Kirche und Homosexualität:"Sie sind eine Schande für unsere Kirche!"

Droh-Mails, Bloßstellung, Mobbing: Was ein katholischer Theologe erlebte, der mit seiner Lebenslüge Schluss machte und sich als Schwuler outete.

Rudolf Neumaier

David Berger sagt, dieses Gefühl habe er nicht gekannt und er sei erschrocken, als er es zum ersten Mal spürte. Es war vergangenes Jahr im August, nachts. Er spazierte mit seinem Hund Nico durch den dunklen Park vorm Haus, da hörte er Schritte hinter sich. Ziemlich schnelle Schritte. Sie kamen näher. Und jetzt spürte er es im Nacken, dieses neue Gefühl. Erst spannten sich die Nackenmuskeln, dann der ganze Körper. Es war ihm klar: Das also muss Angst sein. Die Schritte verhallten in der Ferne. Die Angst blieb. Dieser Moment fühlte sich an wie eine Niederlage.

Kirche und Homosexualität: Als Theologe war David Berger Traditionalist, er sammelte sakrale Gewänder und beschäftigte sich mit Thomas von Aquin. Seine Homosexualität hat der Lehrer lange verborgen.

Als Theologe war David Berger Traditionalist, er sammelte sakrale Gewänder und beschäftigte sich mit Thomas von Aquin. Seine Homosexualität hat der Lehrer lange verborgen.

(Foto: Jo Goede)

Er redet offen darüber. Denn eines Tages hat David Berger entschieden, über alles offen zu reden, was ihn bewegt: was ihn beglückt, was ihn bedrückt, was ihn verletzt. Es war der Tag, an dem er merkte, dass er unter seiner Lebenslüge leidet. Der Tag im April 2010, an dem er in einem Zeitungsbeitrag sagte: Ich bin schwul. Ein halbes Jahr später war der Artikel zu einem Buch von 300 Seiten gewachsen. Ein Bestseller über Bergers Leben mit der Lüge - und über Heuchelei und Verlogenheit in der katholischen Kirche. Seitdem bekommt er Drohungen.

Eine der ersten war mit einem Link zu einem Video und der Ankündigung "So machen wir es mit dir auch" versehen. Auf dem Film sprangen Skinheads auf den Kopf eines am Boden liegenden Afrikaners. In einem Internetforum schrieb einer: "Solche Menschen haben kein Lebensrecht." Diese Mail ging kurz vor Weihnachten bei ihm ein: "Herr Berger, Sie sind eine Schande für unsere heilige Kirche!!!! Hören Sie auf in den Medien über unseren Glauben abzulästern!!!! Ich warne Sie!!!!! Ich kenne einige Leute, die Ihnen etwas in den nächsten Tagen antun wollen!!! Also entschuldigen Sie sich bei der Kirche, nehmen Sie Ihre Äußerungen zurück!! Verstanden??" Er leitete die Mail an die Polizei weiter. Die Angst hat sich verringert, aber er wird sie nicht mehr los. Jetzt soll das Buch verfilmt werden. Wie viele Drohungen werden ihn dann erst erreichen?

David Berger ist 43 Jahre alt, Doktor der Theologie und Doktor der Philosophie, Gymnasiallehrer für das Fach Deutsch in Köln. Seit 22 Jahren lebt er mit seinem Partner zusammen. In einer offenen Beziehung. Er hat Umgang mit anderen Männern und sagt, dass Treue sich in seiner Partnerschaft durch andere Gesichtspunkte manifestiere. "Wir haben unsere Liebe durch den Glauben vertieft. Ich behaupte, dass ich eine vorbildliche Beziehung führe." Nein, er hat wirklich nichts zu verbergen. Nicht mehr.

Es war im vergangenen Herbst. Bergers Partner surfte durch das Schwulenforum Gay Romeo. Gay Romeo ist keine öffentliche Plattform, hier sind Schwule unter sich. Bergers Partner fiel auf, dass Bergers Profil stundenlang auf den Status "In Bearbeitung" geschaltet war. Aber Berger selbst konnte nicht online gewesen sein, er stand in der fraglichen Zeit vor einer Schulklasse. Ein Fremder muss sich eingeloggt haben. Kurz darauf stand das Profil auf einer Internet-Seite, die ihren Besuchern laut Untertitel "Katholische Nachrichten" serviert. Sie heißt kreuz.net.

Bloßstellung im Internet

Auf einem der Fotos ist Berger so gut wie nackt zu sehen - nur sein Geschlecht ist verdeckt, mit einem schwarzen Balken. Neben den Fotos stehen seine intimsten Maße und Daten, seine sexuellen Vorlieben. All das hat Berger inzwischen aus seinem Gay-Romeo-Profil gestrichen, um sich vor weiteren Bloßstellungen zu schützen. Allein auf der Internet-Seite, die für sich in Anspruch nimmt, katholisch zu sein und also auch christlich, ist es noch zu sehen. Die Seite begreift sich offenbar als Pranger, sie bezeichnet Männer wie Berger als Gomorrhisten und Urinduscher.

