Kinderehen in Ägypten:Hochzeit aus Not

Lesezeit: 3 min

Kinderehen sind in Ägypten verboten, dennoch werden aus wirtschaftlichen Gründen jährlich Hunderttausende junger Mädchen verheiratet - von denen sich die Männer später problemlos trennen können.

Karin El Minawi

Kairo - Hala M. ist verliebt - das glaubt sie jedenfalls. In wenigen Stunden wird sie ihren Verlobten heiraten. Dabei kennt sie ihren Zukünftigen nicht wirklich: Sie hat ihn einige Male gesprochen, meist am Telefon. Gesehen hat sie ihn ganz selten. Trotzdem glaubt Hala, dass dies nun der richtige Schritt ist für sie. Seit mehreren Stunden sitzt sie bereits im Schönheitssalon, schließlich will sie als Braut schön aussehen. Die Kosmetikerin hat ihr gerade die Augenbrauen gezupft, nun ist der Damenbart an der Reihe. Das ist der Braut unangenehm. Nie zuvor hat sie sich die Haare beim Friseur zurechtmachen, geschweige denn den zarten Flaum auf ihrer Oberlippe ausrupfen lassen. Warum auch - sie ist verschleiert. Und: Hala ist erst 15. Ihr zukünftiger Ehemann ist 37 Jahre alt.

Weil viele ägyptische Familien zu wenig Geld für ihre Kinder haben, werden sie verheiratet. Solche "Urfi-Ehen" sind billig und folgenlos - zumindest für die Männer: Sie können sich später problemlos von ihren Frauen trennen. Allein im Jahr 2008 wurden in Ägypten 700.000 solcher Ehen geschlossen. (Foto: dpa)

In Ägypten sind Kinderehen verboten. Offiziell wurde 2008 das Mindestalter, von dem an Mädchen heiraten dürfen, von 16 auf 18 Jahre erhöht. Trotzdem sind Kinderehen in dem 80-Millionen-Einwohner-Land sehr verbreitet. 'Ich weiß, dass wir so etwas nicht über Nacht beseitigen können', sagt Familienministerin Moshira Khattab, 'trotzdem haben wir große Fortschritte gemacht. Immerhin kehren wir dieses Problem jetzt nicht mehr unter den Teppich.' Tatsache ist: Obwohl das Gesetz geändert wurde, Aufklärungskampagnen gestartet und Hotlines für Ratsuchende eingerichtet wurden, kann die Regierung keine wirklichen Erfolge verzeichnen. Laut einer Statistik wurden allein im vergangenen Jahr 9300 Mädchen im Alter von zwölf bis 18 Jahren verheiratet. Inoffiziell dürften es weit mehr sein.

Vor wenigen Monaten hat die Polizei auf einen Schlag 4000 Standesbeamte festgenommen - trotz der Neufassung des Gesetzes hatten sie Minderjährige verheiratet. Sie müssen deswegen mit bis zu sechs Monaten Haft rechnen. Doch es ist leicht, das Gesetz zu umgehen: Die Standesbeamten schließen Urfi-Ehen. Bei der Urfi-Ehe wird zwar nach islamischem Recht geheiratet, aber der echten islamischen Eheschließung kommt dieser Ritus nicht gleich. Die Partner - vor allem der Mann - können diese Ehe jederzeit annullieren. Bei der Urfi-Trauung setzt der Standesbeamte einen simplen Vertrag auf, den die Brautleute und zwei Zeugen unterschreiben. Eine Trauung im Schnellverfahren also. Urfi-Ehen werden den Behörden nicht gemeldet. Es entstehen keine Kosten und kein Papierkram. Es drohen auch keine Strafmaßnahmen, wenn die Bräute Minderjährige sind. Und das sind sie oft.

Auch Hala M. ist minderjährig. Trotzdem weiß sie, was sie will. Das Mädchen mit den langen braunen Haaren mag klein und zierlich sein, einschüchtern lässt sie sich nicht so leicht. Sie lebt seit ihrer Geburt in Hawamdeya, einer kleinen Stadt, eine halbe Autostunde südlich von Kairo. Hier sind Kinderehen die Norm, von den Aufklärungskampagnen der Regierung bekommen die Einwohner nur wenig mit. Schätzungen zufolge werden mehr als 50 Prozent der Mädchen in Hawamdeya als Minderjährige verheiratet. 64 Prozent dieser Mädchen geben an, sich auf die Ehe zu freuen. Sie gehen meist nicht in die Schule und werden von ihren Eltern streng, oft sogar mit Schlägen erzogen. Bei Hala war das nicht anders. Sie hat vier Geschwister. Ihr Vater, der keinen festen Job hat und sich als Tagesarbeiter Geld verdient, erlaubt ihr nicht, allein aus dem Haus zu gehen.

Frauen und Kinder haben keinerlei Rechte

Doch die Urfi-Ehen sind riskant für Mädchen wie Hala. Genauso schnell, wie die Urfi-Ehe eingegangen wird, kann sie aufgelöst werden. Kommt es zur Scheidung, bei der nur der Vertrag zerrissen werden muss, haben die Frauen und die Kinder aus der Ehe keinerlei Rechte. Experten schätzen, dass 2008 in Ägypten mehr als 700.000 Urfi-Ehen geschlossen wurden, offizielle Zahlen gibt es nicht.

'Das Problem ist, dass die Eheschließungen kaum kontrollierbar sind - weil sie nicht registriert werden. Die Standesbeamten machen, was sie wollen', erklärt Hani Helal, Leiter des Zentrums für Frauenrechte. 'Die Leute finden immer einen Weg, das Gesetz zu umgehen.' In weiten Kreisen der Bevölkerung sei es Tradition, die Mädchen so früh zu verheiraten, sagt Helal. 'Diesen Leuten braucht man nicht mit Kinderrechten, gesundem Menschenverstand und neu eingerichteten Hotlines zu kommen. Die sind froh, wenn sie einen Mund am Tisch weniger zu stopfen haben.'

In Ägypten leben mehr als 40 Prozent der Bevölkerung in Armut. Sie müssen mit umgerechnet weniger als 1,50 Euro pro Tag auskommen, die meisten von ihnen haben keine Arbeit, können weder lesen noch schreiben.

Hala M. kann ein wenig lesen und schreiben. Sie hat nur für kurze Zeit die Schule besucht. Sie hat sie abgebrochen, weil sie keine Lust mehr auf Lernen hatte. 'Wozu zur Schule gehen? Wir heiraten und kriegen Kinder', sagt die 15-Jährige. 'Das ist nun mal das Leben.' Ihr zukünftiger Ehemann verlangt, dass sie nach der Hochzeit einen Gesichtsschleier trägt. Das macht ihr nichts aus. Auch nicht, dass er so viel älter ist als sie selbst. 'Hauptsache, er behandelt mich gut', findet sie.

Hala hat inzwischen das Brautkleid angezogen, sich geschminkt und die frisch frisierten Haare unter dem Schleier verborgen. 'In wenigen Stunden bin ich eine Frau', sagt sie. Sie weiß, dass es gesetzlich verboten ist, mit 15 Jahren zu heiraten. Aber auch das ist ihr egal. 'Das machen hier ja alle so.'

© SZ vom 13. 10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: