Kindermode:Baby, du bist hip

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Das ist Mode für Kinder: geschrumpfte Erwachsene, Möchtegern-Halbstarke, frühreife Staranwälte oder zukünftige Models mit den Maßen 40-40-40.

Katharina Matzig

Sie schaut ein wenig unbeteiligt, die Lippen zusammengepresst, eine Flasche mit knallrotem Schraubverschluss hält sie fest in der Hand. Hübsch ist sie, die Kleine mit den langen, seidig glänzenden Haaren. Sie trägt ein bunt bedrucktes Kleid von Catimini, darunter ein weißes T-Shirt von American Apparel. Sie ist vermutlich fünf Jahre alt, vielleicht auch sechs.

Wie sie heißt, erfahren wir nicht. Dafür den Namen des Fotografen, der das Mädchen und andere Kinder auf der Rastanlage Siegburg-West an der A3 kunstvoll beiläufig in Szene gesetzt hat, "Desperate Ones" heißt die Bildstrecke, der Fotograf: Martin Parr.

304 Seiten ist das Heft dick, in dem die ungewöhnlichen Modeaufnahmen des bekanntesten britischen Fotografen auf sechs Seiten zu sehen sind. Der Rest: Fotos der holländischen Künstlerin Hellen van Meene, Bilder des japanischen Designers Jun Takahashi, von Rinko Kawauchi und Tierny Gearon.

Viel Werbung und dazwischen Texte, Essays, Interviews, manche auf Englisch, die meisten auf Deutsch. Gemein ist ihnen nur eines: Immer geht es um Kinder. Aber von und für Erwachsene geschrieben.

Zweimal jährlich erscheint das ehrgeizige Heft Kid's Wear, das in Köln entsteht und sich, so steht es auf der Homepage, mit "Kindermode, Leben und Kultur" in einer Auflage von 32.000 Exemplaren beschäftigt. Auf dem Markt der deutschen Kindermodemagazine ist es damit der einzige Hoffnungsstrahl in einer Ödnis, in der selbst eine Autobahnraststätte wie das Schlaraffenland aussieht.

Die Kinder haben nichts anzuziehen!

Kein Wunder, dass Deutschland mit seiner Geburtenrate auf einem der schlechtesten Plätze Europas liegt. Die Kinder haben schlicht nichts anzuziehen! Auch wenn diese Feststellung dem gesellschaftlichen, sozialen und demographischen Problem der deutschen Kinderlosigkeit natürlich bei weitem nicht gerecht wird, wahr ist sie im europäischen Vergleich trotzdem.

Dabei wächst jedes der Kinder Tag für Tag. Mehr als ein Meter vom Moment der Geburt an wird es insgesamt sein, bis ein Kind seine endgültige Größe erreicht hat. Das sind, wenn man davon ausgeht, dass Konfektionsgrößen in Zwei-Zentimeter-Schritten wachsen, etwa 50 Kleidergrößen, verteilt auf weniger als zwanzig Jahre, vier Jahreszeiten per anno.

Hersteller von Kinderkleidung müssten bei diesen Zahlen eigentlich ins Schwärmen geraten, Designer einstellen, Stoffe bestellen und ihre unzähligen Kreationen auf Kindermode-Messen ausstellen. Sie müssten große Fotografen und kleine Models engagieren und dann Magazine drucken, die etwas günstiger zu haben sind als das avantgardistische und 12,50 Euro teure Kid's Wear.

Kindermodenschauen, die an Paris und Mailand erinnern

Doch mit einer deutschen Messe für Kindermode und Accessoires sieht es so schlecht aus wie auf dem Zeitschriftenmarkt: Es gibt sie einfach nicht. In den Niederlanden, Belgien, Spanien, Großbritannien, Frankreich, selbst in Dänemark, Moskau, New York und natürlich auf der Pitti Immagine Bimbo in Florenz finden jährlich Events statt, auf denen Schuhe, Strümpfe, Hosen, Röcke, Regenschirme, Gummistiefel, Haarspangen und Handtäschchen in den Größen 56 bis 164 verhandelt werden.

Und das mit einem Aufwand, der nicht von ungefähr an die Schauen in Mailand und Paris erinnert. Folgerichtig heißt eine Fotostrecke in der aktuellen Ausgabe von Kid's Wear "Catwalk Backstage". Und ironisch ist das nicht gemeint.

