Kinderliebe Singlefrauen:Weg da, Fußballmuttis - die Profi-Tanten kommen!

A visitor holds balloons as she has her photo taken by her friend at the Hong Kong Disneyland

Weg da, Fußballmuttis - die kinderlosen, kinderlieben Profi-Tanten kommen!

(Foto: REUTERS)

Sie lieben die Kinder anderer Leute: Beruflich erfolgreiche Singlefrauen, die Zeit und Geld in ihre Nichten, Neffen und Patenkinder investieren. Nun hat die Marketingbranche die Profi-Tanten für sich entdeckt - als lenkbare Masse mit Herz und Budget.

Von Violetta Simon

Es war einmal ein junges Paar aus der oberen Mittelschicht, das arbeitete viel und verdiente gut. Die beiden mieteten sich eine schicke Penthouse-Wohnung, die der "Gesellschaft für Schubladendenken" gehörte, und packten sie voll mit teuren Dingen. Da saßen sie nun zwischen Designerklamotten und einem Hightech-Flatscreen mit 3D-Effekt und waren froh, dass der Subwoofer ihres Bang & Olufsen-Surroundsystems das Ticken der biologischen Uhr übertönte. Und als sie eines Morgens beim Zähneputzen in den Spiegel sahen, entdeckten sie, dass ihnen jemand einen Stempel aufgedrückt hatte, auf dem stand: Dinks - double income no kids.

Im nächsten Moment vernahmen sie ein erleichtertes Aufatmen aus der Ecke und erblickten eine kleine Menschengruppe, die gerade zusammenpackte. Die Männer und Frauen trugen ebenfalls einen Stempel, allerdings schon ein wenig verblichen. Darauf stand Yuppie. Jemand sagte etwas wie "Danke für die Ablösung!", dann verabschiedeten sie sich und verschwanden.

Die kinderlosen Dinks mit dem Doppeleinkommen gewöhnten sich schnell an die vier Buchstaben und lebten noch eine Weile zusammen unter einem Dach, soweit es ihre 60-Stunden-Woche erlaubte. Am Ende fielen sie jedoch der Scheidungsstatistik zum Opfer. Sie keilten sich eine angemessene Zeit um ihre Besitztümer, schließlich gab er seine Penthouse-Schlüssel beim Pförtner ab.

Die Wochenenden waren lang und einsam, also kaufte die frisch gebackene Singlefrau bei Macy's einen großen Plüschelefanten und beschloss, ihre kleine Nichte zu besuchen.

Inzwischen steht auf dem Klingelschild ein neuer Name: Pank. Das ist die Abkürzung für professional aunt no kids, was so viel bedeutet wie "Profi-Tante ohne Kind". Offensichtlich hat sich die junge Frau ein neues Image zugelegt. Dabei handelt es sich nicht nur um eine alleinstehende, kinderlose Dame, sondern angeblich um eine Art neues Gesellschaftsphänomen. Zumindest glauben das einige findige Unternehmer erkannt zu haben - und lieferen auch gleich die passende Geschäftsidee dazu. Während es sich bei Hippies, Yipppies, Yuppies und Dinks aber tatsächlich um gesellschaftliche Strömungen und eine damit verbundene, spezielle Lebenseinstellung handelt, scheinen die Panks wohl eher eine Erfindung gewiefter Marketingexperten zu sein.

Spielzeug für die lieben Kinder

Der Begriff stammt von der US-Amerikanerin Melanie Notkin, Gründerin der Online-Plattform Savvy Auntie (cleveres Tantchen). Diese Frauen gelten als beruflich etabliert, lieben Kinder, haben jedoch keine eigenen. Deshalb investieren sie ihr Geld und ihre Zeit mit Leidenschaft in den Nachwuchs anderer Leute. Kein Wunder, dass sie nicht nur bei Eltern, sondern vor allem bei Nichten und Neffen und Patenkindern beliebt sind. Die engagierten Tanten kaufen nicht nur Spielzeug und Kleidung für die Kinder der besten Freundin oder der Schwester. Sie unternehmen mit ihnen auch Ausflüge oder besuchen kulturelle Veranstaltungen, für die den Eltern oder allein erziehenden Müttern die Zeit, die Energie - und das Geld - fehlt.

Zweifellos ist es von Vorteil, wenn Kinder einen Ansprechpartner außerhalb des Elternhauses haben. Gerade in der Pubertät kann es sehr hilfreich sein, wenn sie sich an einen Erwachsenen wenden können, der die Dinge mit Abstand betrachtet und die Vermittlerrolle einnimmt. Jemand, der sie auf ein Konzert mitnimmt oder zum Zelten fährt. Aber seit wann ist die Fürsorge für die Kinder von Geschwistern und Freunden kinderlosen Frauen vorbehalten? Warum muss man Kinderliebe institutionalisieren und kommerzialisieren? Und: Brauchen kinderliebe Frauen wirklich eine eigene Webseite, auf der sie Merchandising-Produkte von Disney finden und daran erinnert werden, dass man die sündteure Deko zu Thanksgiving im nächsten Jahr wiederverwenden kann?

