseins-Rausches.

Schuberts Große C-Dur Symphonie dauert fast eine Stunde. Als freilich Jahrzehnte nach Schuberts Tod ein dämlicher Wiener Aristokrat mäkelte, dieses Komponisten Sachen wären doch viel zu lang, antwortete ihm spöttisch der Maler und ehemalige Schubert-Freund Moritz von Schwind: "Wann Sie nur net zu kurz san ...".

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