Ecce homo! Der Ausspruch stammt von Pilatus, vor ihm stand der ausgelieferte Christus, die Dornenkrone auf dem Haupt. Homo - das sagen auch Homophobe, wenn sie über Homosexuelle reden. Schwulengruppen haben den Pilatus-Satz übernommen. Ecce homo - der nackte Berger, ausgeliefert im Internet, und drüber prangt ein Gemälde des Gekreuzigten, mit dem sich kreuz.net präsentiert.

Immerhin, die deutschen Bischöfe distanzieren sich mehr als deutlich von der Seite. "Die dort betriebene Hetze ist mit dem christlichen Menschenbild und der Glaubenslehre der katholischen Kirche ebenso wenig vereinbar wie mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung", teilt etwa das erzbischöfliche Ordinariat in München mit, und das Bistum Trier schreibt: "Insbesondere die auf kreuz.net betriebene gezielte Hetze gegen einzelne Personen ist an Verwerflichkeit kaum zu überbieten. Der Ton, den die Macher von kreuz.net anschlagen, ist aggressiv, beleidigend und menschenverachtend und daher aus christlicher Sicht völlig inakzeptabel." Mit der Kirche habe das nichts zu tun. Aber mit Berger wollen die Bischöfe auch nichts mehr zu schaffen haben, er ist ja schwul und bekennt das auch noch.

Bergers Passwort zu knacken, war nicht allzu schwer. Viele wählen für ihre Zugangscodes Namen von Menschen, die ihnen nahestehen, die Namen der Kinder oder der Großmutter. Bei Berger war es "Aquin". Der mittelalterliche Kirchenlehrer Thomas von Aquin hatte Berger von Jugend an beschäftigt, mit Abhandlungen über ihn hatte er sich als Theologe einen Namen gemacht. Auf Aquin berufen sich konservative Theologen gerne. Von ihm stammen Leitsätze wie "Das Weib ist dem Mann untertan wegen der Schwäche ihrer Natur und wegen der Kraft des Geistes und des Körpers im Manne", aber auch "Alles, was gegen das Gewissen geschieht, ist Sünde".

Nach dem Outing ging's bergab

David Bergers Thomas-Studien werden noch lange auf den Literaturlisten der theologischen Fakultäten stehen, obwohl ihm der Erzbischof von Köln die Lehrbefugnis für den Religionsunterricht entzogen hat. Und obwohl er seiner Mitarbeit bei der Glaubenskongregation des Vatikan entbunden wurde. So hoch war der Theologe Berger auf der katholischen Karriereleiter geklettert: Im Alter von nur 35 Jahren durfte er sogar den Titel eines Professor correspondens an der Päpstlichen Akademie des heiligen Thomas von Aquin führen, 2009 bat ihn die Glaubenskongregation, für sie zwei kirchliche Zeitschriften auf korrekte Inhalte zu überwachen - und das mit der "größten Besonnenheit und Diskretion", wie es im Instruktionsschreiben zu dieser "wichtige Aufgabe" aus Rom heißt.

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(Foto: Jo Goede)

Mit seinen theologischen Thesen goss Berger Wasser auf die Mühlen der reaktionären katholischen Kreise. Er vertrat einen rückwärtsgewandten Katholizismus, eine Liturgie, in der Lateinisch gesprochen wird, eine Glaubenspraxis, in der Laien und Frauen noch weniger Rechte zugedacht sind, als ihnen die Kirche ohnehin zugesteht. Mit weltoffenen Denkern wie Karl Rahner ging der junge Wissenschaftler hart ins Gericht, ihm unterstellte er ketzerische Anwandlungen.

Die Traditionalisten der Piusbruderschaft hofierten ihn deswegen ebenso wie der erzkonservative Amtsklerus. Bis er sich outete. Und bis er das Buch schrieb, das sich von all seinen Werken bisher am besten verkaufte, auch wenn es kein Theologie-Professor jemals auf einer Literaturliste aufführen wird - es sei denn, er will seinen Job verlieren: das Buch "Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche", erschienen im Herbst 2010.

Inzwischen ist die siebte Auflage auf dem Markt. In dem Buch schildert Berger seinen Werdegang als konservativer Katholik und Theologe. Schon als Jugendlicher zog er gregorianische Choräle der Klampfenmusik vor, mit denen seine Altersgenossen Gottesdienste feierten. Und er sammelte Sakralgewänder. Nur zum Priester weihen lassen, das wollte er nun auch nicht, das wäre ihm der Lüge zu viel gewesen. Er hatte auch als weltlicher Theologe Erfolg, und wenn er seinen Partner nach Rom mitnahm, wurde der stillschweigend als Cousin geduldet und im Nebenzimmer einquartiert.

