Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Wann ziehst du endlich aus?

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Wenn es Zeit zum Ausziehen aus dem Elternhaus wird, stellen sich manche junge Erwachsene taub.

(Foto: J. Hosse)

Eltern lieben ihre Kinder, auch die erwachsenen. Doch das heißt noch lange nicht, dass sie auf ewig im selben Haus mit ihnen wohnen wollen. Oder dass sie das auch nur ansatzweise nervlich durchstehen würden.

Eine Kolumne von Katja Schnitzler

Es war ein wenig wie in dem Märchen von Hase und Igel. Die Rolle des Igels hatte der mittlerweile erwachsene Sohn übernommen, die Rolle des entnervten Hasen füllten Mutter und Vater gemeinsam aus. Dieser Igel schaffte es, ganz ohne Zwillings-Tier stets als Erster am Ziel zu sein. Oder er war sogar schon wieder weg, hatte aber deutliche Spuren hinterlassen, die den Hasen signalisierten: "Liebe Eltern, bin immer noch da." Nämlich zu Hause, auf dem Sofa, vor dem Fernseher, am Computer, auf der Terrasse und natürlich im Kinderzimmer, das seinen Namen längst zu Unrecht trug. Wohin die Eltern sich in ihrem Haus auch wandten, der Sohn war schon da.

Die Eltern machten sich Vorwürfe, denn sie liebten ihren Sohn, natürlich, jede Minute in den vergangenen 20 Jahren, drei Monaten und 16 Tagen. Aber ganz tief in ihrem Inneren wünschten sie, dass sich dieser Igel endlich vom Acker machen würde. Er müsste ja nicht weit wegziehen. Nur die elterlichen vier Wände, die könnte er langsam mal verlassen. Doch er blieb.

Zu teuer seien die Wohnkosten in der Stadt, zu gering sei sein Verdienst (nämlich nicht vorhanden) und zu schön sei es, noch ein wenig die Nestwärme zu genießen, sagte der Sohn. Den Eltern fiel noch mehr dazu ein, zum Beispiel zu bequem, zu faul und zu unselbständig. Aber sie behielten das für sich - noch.

Als die Mutter nach der Arbeit heimkam und nur noch das eine wollte (einen ruhigen Abend auf der Couch), war der Sohn schon da. Mit zwei Freunden saß er auf dem Sofa, ein Dritter belegte den Sessel. Auf dem Couchtisch standen vier Teller, offenbar nicht groß genug, um alle Brösel aufzufangen. "Hallo, Mama, wir haben Pizza gemacht. Keine Angst, wir räumen die Küche nachher noch auf", sagte der Sohn fröhlich. Die Mutter grummelte "hrrmpfthoffentlichbrmpft" und beschloss, nicht in die Küche zu gehen. Sondern nach oben. Vielleicht auch wieder raus.

Sie ging nach oben. Ein Bad würde sie entspannen. Doch das Badezimmer war überschwemmt. Die Teppiche waren voll Wasser gesogen, so dass die Schuhe der Mutter bei jedem Schritt leise schmatzten. In der Badewanne stand das Mountainbike ihres Sohnes. Das Rad war sauber, das Bad nicht.

"Und Mama", rief der Sohn von unten, "dich nervt doch mein Bike in der Garage, mit dem ich eh nicht mehr fahre. Deshalb verkaufe ich es. Ach ja, das Bad mach ich nachher auch noch sauber. Keine Angst." "Hrrmpftbrrrmmmpft", dachte die Mutter und ging rückwärts aus dem Bad.

Sie hatte Kopfschmerzen. Auf dem Flurteppich hinterließ sie nasse Schuhabdrücke. Sie rieb sich die pochende Stirn und schloss kurz die Augen. Sie stolperte über den Wäschesack, aber sie fiel weich. Neben dem Sack lag auch noch Kleidung. Der Sohn hatte die Wäsche schon seit einer Woche machen wollen. Oder sollen.

Die Mutter rappelte sich auf, eilte nach unten, zur Haustür hinaus und rief ihren Mann an. Sie würden sich zum Essen treffen. Auswärts. Sie müssten reden, dringend, so könne das nicht weitergehen.

"Sohn, wir müssen reden"

Bald war es zwei Jahre her, dass der Sohn die Schule beendet hatte, zum Stolz der Eltern durchaus erfolgreich. Nach dem Stress wolle er sich erst einmal eine kleine Pause gönnen, hatte er gesagt. Das verstanden die Eltern natürlich. Dann wolle er sich erst einmal orientieren, mit ein paar Praktika, hatte er gesagt. Das fanden die Eltern vernünftig. Und dass Praktika schlecht bezahlt wurden, wenn überhaupt, musste der Sohn nicht sagen, das war ihnen klar.

Doch nun wusste der Sohn immer noch nicht, welche Richtung er einschlagen sollte. Nur eines war offensichtlich: Weg aus dem Elternhaus wollte er nicht.

Die Eltern waren bedrückt, als sie um zehn Uhr nach Hause kamen. Nach drei Gläsern Wein hatten sie sich darauf geeinigt, dass ein baldiger Auszug das Beste für ihren Sohn ist. Und für sie selbst auch. Das Haus lag dunkel da, der Sohn war wohl ausgegangen. Wie auch am Abend zuvor. Und davor.

Ihre Kopfschmerzen waren schlimmer geworden, daher schaltete die Mutter das Licht nicht an, als sie ins Wohnzimmer ging. Im Dunkeln umrundete sie den Couchtisch und hoffte, dass die Jungs nicht nur die Pizzateller abgeräumt, sondern auch die Krümel weggewischt hatten. Dann hielt sie inne. Irgendetwas stimmte nicht.

"Äh, Mama ...", flüsterte eine Stimme von der Couch, "nicht erschrecken." Die Mutter erschrak. Und schrie. Der Vater schaltete das Licht an.

Auf der Couch lag ihr Sohn, neben ihm ein Mädchen, am Fußende der Großteil ihrer Kleidung. "Ich dachte, ihr wärt länger weg", sagte der Sohn. Die Mutter rang noch immer nach Luft. Der Vater sagte: "Sohn, wir müssen reden."

Es dauerte noch zwei Monate, bis der Sohn auszog. Aber nach diesem Abend hatte auch er das Gefühl, dass es Zeit dafür war.

Er wohnt nicht weit entfernt, in einem gerade noch bezahlbaren WG-Zimmer. "Jeder kann hier so sein, wie er will, keine Regeln, keine Vorschriften", schwärmt der Sohn am Telefon. Die Mutter brummt verständnisvoll "hmmhmmm" und streckt sich auf der Couch aus. Nur dass die anderen immer seine Pizza wegessen, findet er weniger lustig. Die Mutter lächelt. Sie findet das durchaus amüsant.

Pädagogin Heidemarie Arnhold erklärt im Interview, wie Eltern ihre Kinder schon lange vor dem 18. Geburtstag auf den Auszug von zu Hause vorbereiten können. Und warum es an den Eltern liegen kann, wenn das Kind im "Hotel Mama" bleibt.

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