Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Schlimme Tage wie dieser

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Alleinerziehende, die Vollzeit arbeiten, müssen wahre Organisationstalente sein, wenn unter der Woche noch Zeit für den Spielplatz bleiben soll. Oder am Abend noch Kraft für den Haushalt haben.

(Foto: J. Hosse)

Alleinerziehende sind stolz darauf, wie sie Kind, Job und Haushalt unter einen Hut bekommen. Außer an Tagen, an denen Sitzungen länger als bis 16 Uhr gehen, Stau ist und die Tochter tanzen gehen will.

Eine Kolumne von Katja Schnitzler

Die alleinerziehende Mutter und ihre Freundin hatten einen Satz, der wie ein Code funktionierte: "Es war wieder einer dieser Tage." Wenn die Mutter nach einem schier endlosen Vorlesen-vor-dem-Einschlafen-Ritual und dreimal Ins-Kinderzimmer-gerufen-werden ein wenig Zeit für sich hatte - nachdem sie das Geschirr weggeräumt, eine Waschmaschine angeschaltet, Hasenohren für eine Schulvorführung genäht und eine wichtige Mail an die Bank verschickt hatte - wenn also all das erledigt war und sich nur noch die Bügelwäsche fast ein wenig vorwurfsvoll immer höher türmte, dann sank die Mutter auf die Couch und griff zum Telefon.

"Es war wieder einer dieser Tage", seufzte sie. Und die Freundin wusste Bescheid. An diesem Tag hatte die Mutter keine Minute gefunden, um die innige Zweisamkeit mit ihrer Tochter zu genießen. Sie war nicht stolz gewesen, Beruf, Kind und Haushalt unter einen Hut zu bekommen und selbst dabei nicht allzu kurz zu kommen. Sie konnte sich nicht einmal darüber freuen, dass sie sich jetzt endlich lang auf der Couch ausstrecken und - ohne Diskussionen - amerikanische Serien mit hohem Unterhaltungswert, aber nur mittelhohem intellektuellen Anspruch sehen konnte. Nicht an einem Tag wie diesem.

An solchen Tagen war die Mutter um 5.30 Uhr aufgestanden, ins Bad geschlurft, fähig zu nur einem Gedanken: "Morgengrauen." Um 6.15 Uhr war sie bürofertig gekleidet und hatte dank abdeckender Cremes keine Augenringe mehr. Das Frühstück stand auch auf dem Tisch, zumindest das der Tochter. Sie selbst würde nur einen Kaffee trinken ("Morgengenuss") und die Rinde des Frühstücksbrotes essen, die die Kleine immer übrig ließ. Zu mehr fehlte ihr die Muße.

Um sieben Uhr musste sie die Tochter in der Frühgruppe im Kindergarten abgeben, der um 17 Uhr wieder schloss, weshalb sie allerspätestens um 16.23 Uhr in der Arbeit losfahren musste, um das zu schaffen. Das war eine lange Zeit für die Kleine, für den Job reichte es dennoch nicht aus. Die Kollegen kamen später und blieben länger. Leider auch der Chef.

Dieser hatte der Mutter an einem Tag wie diesem eröffnet, dass nicht sie das spannende Projekt leiten würde, sondern der jüngere Kollege. "Sie müssen ja zu Ihrem Kind, da habe ich Verständnis", hatte der Chef gesagt. Zuarbeiten dürfe sie dem jungen Kollegen aber gerne. Ihr fehlten die Worte, bis der Chef aus dem Raum war. Der junge Kollege setzte gleich das erste Teamtreffen an. Um 16 Uhr.

Die Sitzung begann mit einer kaum verhohlenen Selbstbeweihräucherung des jungen Kollegen, für die er sich Zeit nahm. Die Mutter schaute auf die Uhr. 16 Uhr, acht Minuten. "Könnten wir jetzt über die Aufgabenverteilung sprechen, weil ich ..." Dazu wolle er gerne gleich kommen, meinte der junge Kollege. Er brauchte weitere acht Minuten, um konkret zu werden. Langatmig umriss er das Konzept. 16.23 Uhr. Die Mutter rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.

"Mama, nicht so viel arbeiten"

"Ich müsste dann ..." Natürlich, sagte der junge Kollege, kein Problem, er würde sie dann morgen früh über die Aufgabenverteilung informieren. Das hieß, sie durfte wieder die mühsame, lorbeerenfreie Kleinarbeit übernehmen. Zähneknirschend raste die Mutter los.

16.31 Uhr. Jetzt kein Stau! Es war Stau.

Um 17.15 Uhr kam sie am Kindergarten an. Am Bürofenster der Kindergartenleitung winkte ihr aufgeregt ihre Tochter zu. Die Erzieherin winkte nicht. "Da ist die Mama ja endlich", sagte sie mit verkniffenem Gesicht, als sie der Mutter die Tür öffnete. Alle Lichter im Kinderhaus waren schon aus. Die Tochter wollte auf den Arm: "Mama, ich bin wieder die Letzte", sagte sie vorwurfsvoll. "Ich muss Sie wirklich bitten, künftig pünktlicher zu kommen", sagte die Erzieherin noch vorwurfsvoller. "Ja, ich weiß. Tut mir leid", sagte die Mutter. Und atmete tief ein. Und wieder aus.

Im Auto zappelte die Tochter aufgeregt im Kindersitz. Sie hatte einen Plan: "Mama, du weißt doch, dass Sophie zum Tanzen geht?" "Mhmmm", machte die Mutter, sie ahnte etwas. "Und das macht ihr so viel Spaß!" "Mhmmm." "Aber noch mehr Spaß macht es ihr, wenn ich mitkomme. Das ist auch ganz spät. Das ist um ... um ... am Nachmittag!" Oh nein, dachte die Mutter.

"Schatz, du weißt doch, dass ich nachmittags noch arbeiten muss." "Aber im Kindergarten ist mir dann so langweilig. Weil Sophie doch ein Ein-Uhr-Kind ist", nörgelte die Tochter. "Ich weiß, aber ich kann es leider nicht ändern. Ich muss auch am Nachmittag arbeiten, damit wir Geld haben ...", sagte die Mutter, etwas schärfer als beabsichtigt. "Ja, ich weiß, für Essen, Kleidung und mein Spielzeug", sagte die Tochter. Und bemühte sich nicht, ihre Enttäuschung zu verbergen.

Dann hellte sich ihr Gesicht auf: "Aber wenn ich kein Spielzeug mehr will? Und mein Taschengeld habe ich ja auch. Dann nehmen wir das her. Und du musst am Nachmittag nie mehr arbeiten!" Die Mutter seufzte. Es war wieder einer dieser Tage.

"Morgen", munterte ihre Freundin sie am Abend auf, "da wirst du wieder stolz darauf sein, was du alles schaffst. Und wenn nicht morgen, dann eben übermorgen." Vielleicht hatte sie Recht, dachte die Mutter, als sie auflegte. Auf jeden Fall würde sie morgen Sophies Mutter anrufen. Und fragen, ob sie die Tochter nicht zum Tanzen mitnehmen könnte.

Wo Alleinerziehende Hilfe bekommen, wenn ihnen alles zu viel wird, und auf welche Warnsignale sie bei der Mutter-Kind-Beziehung achten sollten, erklärt Psychotherapeut Matthias Franz in den Tipps zur Erziehung.

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