Kinderfotos im Netz:"Ein Kind kann genauso ein Schmuckstück sein wie ein teures Auto"

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Klick, klick, klick - Kinder werden heute schon im Babyalter ständig fotografiert, die Bilder mit aller Welt geteilt. Die Psychologin Bärbel Wardetzki erklärt die Auswirkungen.

Interview: Hannah Beitzer

SZ: Frau Wardetzki, werden Sie gern fotografiert?

Wardetzki: Je älter ich werde, desto weniger gern sehe ich Fotos von mir. Nein, Spaß beiseite: Ich sehe mich eigentlich ganz gern auf Fotos, vorausgesetzt, sie sind schön. Ich habe früher sogar mal nebenbei als Fotomodell gearbeitet.

Während Fotos in Ihrer Jugend noch etwas Besonderes waren, werden Kinder heute schon als Säuglinge permanent mit dem Smartphone gefilmt und fotografiert. Hat das Einfluss auf ihre Persönlichkeit?

Erst einmal muss man sagen: Auf die Entwicklung eines Kindes wirkt so vieles ein, dass das nur ein Posten von mehreren ist. Aber natürlich kann es einen Einfluss haben. Dabei kommt es nicht so sehr auf die Menge der Fotos an. Sondern darauf, wie Eltern damit umgehen. Wenn ein Kind ein geerdetes Gefühl bekommt, dass es ein wunderbarer Mensch ist, der rundum in Ordnung ist, dann ist das gut. Fotos können eine Form der Anerkennung sein, mit der Eltern zeigen: Wir interessieren uns für dich. Nicht so gut ist, wenn die Eltern mit den Fotos etwas kompensieren wollen.

Inwiefern?

Es ist schlecht, wenn ein Kind zu sehr idealisiert wird. Oder wenn es das Gefühl hat, dass sich alles nur um es selbst dreht. Es sollte auch nicht den Eindruck bekommen: Ich muss hübsch sein, damit ich wertvoll bin. Leider passt das aber ganz gut in unsere Zeit. Es kommt heute eben sehr auf Äußerlichkeiten an.

Wir stellen ständig Fotos ins Netz. Zum Beispiel aus dem Urlaub - aber nicht nur von der tollen Aussicht, den Bergen, dem Meer. Sondern von uns, wie wir auf die Berge, das Meer gucken. Schaut, was ich gerade mache, was ich alles kann, was ich alles habe!

Oder eben: Schaut her, was mein Baby gerade macht! Viele Eltern posten täglich Fotos ihrer Kinder auf Facebook, verschicken Bilder über WhatsApp ...

Ja. Ein Kind kann genauso ein Schmuckstück sein wie ein teures Auto. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: An und für sich sind soziale Medien eine tolle Sache, um in Kontakt zu bleiben. Und es ist auch schön, dass Freunde oder Verwandte auf diese Weise etwas von der Entwicklung eines Babys mitbekommen. Aber ich habe das Gefühl, dass viele Leute die Grenze nicht mehr kennen - wie weit interessiert es andere Leute noch? Und ab wann mache ich das eigentlich nur noch für mich? Vielen Menschen scheint es da völlig egal zu sein, wie andere sie finden.

Welche Auswirkungen hat das auf die Kinder?

Zunächst einmal kann es für Kinder unangenehm werden, wenn sie älter werden - weil die Veröffentlichung nicht selbstbestimmt erfolgt, sondern andere dafür verantwortlich sind. Daher sollten Eltern besonders dann vorsichtig sein, wenn die Bilder das Kind in einer sehr intimen oder peinlichen Situation zeigen.

Außerdem kann es Kinder in ihrer Entwicklung irritieren. Schlimmstenfalls bekommen sie ein völlig idealisiertes, unrealistisches Bild von sich, dem sie unbedingt entsprechen wollen.

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Bereits ist in den Medien von einer narzisstischen "Generation Selfie" die Rede. Sind Jugendliche heute tatsächlich narzisstischer als die Generationen vor ihnen?

Tatsächlich sind soziale Medien die perfekte narzisstische Spielwiese. Narzissmus bedeutet ja "den Selbstwert betreffend" - und viele Jugendliche beziehen ihren Selbstwert über Likes und Anerkennung ihrer Follower. Das heißt allerdings nicht, dass alle Menschen, die Selfies posten, gleich Narzissten sind. Kritisch wird es dann, wenn der eigene Wert nur noch von der Außensicht, der Zustimmung der Follower abhängt und nicht mehr von der eigenen Persönlichkeit oder den Freunden.

Aber ehrlich gesagt ist die Entwicklung, die wir gerade beobachten, noch relativ neu. Wir wissen nicht sicher, welche Auswirkungen soziale Medien haben und wie es mit ihnen weitergeht. Vielleicht ist morgen schon wieder was ganz anderes angesagt als Selfies.

Sie plädieren also für Gelassenheit?

Ja. Es wird keine Kulturkatastrophe geben. Jede Zeit hat ihre Debatten. Als das Auto erfunden wurde, hieß es auch: Wo soll das denn hinführen? Jetzt werden plötzlich alle Menschen überfahren! Und gerade wenn es um das Aufwachsen der Kinder geht, muss man sagen: Andere Zeiten waren viel schlimmer als die heutige. Denken Sie mal an die brutale Erziehung nach dem Ersten Weltkrieg! Im Vergleich dazu sind Eltern, die verzückt ihre Babys fotografieren und diese Fotos ins Internet stellen, vielleicht nervig. Aber viel weniger gefährlich für die Entwicklung ihrer Kinder.

Worauf können die Eltern der "Generation Selfie" in ihrer Erziehung denn besonders stolz sein?

Die junge Generation macht viele Dinge bewusster und es gibt viel mehr Möglichkeiten zur Selbstentfaltung. Ich finde es toll, wie selbstbewusst junge Leute damit umgehen. Gerade die jungen Frauen! Wie sie ihre Beziehungen leben, ihr Leben aufbauen und sich die Dinge nicht aus der Hand nehmen lassen. Meine Mutter konnte zum Beispiel ihren Traumberuf nicht ergreifen, weil es ihre Eltern verboten haben. Selbst meine Generation musste noch kämpfen für ihre Selbständigkeit. Das ist erst 60 Jahre her und doch heute undenkbar.

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