Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Glotzt nicht, hier wird gestillt

Tipps für die Erziehung: Baby, Stillen

Ein Baby wird von den meisten Menschen gerne gesehen. Dass es in der Öffentlichkeit gestillt wird, sehen manche hingegen weniger gern.

(Foto: J. Hosse)

Normalerweise kommen die wenigsten Frauen auf die Idee, an öffentlichen Orten ihre Brüste zu enthüllen. Es sei denn, sie ernähren ihr Baby auf die von der Natur vorgesehene Weise und stillen. Leider hat die Umwelt manchmal ein Problem mit dieser Natürlichkeit.

Eine Kolumne von Katja Schnitzler

Die junge Mutter gehörte nicht zu den Frauen, die gerne zeigte, was sie hatte, zumindest nicht völlig unverhüllt und schon gar nicht jedem. Während sich andere an Seen, auf gut einsehbaren Balkonen und im Englischen Garten das Bikini-Oberteil sparten, fand sie es schöner, mit ein wenig Stoff noch den Hauch eines Geheimnisses und ihre Intimsphäre zu wahren. Doch ein hungriges Baby nahm weder auf Geheimnisse noch auf Intimsphäre Rücksicht. Es wollte an die Brust, egal wo.

Zu Hause war das kein Problem, auch nicht während der Besucherparade, die beim Baby-Loben vorbeizog. Je nach Vertrautheit blieb die Mutter mit Kind zum Stillen sitzen oder verzog sich in den Nebenraum. Doch bald stand ein Termin an, wo das nicht möglich war: der Geburtstag des Onkels. Gefeiert wurde in einem Restaurant, das genauso gediegen und konservativ war wie der Onkel.

Ein Großteil der weiblichen Gäste stammte aus der Onkel-Generation, damals war ihnen das Stillen noch ausgeredet worden: Ob sie denn die ganzen Giftstoffe aus ihrem Körper direkt an das zarte Kindlein weitergeben wollten? Dass Stillen gesund für Kind und Mutter ist, fanden andere Experten erst viel später heraus.

Nun saß die junge Mutter im Restaurant im Zentrum der Aufmerksamkeit, jedenfalls beinahe. Jeder wollte das winzige Familienmitglied auf ihrem Arm herzen, tätscheln, herumtragen. Das Baby wollte das nicht, überhaupt war es so viel Trubel nicht gewohnt und drängte daher früher als sonst dorthin, wo es sich am sichersten fühlte: an die Brust.

Also weinte es kläglich, als der Onkel gerade zur Willkommensrede ansetzte. "Dann warten wir noch auf unseren hungrigen Neuankömmling", unterbrach er sich zuvorkommend. Zwölf Augenpaare fixierten die junge Mutter, die hektisch unter ihrem Oberteil nestelte und versuchte, den Verschluss des Still-BHs zu öffnen. Ihre Brust hatte auf die Schreie des Kindes bereits reagiert, die saugfähige Stilleinlage war am Ende ihrer Kapazität: Auf ihrem T-Shirt erschien ein nasser Fleck. Das hungrige Baby schrie lauter. Geduld ist eine Tugend, die Kinder erst spät erlernen. Manche nie.

Als sie sich diskret von der Geburtstagsgesellschaft abwenden wollte, blickte sie in sechs fremde Augenpaare, die fragend von den Nachbartischen herübersahen. Sie seufzte und drehte sich zurück, zerrte das T-Shirt nach oben (acht Augenpaare blickten diskret zur Seite, zehn beobachteten gespannt weiter) und stopfte dem weinenden Kind den Mund.

Sofort war Ruhe. "Nun, dann kann ich ja jetzt ...", sagte der Onkel, und fuhr fort, seine Gäste willkommen zu heißen: "... und ich begrüße natürlich auch den neuen Erdenbürger!", dröhnte er. Zwölf Köpfe wandten sich wieder Mutter und Kind zu. In diesem Moment löste sich das Baby mit einem lauten Schmatzen von der Brust, aus dem Mundwinkel lief ein dünnes Rinnsal Milch.

Zwei alte Damen am Nebentisch winkten hektisch nach dem Kellner und redeten leise, aber eindringlich auf ihn ein: "... unerhört ... Anblick verdirbt einem ja ... dass sie sich nicht schämt ... also würden Sie bitte, das ist schließlich Ihre ...!"

