Kinder, der ganz normale Wahnsinn:"Schatz, du wirst ein Scheidungskind"

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Gerade ist die Kinderwelt noch halbwegs heil und rosarot. Dann wollen die Eltern ein ernstes Gespräch über die Zukunft der Familie führen.

(Foto: J. Hosse)

Trennen ist schwer. Besonders für Eltern. Und mit am schwersten ist es, für diese Entscheidung auch noch die richtigen Worte zu finden: Wie sagen wir es nur dem Kind?

Eine Kolumne von Katja Schnitzler

Am Ende waren sich die Eltern nur noch in einem Punkt einig: So konnte es nicht weitergehen. So durfte es auch nicht weitergehen. Nicht für sie als Paar. Und auch nicht für ihren Sohn, den sie im vergangenen Jahr oft übermüdet und mit verweinten Augen im Kindergarten abgeliefert hatten. Übermüdet und verweint waren sie alle, hatte es am Abend doch Streit gegeben. Schon wieder.

Also Trennung, zuerst mal auf Zeit - obgleich sowohl Mutter als auch Vater insgeheim wussten, dass diese Zeit wohl nicht enden würde. Dass der Vater auszieht, darauf hatten sich die Eltern am zweiten Abend geeinigt - am ersten Abend waren sie wieder bei der Schuldfrage gelandet, hatten diese aber nicht klären können.

Dass er das Kind jedes zweite Wochenende sehen würde und jede zweite Woche an einem Werktag, darauf hatten sich die Eltern am vierten Abend erschöpft verständigt - am dritten Abend war erneut die Schuldfrage aufgekommen. Sie blieb weiterhin ungeklärt. Am fünften Tag sagten sie es ihrem Kind.

Es war ein Samstag. Die Eltern hatten einen besonders schönen Frühstückstisch gedeckt und Pfannkuchen gemacht, die mag der Sohn so gerne. Die Sonne schien auf den Tisch. Alles sah nach heiler Welt aus.

Der Sohn genoss es. Die Eltern wirkten zwar angespannt, das waren sie in jüngster Zeit fast immer. Aber heute stritten sie nicht, sondern warfen sich nur verstohlene Blicke zu, die er nicht deuten konnte. Dennoch war es ein wenig wie in seinen Bilderbüchern, in denen immer Vater-Mutter-Kind lächelnd gemeinsam am Tisch saßen. Er selbst aß oft nur gemeinsam mit der Mutter. Oder mit dem Vater. Selten mit beiden, und dann lächelte nur er. Wenn überhaupt.

Als die Mutter ein Glas Marmelade aus der Küche holte, eilte der Vater hinterher: "Der Kleine sieht so glücklich aus, wollen wir es ihm nicht erst heute Nachmittag sagen?", flüsterte er. Die Mutter blickte zum sonnenbeschienenen Tisch. Sie schüttelte den Kopf. "Nein, davon wird es nicht leichter. Lass es uns hinter uns bringen. Nach dem nächsten Pfannkuchen." Die Miene des Vaters verfinsterte sich: "Kannst du nicht einmal ein wenig flexibler sein?"

"Wir haben dich trotzdem beide lieb"

Die Mutter riss die Kühlschranktür auf, ein Sichtschutz zwischen Esstisch und Küche: "Hör auf damit, nicht jetzt! Wir haben doch alles besprochen. Lass uns wenigstens das gemeinsam durchziehen." Der Vater rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht, atmete tief durch und nickte. "Gut, dann jetzt."

Sie setzten sich wieder an ihre Plätze links und rechts von ihrem Sohn und warteten, bis er seinen Pfannkuchen gegessen hatte. Um dann die Welt, so wie er sie kannte, in Stücke zu schlagen. Sie bekamen keinen Bissen herunter.

Die Mutter fing an. "Hör mal zu, mein Schatz. Dein Vater und ich müssen dir etwas sehr Wichtiges sagen." Der Sohn blickte misstrauisch auf.

Vater: "Du hast ja gemerkt, dass sich Mama und ich ganz oft streiten." Der Sohn nickte zögernd.

Mutter: "Und das ist für uns alle nicht schön, der ständige Streit." Der Sohn blickte auf seinen marmeladenverschmierten Teller.

Vater: "Deshalb hat Mama beschlossen ..."

Mutter: "... haben WIR beschlossen ..."

Vater: "... also sind wir der Meinung, dass jeder von uns ein wenig Zeit für sich braucht. Zum Nachdenken. Wie es mit uns weitergehen soll. Dafür brauchen wir einfach mal unsere Ruhe." Der Sohn schaute von einem zur anderen, wie bei einem Tennisspiel, dessen Regeln er nicht begriff.

Mutter: "Ganz wichtig ist, dass du weißt, dass wir dich trotzdem beide lieb haben."

Vater: "Genau, ganz fest! Auch wenn ich dich dann nicht mehr jeden Tag sehe. Weil wir sind ja deine Eltern, wir haben dich immer lieb. Das weißt du doch?" Der Sohn nickte langsam.

Dann fragte er leise, die Eltern verstanden ihn kaum: "Ist es, weil ich im Supermarkt so geheult habe? Wegen der Schokolade? Als du gesagt hast, du hältst das nicht mehr aus, dieses Geschrei?" "Nein", rief die Mutter entsetzt, "nein, nein. Du hast überhaupt keine Schuld. Es geht nur um deinen Vater und mich. Wir brauchen eben Zeit, um vielleicht wieder zusammenzufinden." Der Vater nickte heftig.

Der Sohn überlegte, lange.

Die Eltern hielten den Atem an.

"Okay", sagte der Sohn, stand auf und ging in sein Zimmer. Mutter und Vater schauten sich überrascht an. "Soll ich zu ihm gehen?", fragte der Vater. Die Mutter zuckte zweifelnd die Schultern.

Da ging die Kinderzimmertür wieder auf. Der Sohn kam heraus, seinen Kindergartenrucksack auf dem Rücken, aus dem sein geliebtes Star-Wars-Schwert herausragte. Den noch inniger geliebten Schlafteddy hielt er im Arm. "Wir können jetzt losfahren", sagte er.

"Wohin denn?", fragte der Vater erstaunt.

"Am besten zur Oma."

"Warum das denn?", fragte die Mutter. Nun war der Sohn verwirrt: "Ihr wolltet doch Zeit für euch. Zum Nachdenken. Dann bleibe ich solange bei der Oma. Weil es doch nur um Papa und dich geht."

Die Eltern sahen sich an. Es würde wohl schwerer werden, als gedacht.

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