Heuchlerische Doppelmoral

Die Kirche schneidet miserabel ab in diesem Kronzeugenbericht: Wenn Berger recht hat, gibt es ziemlich viele schwule Kleriker. Dann würde die Kirche genau das führen, was er selbst überwunden hat - ein heuchlerisches, armseliges Doppelleben. Und noch eine Parallele zwischen dem Makrosystem Kirche und dem Individuum Berger gibt es - wenn Berger recht hat: Er sagt, je tiefer er im Reaktionärensumpf steckte, desto exzessiver habe er seine Sexualität ausleben müssen. Und je weiter man in die traditionalistischen Kreise vordringe, desto mehr homosexuellen Pfarrern begegne man. "Je konservativer die äußere Erscheinung gerade bei jüngeren Geistlichen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann schwul ist." David Berger beruft sich auf eigene Erfahrungen mit Geistlichen.

Dass diese Extreme einander bedingen, erklärt er für sich selbst mit dem Bedürfnis nach Balance. Das Leben im übertriebenen Katholizismus, in der Hypertrophie des Sakralen, habe er ausgleichen müssen mit einem entgegengesetzten Leben. Manchmal auch im Darkroom. Bei vielen schwulen Priestern könne es sich auch andersherum verhalten: Dass die homosexuelle Veranlagung ein schlechtes Gewissen hervorruft, das in einer Art Ritenfetischismus sublimiert werden muss, damit die Psyche ins Gleichgewicht kommt.

Schwuler Nachwuchs wird ausgesondert

Wie die Kirche schwulen Priesternachwuchs aussondern will, beschreibt David Berger am Beispiel des Priesterseminars St. Pölten. In dieser niederösterreichischen Ausbildungsstätte waren schwule Exzesse publik geworden, und der Kleriker, der zum Einschreiten beauftragt war, habe dann so etwas wie einen Tuntentest vorgenommen. Seine Kriterien beim Überführen verdächtiger Kandidaten seien unter anderem gewesen: ein Faible für die Farbe Rosa, ein weicher Händedruck, die Parfümierung sowie die Neigung, Fotos von sich selbst aufzuhängen. Berger hätte den Test wohl bestanden. Er hat einen festen Händedruck und parfümiert sich nicht. Seine Wohnung ist geschmackvoll, aber auch alles andere als kitschig eingerichtet, ein funktionales Crossover. Zumindest das Empfangszimmer ziert kein Bild von ihm, allein im Korridor hat er Zeitungsausschnitte mit Artikeln über ihn an die Wand gehängt.

Ist er ein Poser? Mediengeil? Hier setzen die Zweifel selbst gemäßigterer katholischer Kreise an Berger an. Sie kritisieren, dass er sich exponiere. Dass er etwa beim Papstbesuch in Berlin mit den schrillsten Papstgegnern auftrete. Dass er sich vereinnahmen lasse von Atheisten der Giordano-Bruno-Stiftung, die der Kirche weltanschaulich fernstehen. Wo er doch andererseits sagt, er sei immer noch Katholik, und zwar einer, der wie viele Schwule der Ästhetik wegen gerne Tridentinische Messen besuche, aber innerlich ein eher protestantisches Verhältnis zu Gott pflege.

Nicht nur kreuz.net geht heute auf Berger los, auch die Seite kath.net prangert ihn an und stellt ihn als Hochstapler hin, indem sie insinuiert, er habe sich als "Konsultor" der Glaubenskongregation aufgespielt. "Diesen Titel habe ich mir nie gegeben", sagt Berger. Als er im November in der Oberpfalz auftrat, machte sich sogar das Bistum Regensburg die versteckten Anschuldigungen auszugsweise zu eigen und veröffentlichte unter dem Titel "Scheinheiligkeit als Instrument im Kampf gegen die Kirche" einen Link auf kath.net.

Die Drohungen, die bei Berger eingehen, sind das eine. Aber es kommt auch andere Post. Priester schreiben ihm. Er habe nach dem Erscheinen des Buches Dankesbriefe erhalten für das Aufdecken der Verhältnisse. Und gelegentlich auch einschlägige Angebote. Berger gewährt Einblick in die Korrespondenz. Ein junger Pfarrer, von dem im Netz Bilder mit Priesterkragen zu sehen sind, dekliniert darin ein paar Sexualpraktiken durch. Von Mail zu Mail wird er wilder. Als der Pfarrer ihm mit einer extravaganten Spielart kommt, bricht Berger die Unterhaltung mit dem Mann ab. Er schreibt: "Nö, aus der Phase bin ich raus."

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