Tatsächlich lässt es sich kaum eines der angesehenen Labels noch nehmen, unter den Signaturen Kids, Junior oder Sons, Mode für die Töchter und Söhne ihrer Kunden zu produzieren und zu vermarkten.

Die Kinder-Kollektion von "Miss Blumarine". Hoffentlich ist es Kunstpelz und kein knuddeliges Tierchen. (Foto: Foto: afp)

Models mit den Maßen 40-40-40

Dementsprechend sehen die Kinder dann auch aus in den Modellen von Miss Blumarine, Richmond Junior, Dieselkids, Roberto Cavalli Angels, Ferrari Junior Collection oder Replay & Sons: Wie geschrumpfte Erwachsene, Möchtegern-Halbstarke, frühreife Staranwälte oder zukünftige Models mit den Maßen 40-40-40, was in etwa dem Umfang eines vierjährigen Mädchens entspricht. Dabei ist das durchaus gewollt.

Wer knapp hundert Euro für eine Kinderjeans von Tommy Hilfiger Kids ausgibt, kauft sich das Recht, hip zu sein und muss dafür in Kauf nehmen, dass die Hose vielleicht nicht wirklich anders aussieht als die 14,95 Euro günstige Jeans von H&M. Dem Träger wie dem Käufer jedoch vermittelt sie in jedem Fall ein anderes Lebensgefühl.

"Als meine Kinder klein waren", sagt Tommy Hilfiger, "gab es keine wirklich coolen Kids-Jacken, Shirts oder Hosen, die auch Erwachsene in größeren Größen hätten tragen wollen. Das ist heute anders. Jetzt mache ich Versionen einzelner Stücke aus der Men's und Women's Collection gleich in Minigrößen - immer mit einem Twist". Und es ist dieser Twist, der das Kind aus der Masse herauswindet.

Dabei sind auch die Jeans des allmächtigen schwedischen Modelabels H&M cool. Sehr sogar. Und es ist ein Rätsel, wie Mütter, die keinen Zugriff auf die stetig wechselnden Kollektionen von H&M haben, ihre Kinder halbwegs praktisch und gutaussehend anziehen, ohne sich für jeden Einkauf einen Kleinkredit genehmigen lassen zu müssen.

Zweiklassengesellschaft in Kindergärten und Schulen

Vielleicht aber lässt sich so erklären, wie die Zweiklassengesellschaft in deutschen Kindergärten und Schulen zustande kommt. Dort nämlich sind Morgen für Morgen folgende Spezies anzutreffen: Die ehrgeizige Mutter, die neben der neuesten Tods-Tasche auch ihr Kind als schmückendes Accessoire an der Hand hält und es comme il faut kleidet. Man gönnt sich ja sonst nichts, vor allem kein zweites Kind, und die Zeiten, in denen Mutterschaft das Ende des Sexappeals bedeutete, sind spätestens seit dem Babyboom der Supermodels, Stars und Sternchen vorbei.

Dementsprechend muss das Kind dann auch aussehen, egal, ob das karierte Kleid in Hellblau, Beige und Weiß mit Puffärmeln und Rundkragen von Best & Co auch zum Toben auf dem Spielplatz geeignet ist.

Super-Mom trifft dort aber auf die deutsche Übermutter, die sich dem Modewahn nicht unterwirft und Pullover, Hosen und Socken für ihren Nachwuchs betont nachlässig zusammenpuzzelt. Die Fotostrecken in einem Magazin wie Kid's Wear sind ihr so fremd, wie ihre eigenen Camper-Schuhe bequem sind. Sie ist eine Meisterin der Kunst, Ärmel und Hosenbeine ohne Nadel und Faden um zwei Drittel zu kürzen.

Nach außen gibt sie sich ebenso tolerant wie ihre modische Gegenspielerin, auch wenn beide sich der jeweils anderen überlegen fühlen. Dabei sind beide Mütter gleichermaßen der Beweis für die bittere Wahrheit, dass es zwischen Mode- und Markenfetischismus und No-Logo-Mentalität eines nicht gibt, wenn es um unsere Kinder geht: das Mittelmaß und eine gesunde Gelassenheit.

© SZ am Wochenende 10.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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