Der Kellner näherte sich der Mutter, an deren Schulter das winzige Baby gerade überraschend laut aufstieß, eines Bierkutschers würdig. Bevor sie das Kind an der anderen Brust anlegen konnte, tippte ihr der Kellner auf die Schulter. "Verzeihen Sie bitte, aber die Damen am Nebentisch fühlen sich von Ihrer Offenherzigkeit gestört. Würden Sie bitte den Gastraum während des Stillens verlassen?", sagte der Kellner und wies mit der Hand zur Tür, damit seine Frage nicht als rhetorisch missverstanden wurde.

"Lasst mich in Ruhe stillen!"

Die Mutter schluckte und errötete. Das Baby zappelte, es hatte noch Hunger. Augenpaare starrten, Augenbrauen näherten sich dem Haaransatz. "Und wo bitteschön soll meine Frau unser Baby dann stillen?", mischte sich der Vater ein. Daran hatte der Kellner nicht gedacht. "Nun", meinte er zögernd, "wir könnten einen Stuhl auf die Damentoilette ...".

"Das ist wohl nicht Ihr Ernst", schnaubte der Vater. Das Baby schrie, warum dauerte das nur so lange? Der Vater raffte alle Baby-Utensilien in die Tasche, verabschiedete sich knapp bei der verstummten Geburtstagsgesellschaft und schob seine vor Verlegenheit hochrote Frau mit seinem vor Schreien hochrotem Baby aus der Tür. Die Mutter war sich nicht sicher, ob der Vater, als er sehr dicht an den zurückweichenden alten Damen am Nebentisch vorbeirauschte, nicht auch ein wenig geknurrt hatte. Sie stillte im Auto.

Als sie am Abend ihrer Schwester das Herz ausschüttete, kam ihr diese mit weisen, alten Sprichwörtern - in diesem Fall "Wer vom Pferd gefallen ist, muss gleich wieder aufsteigen": Sie trafen sich am nächsten Tag in einem Café. Zur Stillzeit. Hier war das Publikum etwa 50 Jahre jünger als in dem Restaurant. Dennoch war die Mutter sehr aufgeregt. Hektisch legte sie ihr Baby an die Brust, diese war nur einen Moment lang zu sehen. Trotzdem tuschelte am Nebentisch ein junges Paar und blickte immer wieder herüber. Nun zeigte es sogar mit dem Finger auf sie. Das war zu viel für die Mutter. "Halt mal", sagte sie zur Schwester und reichte ihr ein verdutztes Baby. Dann glättete sie ihr T-Shirt, straffte den Rücken, sprang auf und rief voll Zorn:

"Wieso lassen Sie mich nicht in Ruhe mein Kind füttern? Was gibt es da zu starren? Haben Sie noch nie Brüste gesehen? Stellen Sie sich draußen vor die Plakatwand mit der Dessouswerbung, da können Sie glotzen, solange sie wollen!" Der Schwester blieb der Mund offen stehen, dem Paar am Nebentisch auch. "Ich", die Mutter reckte ihre Brüste vor, "ich gebe das Beste für mein Kind. Und wenn es Ihnen nicht passt, dann gehen Sie doch! Ich bleibe! Und stille!".

Im Café waren alle Kunden verstummt, Leute drehten sich um, Kaffeetassen wurden auf dem Weg zum Mund vergessen. Die Frau fing sich als Erste. "Aber", stammelte sie, "wir haben doch gar nicht Sie ... wir haben doch ihn ..." Sie zeigte auf den Tisch hinter der Mutter.

Dort saß ein Schauspieler, kein unbekannter. Er winkte der Mutter freundlich zu.

Mit vor Verlegenheit hochrotem Kopf stürzte sie aus dem Café. Ein paar Minuten später folgte die Schwester samt Baby (schreiend) und versuchte, nicht zu grinsen. "Schau mal", sagte sie und hielt die Wickeltasche hoch.

Dort prangte ein Autogramm des Schauspielers. Darunter hatte er einen Satz geschrieben: "Was Eltern wissen müssen: Es ist alles nur eine Phase."

Stillberaterin Regine Gresens gibt im Interview Tipps, wie das Stillen in der Öffentlichkeit für Mütter leichter wird.

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