Offensichtlich schon: Auf Savvy Auntie findet die Klientel alles, was sie benötigt, um ihrer Berufung zu folgen. Nichts als glückliche Kinder sind dort zu sehen, lächelnde Jungs, die mit gigantischen Hightech-Baggern hantieren, strahlende Mädchen mit Locken, die hinter dem Barbiehaus beinahe verschwinden. Hier erfahren die kinderlieben Berufstanten, was Kinder wirklich glücklich macht - oder zumindest die Spielzeugindustrie. Für Anregungen, wie man kreative Zeit mit den Kleinen verbringt, sind die Macher indes nicht zuständig, hier sind die Community-Mitglieder gefragt. Je nach Phantasie reichen die Vorschläge vom Spaziergang durch den Park bis hin zur Empfehlung, "unbedingt einen Abstecher nach China" zu unternehmen - für eine garantiert unvergessliche Zeit.

Community für coole Tanten

Savvy Auntie, so erfährt der User, ist die "erste Community für coole Tanten, Großtanten, Patentanten und alle Frauen, die Kinder lieben". Und das ist gänzlich ironiefrei gemeint. Gründerin Notkin ist selbst Tante verschiedener Nichten, Neffen, außerdem die Patentante einiger Kinder von Freunden. Das Akronym Pank habe sie eigens entwickelt, um damit möglichst treffend jenen Frauentypus zu beschreiben, der bei Savvy Auntie unterwegs ist - und natürlich, um dieses einflussreiche Marktsegment besser zu verstehen.

Wie gut sie diese Klientel versteht, fasst Notkin in ihrem gleichnamigen Buch ("Savvy Auntie" - der ultimative Ratgeber für coole Tanten usw.) zusammen, einer Art Ratgeber für kinderliebe Frauen, der dort ansetzt, wo bei den meisten Familienratgebern offenbar eine unverzeihliche Lücke klafft: beim "auntie-ing".

Was wie eine abstruse Wellness-Bewegung klingt, steht für eine Bevölkerungsgruppe, die über ein nicht zu unterschätzendes Potenzial verfügt: In den USA sind derzeit 42,6 Prozent der Frauen unter 44 Jahren kinderlos, etwa 23 Millionen fallen somit in die Kategorie der so genannten Panks. Die Kaufkraft dieser Zielgruppe ist gigantisch: Laut einer Studie des weltgrößten PR-Netzwerks Weber Shandwick investieren 76 Prozent dieser Frauen mehr als 500 US-Dollar (ca. 370 Euro) im Jahr für jedes Kind in ihrem Lebensbereich. Das entspricht einer Summe von rund neun Billionen US-Dollar (6,7 Milliarden Euro) für das ganze Land.

Hoch motiviert und liquide

Klar, dass der Markt von diesem Potenzial profitieren will. Zumal die gut verdienenden Singlefrauen es einem auch noch so leicht machen, wenn man den Marketing-Strategen glaubt. Die preisen vor allem die Zugänglichkeit dieser Zielgruppe für virales Marketing: Die weiblichen Konsumenten müssten nicht erst für die digitalen Medien gewonnen werden, schreibt Christine Birkner in ihrem Artikel "The Power of Panks". Sie seien bereits bestens vertraut mit Internet, Blogs, Facebook, Twitter und Co.

Zur Bekräftigung schiebt die Autorin bei der Gelegenheit gleich noch eine in die Jahre gekommene Klientel zur Seite: "Move over, soccer moms!", erschallt ihr Schlachtruf - geht zur Seite, Fußballmuttis. Hausfrauen, die am Spielfeldrand stehen, sind nicht mehr gefragt. Gesucht sind hochmotivierte, hochqualifizierte Freizeit-Begleiterinnen, die wenig Erfahrung, aber jede Menge guten Willen und Budget mitbringen - eine leichte Beute für die Industrie, schließlich wissen sie es ja nicht besser.

Eines Tages wird auch die Zeit der Panks vorbei sein. Wer weiß, vielleicht feilen ja die Marketing-Experten bereits an den nächsten hübsche Namen. Braucht die Backbranche mehr Kunden? Dann erschaffen wir eben die "Banks" (Baking Aunts no Kids), die Kuchentanten ohne Kinder. Soll die Industrie mehr Wollpullis verkaufen? Rufen wir doch die "Kanks" ins Leben (Knitting Aunts no Kids) und singen: "Hoch lebe unsere Strickmamsell!" Weiß schließlich jeder: Ein selbstgestrickter Wollpullover aus kratziger Schurwolle gehört zu einer glücklichen Kindheit.

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